Dank privaten Sammlern ist bei einer Recherche zur Kamera Tessina Erstaunliches ans Licht gekommen.
Bei einem Besuch im Stasi-Museum an der Normannenstrasse in Berlin im Jahr 2012 ist mir eine kleine Kamera „Made in Switzerland“ ins Auge gestochen: Die Tessina. Ein Begriff, den ich zuvor noch nie gehört hatte. Bei einer Online Konferenz im Frühjahr 2023 kamen wir wieder auf diese Kamera zu sprechen und ich erwähnte meinen Besuch von damals. Tags darauf fand ich in meinem Email-Postfach eine umfassende Dokumentation zu dieser Kamera.
Worum gehts: Die Tessina kam 1960 auf den Markt, entwickelt wurde sie von einem Unternehmen in Grenchen namens Siegrist, das sonst auf die Produktion von Uhrenbestandteilen spezialisiert war. Der Clou: Die Tessina war die kleinste 35mm Kamera – auch Kleinbildformat genannt – jener Zeit. Sie wurde kein Erfolg aber die Geheimdienste in Ost und West liebten sie. Das war das „Executive Summary“, das ich dann dem Technik-Redaktor der NZZ am Sonntag schickte. Er war ebenso fasziniert wie ich und so recherchierte ich die Geschichte, die in der NZZ am Sonntag 4.Juni 2023 auf zwei Seiten gedruckt wurde und auch online opulent aufgemacht war.
Dass ich so schnell zu sehr spezialisierten Informationen kam, hatte ich der Sammler-Community zu verdanken. Mein erster Kontakt war Detlev Vreisleben. Er schien ein unerschöpfliches Reservoir an Dokumenten zur Tessina-Story zu haben, aus denen er mir immer wieder Kostproben schickte. Und sein Name taucht auch auf einer sehr spezialisierten Publikation aus den USA auf…
Eine seiner wichtigsten Quellen für mich war die Sammlerzeitschrift Photographica Cabinett, die 2005 bis 2007 über mehrere Hefte eine umfassende Geschichte der Tessina druckte. Leider sind nur die Inhaltsverzeichnisse der einzelnen Hefte online. Einer der Autoren war Rolf Häfliger. Er verstarb im April 2023 im Alter von 91 Jahren, praktisch am gleichen Tag, an dem ich begann nach ihm zu fragen.
Nun war ich in dieser Community drin – durch die Vermittlung von Markus Meier, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Technikgechichte und Industriekultur SGTI, lernte ich Hansjürg Stihl kennen. Auch er ein Tessina-Spezialist. Er steuert das wohl beste Foto für die Recherche bei, es zeigt die kleine Kamera vor schwarzem Hintergrund auf einem Spiegel. Die NZZ am Sonntag hat es in ihrer Online-Ausgabe benutzt.
Zwei weitere Kollegen durfte ich kennenlernen: Jost Simon – er hatte im Photographica Cabinett 2007 den Artikel zum Thema „Die Tessina und die Geheimdienste“ geschrieben. Auch er hat offenbar ein umfangreiches Archiv zu diesen Themen und er verwies mich an Peter Baum, der eine Serie von Fotos der getarnten Tessina beisteuern konnte.
Schliesslich war ich auch mit Felix Müller, dem Leiter des Stasi Museums in Berlin im Gespräch. Auch er unterstützte diese Recherche, auch wenn er keine detaillierten Auskünfte geben wollte oder konnte. Immerhin hatte er einen plausiblen Grund: Man fürchtet weitere Einbrüche, einen solchen hatte man nämlich 2004 zu verzeichnen.
Eines der besten Fotos kam vom Genfersee und zwar vom Kameramuseum in Vevey.
Nicht alle Informationen waren schwer zu finden: Auf den Seiten zur Geschichte des des US Geheimdienstes CIA findet sich ein gutes Foto, das die Tessina neben einem Paket Zigaretten zeigt. Tatsächlich wurde es ja von den Geheimdiensten auch in ein Zigaretten-Etui versteckt.
Die Tessina tauchte auch im Umfeld des Watergate-Skandals von 1971 auf. Allerdings steckte der Teufel hier im Detail und es brauchte einigen Scharfsinn um die Unterschiede zu finden: Tatsächlich hatten die Einbrecher vom Watergate-Gebäude unter der Leitung des Ex-CIA Agenten Howard Hunt eine Tessina. Sie hatten sie zuvor beim CIA ausgeliehen, das geht aus den Protokollen der Senat-Hearings von 1973 hervor. Allerdings gab es zwei verschiedene Einbrüche. Am bekanntesten ist der Einbruch ins Watergate Gebäude am 17. Juni 1972. Die Polizei fand bei den Einbrechern zwei Kleinbildkameras, es ist aber nicht bekannt um welche es sich gehandelt hat. Anders beim Einbruch im Jahr zuvor: Er fand aber in Kalifornien statt und galt dem Büro des Psychiaters von Daniel Ellsberg, der die berühmten Pentagon-Papers an die Presse geliefert hatte. Howard Hunt und seine Komplizen benutzten dort nachweislich eine Tessina. Allerdings – auch das muss noch gesagt werden, eignet sich die Tessina schlecht für das Fotografieren von Dokumenten.
Schliesslich galt es die englische Originalversion des Filmes Topas von Hitchcock zu finden. Was ich nicht wusste: Seit kurzem bietet das Internet Archive vollständig digitalisierte Filme an, man muss sie nur finden. Google wusste dies nicht und für einmal half die Microsoft Suchmaschine Bing. Der Film ist 2h 20′ lang, aber die entsprechende Stelle war relativ schnell gefunden und tatsächlich: Der Originaldialog unterscheidet sich stark vom Dialog in der deutschen Synchronfassung.
Alles in allem kam bei dieser Recherche so viel tolles Material zusammen, dass ich daraus einen eigenen Text machte – und bei dieser Gelegenheit auch eine mir bisher unbekannte Layout-Software namens Canva ausprobierte. Hier nun das PDF dieser „extended version“.
Hier wäre eine hochauflösende PDF Datei, sie hat allerdings 44 MB