Dreimal Georgien im Buch

2018 ist das grosse Georgien-Jahr – Georgien ist Gastland an der Frankfurter Buchmesse und jede Buchhandlung hat eine kleine Georgien-Ecke eingerichtet. Ideal um sich auf eine Reise vorzubereiten. Meine drei Favoriten.

An Nino Haratschwili kommt keiner vorbei und mit ihrem Buch „Das achte Leben“ hat sich die Georgiern, die als Theaterregisseurin in Deutschland lebt, gewissermassen in die Herzen der Menschen und – nach meiner Beobachtung vor allem der Frauen – geschrieben. Die 1200 Seiten sind eine Herausforderung – aber gleichzeitig taucht man damit richtig ein ins georgische Leben, in die Geschichte und Gegenwart. Die Lektüre ist einfach nur sind die Grausamkeiten, unter denen die Menschen während der Stalin-Jahre zu leiden hat, schwer zu ertragen.

Das achte Leben ist eine Familiengeschichte – aber gleicheitig auch eine Landeskunde von Georgien aus höchst persönlicher Sicht: «Es ist ein kleines Land. Es ist auch schön, dem kann ich nichts entgegensetzen, sogar du wirst mir zustimmen, Brilka. Mit Bergen und einer steinigen Küste am Schwarzen Meer. Die Küste ist zwar im Laufe des letzten Jahrhunderts um einiges geschrumpft, dank der großen Zahl an Bürgerkriegen, dämlichen politischen Entscheidungen, hasserfüllten Konflikten, aber ein schöner Teil davon ist noch da.» Wer sich ein bisschen mit dem Land befasst hat oder wer es schon bereist hat, wird schnell Schauplätze finden, die er oder sie wiedererkennt. Hier zum Beispiel die Höhlenstadt Upliziche.

«Sie hielt sich gern in der kargen Landschaft der Steppe auf. Die alte Höhlenstadt kannte sie wie ihre eigene Westentasche. Auch wenn dort Menschen ständig verloren gingen, in diesem geheimnisvollen Labyrinth aus Steintreppen, ineinander verschachtelten Räumen und Verstecken, Stasia fand immer ihren Weg zurück. Den Weg aus der Höhlenstadt, die vor Jahrhunderten auf Befehl der mächtigen Königin des Landes in den riesigen Berg geschlagen worden und die mittlerweile zu einer verlassenen Landschaft geworden war, aus der heraus die Gespenster sangen. Ja, man konnte sie hören, wenn man die Augen fest genug zumachte und die eigenen Gedanken im Kopf zum Verstummen brachte. »

Nach viel Leid und Freuden, nach so viel Emotionen und Fragen (wer ist Brilka?) etwas eher Nüchternes: Der ehemalige Radio- und Fernsehkorrespondent von SRF Peter Gysling legt ein Buch über die ehemalige Sowjetunion vor, in dem der Kaukasus und damit Georgien ein wichtiger Schwerpunkt ist. Schon die Entwicklungen seit dem Ende der Sowjetunion sind komplex und nicht jeder ist damit vertraut. Wie kam es zu den zwei Bürgerkriegen um Südossetien und Abchasien und wo sind die tieferen Ursachen? Gysling erklärt in übersichtlich gestalteten Unterkapitel. Man ist ihm dankbar, dass er die politischen und historischen Erklärungen von seinen eigenen Erfahrungen trennt und so lässt sich das Buch auch in kurzen Auszügen – vor oder nach der Reise bestens lesen.

In seinen eher anekdotisch erzählten Reiseberichten wird schnell klar, wie leicht es ist, die Journalisten zu instrumentalisieren und oft gilt es abzuwägen. So auch in der kleinen Geschichte, in der Gysling erzählt, wie ihn der damalige russische Vizepräsident Ruzkoi zusammen mit anderen Journalisten zu einer exklusiven Reise mit dem Helikopter von nordossetischen Wladikavkas nach Zchinwali in Südossetien zu fliegen um den Konflikt dort gewissermassen vor Ort zu beobachten.

«Der Flug in die südossetische Hauptstadt Zchinwali war abenteuerlich…ich sass vorne im Schneidersitz in der Plexiglaskuppel am Boden…schliesslich landeten wir ziemlich unsanft in einer Mulde nordwestlich von Zchinwali…. Im Stadtzentrum angekommen, eröffnete man uns dann in einem Kellerraum, dass sich die Sicherheitssituation in den letzten Stunden zusehends verschärft habe… Aus einer sicheren Deckung konnten wir dann auch tatsächlich beobachten, wie sich die Mitglieder der georgischen Nationalgrade dort mit ihrem Mörsern versteckt hielten…Unsere russischen und südossetischen Begleiter kommentierten jeden Schuss von der Gegenseite, dessen Zwischen stets gut zu hören war.» Nach der Reise kam der Journalist ins Grübeln: «Gewiss war es richtig, über diesen Krieg zu berichten. Trotzdem konnten die Südosseten und Russen dank unserer Journalistenreise gewissermassen einen Propagandaerfolg erzielen. Die Osseten, so meine nachträglich Mutmassung, könnten nämlich während unseres Aufenthaltes das Kriegsgeschehen mit eigenen Attacken so dosiert haben, auf dass wir Journalisten im jeweils richtigen Moment… den ‚richtigen Eindruck‘ von den Beschiessungen der Gegenseite erhielten.»

Mein drittes Buch schliesslich ist schon etwas älter – es ist das Dokument einer ungewöhnlichen Reise, welche der Schriftsteller John Steinbeck mit dem Fotografen Robert Capa kurz nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1948 machen und publizieren konnten. Ihre Absicht war es, den Alltag in der Sowjetunion wenige Jahre nach dem Krieg zu dokumentieren. Weder Capa noch Steinbeck bemühen sich um so etwas wie journalistische Distanz und beschreiben ihre Erlebnisse, ihr Gedanken und dazu gehören auch die oftmals schwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden gegensätzlichen Persönlichkeiten. Und all das macht Ihr Buch zu einem unvergleichlichen Zeitdokument, das sich leicht und flüssig liest. Immer wieder findet der Reisende von heute wichtige Hinweise:

«Wo wir auch in Russland waren, in Moskau, in der Ukraine, in Stalingrad, stets fiel der magische Name Georgien. Menschen, die niemals dort gewesen waren und die wahrscheinlich niemals würden dorthin gehen können, sprachen von Georgien mit einer Art Sehnsucht und grosser Bewunderung. In ihren Erzählungen waren die Georgier Übermenschen, grosse Trinker, grosse Tänzer, grosse Musiker, grosse Arbeiter und Liebhaber.» Zur Hauptstadt Tiflis schreibt Steinbeck: Die Stadt ist unglaublich sauber. Es ist die erste saubere orientalische Stadt, die ich gesehen habe. Im Fluss, der das Stadtzentrum durchschneidet, schwimmen Hunderte kleiner Jungen….»
Eindrücklich auch die Fotos – besonders auffällig sind die Bilder eines festlichen, orthodoxen Gottesdienstes in der Davidskirche. Offenbar hatte Georgien auch in der Sowjetzeit einen Sonderstatus und man rüttelte nicht am Status der orthodoxen Kirche. Geradezu grotesk wirkt die Beschreibung einer Begegnung mit dem georgischen Schriftstellerverband in dessen Zentrum ein monströser Vortrag über die Geschichte der georgischen Literatur stand.

  • Nino Haratschwili: Das achte Leben (Für Brilka). Frankfurt: Frankfurter Verlagsanstalt 2014.
  • Peter Gysling: Andre Welten. Russland, Ukraine, Kaukasus, Zentralasien. Zürich: Werd Verlag 2018.
  • John Steinbeck/Robert Capa: Russische Reise. Mit 69 Fotografien von Robert Capa. Zürich: Unionsverlag 2013. Erstausgabe: A Russion Journey. New York 1948.