Zum Jahrestag des Tibet-Aufstandes.


Am 10.März ist der Jahrestag des Aufstandes der Tibeter gegen die chinesische Besatzungsmacht im Jahr 1959. Das ist für die Tibeter in der Schweiz und auch im Tösstal ein wichtiges Datum. Auch für den 37jährigen Tibeter Karma Punkhang aus Turbenthal

Eigentlich wäre ein Gespräch über den Jahrestag des Volksaufstandes von 1959 geplant gewesen und natürlich auch über die Winterolympiade in China. Das Gespräch im Gasthof Landenberg, wo ich den tibetischen Aktivisten am Mittwochabend treffe, dreht sich aber zuerst um die Ukraine. Auch Karma Punkhang ist sehr betroffen über die russische Aggression in der Ukraine und sagt: «Es stimmt mich wenig positiv für unseren Bemühungen für ein freies Tibet. Obwohl alle in Europa von der Invasion wissen, schauen alle nur zu, ohne einzugreifen. Dies macht mir wenig Mut, dass Europa sich für Tibet einsetzt. Ein Land weit weg von Europa und worüber heutzutage nicht mehr viel in den Medien berichtet wird.»

«Der Krieg in der Ukraine stimmt mich wenig positiv für die tibetische Sache»
Karma Punkhang mit der Flagge von Tibet. Foto Dominik Landwehr
«Der Krieg in der Ukraine stimmt mich wenig positiv für die tibetische Sache»
Karma Punkhang mit der Flagge von Tibet. Im Hinterrund das Tibet-Institut in Rikon. Foto Dominik Landwehr

Karma Punkhang ist 1985 in der Schweiz geboren, seine Mutter kam 1981 in unser Land. Er hat sein ganzes Leben in Turbenthal verbracht: «Das ist meine Heimat» sagt er und fügt bei: «Es gibt kein demokratischeres Land als die Schweiz». Karma Punkhang arbeitet in Zürich als Buchhalter: «Zahlen liegen mir und es muss immer stimmen, das gibt mir Sicherheit».

Der junge Mann ist seit seiner Jugend auch für die Sache der Tibeter engagiert, er war im Verein Tibeter Jugend in Europa (VTJE) aktiv und auch Sektionsleiter der Region Tösstal. Hier geht es um Geselligkeit und natürlich pflegt man auch die Kultur Tibets. Es ist wichtig die tibetische Sprache und auch die Schrift zu kennen und zu üben. «Für mich war es ein Ort, wo ich mich zu Hause fühlte. Andere junge Tibeter mit der gleichen Denkweise, mit den gleichen Problemen, welche meine Schweizer oder ausländische Freunde nicht verstehen konnten.»

Der 10. März, der Jahrestag des Volksaufstandes in Tibet war für seine Familie und seine Landsleute immer wichtig. In seiner Kindheit sei jeweils ein ganzer Bus voller Tibeter aus Turbenthal an die nationale Kundgebung in Bern gefahren. Die Demonstration fand er jeweils eher langweilig, spannend war für die Kinder die Fahrt und die Pausen und die leckeren tibetischen und indischen Spezialitäten. Momos? – Er winkt ab, das ist eher was für das Wochenende, wo man genügend Zeit für die Zubereitung hat. Man habe eher indische Brötchen (Chapati) mit Fleischcurry gegessen und Shapaley (frittierte Teigtaschen). Karma Punkhang bedauert etwas, dass die Tibeter-Gruppe im Tösstal kleiner geworden ist. Natürlich tauscht man sich regelmässig aus und es gibt auch eine WhatsApp Gruppe, wo man Aktivitäten und Feste organisiert.

Karma Punkhang lebt mit seinem jüngeren Bruder und seiner Mutter in Turbenthal, die ihm ab und zu vom Leben in Tibet erzählt. Ihre Familie hatte ein grosses Land mit vielen Bediensteten. Die Grossmutter sie jeweils auf dem Pferd zum Markt geritten um dort Fleisch vom Bauernhof zu verkaufen und sich zum Beispiel Stoffe zum Nähen zu beschaffen.Die Vorstellung vom Lebens im tibetischen Hochland habe ihn jeweils sehr inspiriert.

Der Zusammenhalt mit seiner Familie und seinen tibetischen Freunden ist ihm sehr wichtig. Das war schon als Kind so. In der Primarschule gehörte er zu den Ausländern in der Klasse. Aber etwas unterschied ihn von den Türken, Portugiesen und Italienern seiner Jugend: «Sie gingen im Sommer alle in ihre Heimatländer in die Ferien. Wir blieben in Turbenthal». Karma Punkhang war noch nie in Tibet: «Es ist für uns Tibeter sehr schwierig, dahin zu reisen, man weiss nie, ob man ein Visum kriegt oder nicht und das macht die Sache sehr unsicher».

Thema Olympia in China

In der Tibeter Gemeinschaft Schweiz und Lichtenstein (TGSL) war auch die Winterolympiade in in Peking ein Thema. Man hat eine Kampagne geführt, um auf die Situation in Tibet aufmerksam zu machen. Die Gruppe hat seit Sommer 2021 bis zum Beginn der olympischen Spiele jeden Monat eine Protestaktion durchgeführt. Diese Kampagne war ein Teil der weltweiten Kampagne #NoBeijing2022. «Es ist meines Wissens, das erste Mal, dass sich weltweit alle unterdrückten Völker und Regionen Chinas sich zusammengeschlossen haben.» Zu Ihnen gehören die Tibeter, Uiguren, Südmongolen, Hongkonger und Taiwaner. «Ich denke, es ist auch ein Verdienst dieser Kampagne, die zu diplomatischen Boykotts westlicher Staaten geführt hatte. «

Karma Punkhang hat persönlich die Olympische Spiele nicht live mitverfolgt. Ich habe nur Artikel zu Olympia gelesen. «Mich hat mehr die Wahrnehmung auf die Olympische Spiele interessiert», sagt er.

Am Schluss des Gesprächs kommt ein heikles Thema zur Sprache: Wie ist das mit der Liebe? Statt einer direkten Antwort holt Karma Punkhang etwas aus: Jedes Mal, wenn der Dalai Lama, das geistige Oberhaupt der Tibeter, in die Schweiz kommt, würde es eine Privataudienz für die Tibeter geben. Die Botschaft des Dalai Lama sei immer ganz klar: «Wir haben kein eigens Land mehr. Wir müssen dankbar sein, hier in der Schweiz sein zu dürfen. Versucht euch zu integrieren und nicht negativ aufzufallen.» Besonders wichtig ist für den Dalai Lama auch die Pflege und Weitergabe der tibetischen Kultur und Sprache. – Von daher ist klar: Karma Punkhang hätte gerne eine Partnerin mit demselben kulturellen Hintergrund. Das sei nicht ganz einfach, denn die Gemeinschaft ist sehr klein – in der Schweiz leben gerade mal 8000 Tibeter – und alle Freundschaften würden sehr genau beobachtet und kommentiert. «Ich bin da etwas scheu» sagt er zum Schluss.

Verein Tibeter Jugend
http://www.tibetanyouth.org/de/

KASTEN
Der Volksaufstand vom 10.März 1959

Schon im Sommer 1950 marschierten die chinesischen Militärs in Tibet ein. Die Tibeter bestanden auf die Erhaltung ihrer Eigenständigkeit in Sprache, Kultur und Religiln. Die Spannungen stiegen in den Jahren darauf an und gipfelten im Volksaufstand am 10. März 1959 in Lhasa und wurde in den folgenden Tagen mit Waffengewalt niedergeschlagen. Die Chinesen zerstörten während der Kulturrevolution von 1966 mehrere tausend Klöster und andere Kulturdenkmäler.

Nach der Niederschlagung des Volksaufstandes flüchteten etwa 80 000 Tibeter in die Nachbarländer nach Indien, Nepal, Sikkim oder Bhutan. Der Bundesrat entschied sehr schnell – gegen den Widerstand Chinas – eine Gruppe von Tibetern aufzunehmen. Schon im Oktober 1960 erreichten die ersten Flüchtlinge die Schweiz. Im Tösstal war in den Jahren danach die Familie Kunz aus Rikon besonders aktiv, die einer grösseren Gruppe von Tibetern Arbeit und Wohnung offerierte. Das Engagement der Familie Kuhn führte auch zur Gründung des Tibet-Instituts, das 1968 eröffnet werden konnte

Bundesarchiv
https://www.bar.admin.ch/bar/de/home/service-publikationen/publikationen/geschichte-aktuell/volksaufstand-in-tibet–10–maerz-1959.html

Dieser Text erschien am 11.März 2022 im Tössthaler.