Warum brauchen Kühe Hörner oder was ist noch natürlich? Gedanken zum Thema Natur – aufgeschrieben für die Rubrik Standpunkt im Tössthaler vom 23.Oktober 2018.
Am 25.November stimmen wir über die so genannte Hornkuh-Initiative ab: Bauern, die ihren Kühen die Hörner lassen, sollen speziell entschädigt werden. Kühe haben schliesslich natürlicherweise Hörner und die soll man ihnen nicht wegnehmen.
Ein sympathisches Anliegen und ich werde gerne ein Ja einlegen. Allerdings auch mit einem leisen Schmunzeln: Die Abstimmung wird international Wellen schlagen und einmal mehr das Image der kurligen Schweizer bestätigen.
Bei aller Sympathie gibt es doch Fragen: Braucht es dafür wirklich noch mehr Subventionen? Oder könne die Leistung auch durch den höheren Preis kompensiert werden. Und radikaler: Es ist nett, wenn die Kühe Hörner tragen. Aber müssen wir wirklich derart viel tierische Produkte essen: Milch, Joghurt, Käse, Fleisch, Wurst…. Für mich ist die Hornkuh-Geschichte ein Anlass darüber nachzudenken, was wir als natürlich ansehen.
Beginnen wir mit dem Wald – gerade im Herbst im Tösstal immer wieder wunderbar. Was viele nicht wissen: Unser Wald ist mehr eine Tannenholz-Plantage als ein natürlicher Wald. Wer einen natürlichen Wald sehen will, muss nur in die Bahn steigen und ins Muotathal fahren: Zum 550 Hektaren grosse Bödmerenwald, sein Wachstum wird kaum vom Menschen beeinflusst. Allerdings: Ich mag ihn trotzdem, unseren Wald!
Verlassen wir den Wald, so stechen uns die satten Weiden ins Auge. Besonders im Frühjahr sind sie eine Pracht. Was dann kommt, heisst in der Sprache der Bienenzüchter: Die grüne Wüste. Da gibt’s nichts mehr für die Bienen, bis auf die teuer subventionierten Buntbrachen: Dort wächst und krabbelt und summt es, weil hier eine wilde Mischung von Pflanzen wächst, die nicht genutzt werden und Raum bietet für allerlei Insekten, die sogar Schädlinge auf den überdüngten Feldern fern halten.
Von den Bienen zu den Äpfeln. Neue Sorten entstehen nicht aus dem Nichts sondern durch Züchtung. Dafür werden gezielt Mutationen produziert und dafür hat man bis vor nicht allzu langer Zeit radioaktive Strahlen und chemische Mittel eingesetzt. Daraus sind Sorten entstanden, die auch in der Bio-Landwirtschaft weiter genutzt wurden.
Natürlich? Ausgerechnet der Direktor des Forschungsinstituts für Biologischen Landbau FiBL, Urs Niggli, bringt es in einem Interview mit dem Online-Wissenschaftsmagazin Higgs auf den Punkt: „Naturbelassenheit ist ein sozialromantischer Begriff. Ohne Technik und Technologie würden wir hier heute in einem Buchenwald von Pilzen und Buchennüssen leben, aber nicht von Weizen, Mais oder Kartoffeln.“ Und heute steht mit CRISPS/Cas eine neue gentechnische Methode zur Erzeugung von gezielten Mutationen zur Verfügung, die von vielen noch kritisch beobachtet wird – sie ist aber den traditionellen Methoden mit ihren brachialen Instrumenten weit überlegen. Niggli: „Mit CRISPR/Cas sind wir nun noch einen Schritt weiter. Die Methode muss keine artfremden Gene einbringen, sondern verändert einzelne Stellen im pflanzeneigenen Genom. Genauso wie das natürliche Mutationen tun – einfach viel präziser. Als Naturwissenschaftler sage ich deshalb: Ja, CRISPR/Cas ist bisher die beste Methode, wie man Mutationen auslösen kann.“
Es ist so eine Sache mit der Natur: Tatsächlich greift der Mensch seit der Erfindung der Landwirtschaft vor 13 000 Jahren am Anfang des Neolithikums in die Natur ein. Zu den wichtigsten Erfindungen in der Geschichte der Landwirtschaft gehört die Erfindung der Stickstoff-Synthese am Anfang des 20.Jahrhunderts. Was so technisch tönt ist nichts anderes als die Grundlage für Kunstdünger. Ohne diese Erfindung wäre es nicht möglich gewesen, den steigenden Hunger einer industrialisierten Welt zu stillen.
Erfunden hat die Stickstoffsynthese der deutsche Chemiker Fritz Haber (1869 – 1934) zusammen mit seiner Frau Clara Immerwahr (1870 – 1915). Haber erhielt dafür 1919 den Chemie-Nobelpreis. Seine Frau hatte sich 1915 mit seiner Dienstwaffe erschossen, als sie erfahren hatte, dass Ihr Ehemann Fritz Haber massgeblich an der Entwicklung von Chemiewaffen im ersten Weltkrieg beteiligt war.
Lange vor der Entwicklung der Atombombe zeigt sich das Janusgesicht der technologischen Entwicklung. Sie kann Segen sein aber auch Verderben. Und allzu oft hat sich das, was zuerst ein Segen war, später als Unheil herausgestellt. Beispiele gibt es auch jenseits der Atomkraft genug – man denke etwa an die Kohle und ihre katastrophale Rolle oder an das Pestizid DDT.
Und wie ist es nun mit der Natur? Es gibt sie nicht in jener Form, wie wir meinen. Seitdem es den Menschen gibt, hat er seine Umwelt geprägt, verändert, zerstört. Mammut und Bisons sind wegen Eingriffen des Menschen ausgestorben. Unsere Landschaften mögen natürlich aussehen, sie sind es längst nicht mehr: Seit Jahrhunderten greifen wir ein – schaffen neues Land Land und Böden aus Sumpfgebieten und Meer, schützen unsere Dörfer und Städte gegen Naturgefahren.
Würden wir zurück ins Jäger- und Sammlerstadium gehen, so könnten wir nicht überleben. Viel besser ist es darum, den wissenschaftlichen Fortschritt klug zu nutzen, auch zuhause: Vor unserem Haus steht ein grosser Apfelbaum. Er hat uns dieses Jahr eine reiche Ernte geschenkt. Nur war mehr als die Hälfte der Äpfel wurmstichig, weil wir auf Schädlingsbekämpfung verzichtet haben. Dabei stehen heute neben den chemischen auch biologische Schädlingsbekämpfungsmittel zur Verfügung. Produziert von einer Schweizer Firma: Andermatt Biocontrol – das vor über 30 Jahre gegründetund heute Weltmarkt-Führer bei der biologischen Bekämpfung des Apfelwicklsers. Wenn Forschung und Wissenschaft im Dienst des Menschen stehen, sind Natur und Zivilisation kein Widerspruch mehr.
Der Text erschien am 23.Oktober 2018 im Tössthaler in der Rubrik Standpunkt.
Tössthaler online vom 23.10.2018