Rumänien 2010 (4): Obcina – der Mann mit der Geige

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Der Mann mit der Geige am Zaun – ein Bild, das im Gedächtnis haften bleibt. Eine Musik-Geschichte aus der Maramures.


Wir treffen den Mann mit der Geige auf unserer Wanderung nach Obcina. Eine Alp auf 1000 Meter, hoch über dem Vischau-Tal. Keine Strasse führt zu diesen entlegenen Höfen im äussersten Norden Rumäniens, dahinter ist irgendwo die Grenze zur Ukraine. Strom und fliessendes Wasser gibt’s hier rkeines, nur die Netze der modernen Mobilkommunikation, die reichen bis hierher.
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Es ist eine ukrainische Volksgruppe aus Rumänien, die hier den Sommer verbringt: Die Ruthenen. Eine Handvoll Familien lebt in Obcina. Der Mann mit der Geige heisst Ivan Cin und ist hier geboren – seit einer Kinderlähmung ist er leicht behindert und kann die harte Arbeit mit den Tieren, dem Heu, den schweren Lasten nicht leisten. Sein Lehrer erkannte seine Musikalität schon früh und förderte sie mit den Mitteln, die es hier gab. Notenlesen hat Ivan nie gelernt. Er spielt nach Gehör, die melancholischen Weisen, die hier zur Tradition gehören. Nur allzu gerne wäre er ein richtiger Musiker geworden – in der Stadt und hätte so die Welt des Orchesters kennengelernt. Das lag nicht drin, er musste bleiben.
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Ivan freut sich sichtlich über den Besuch unserer Gruppe und beginnt sein Konzert mit einigen Maultrommel-Klängen. Eine seiner Spezialitäten. Er soll die kleinsten Maultrommeln weit und breit herstellen und überlässt uns ein paar davon für 5 Leu das Stück. Das ist etwa ein Euro.
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Und dann holt er seine Geige und beginnt das Konzert – Tänze sind es, die er uns spielt. Zuerst einen rumänischen, dann einen ruthenischen. Schwer für uns, einen Unterschied auszumachen. Das Instrument hält er nicht am Kinn, sondern an der Brust. Immer wieder dreht sich sein Kopf weg von der Geige, die Augen geschlossen. Und was wir hören, tönt ganz anders als das, was wir glauben als rumänische Volksmusik zu kennen. Auf den oberen Saiten eine Melodie, die unteren Saiten werden immer wieder leer mitgestrichen. Die Fiddel-Tradition der Schweizer Volksmusik klingt hier irgendwie an. Die Hühner neben scheinen die Musik zu kennen und gackern ganz aufgeregt, als er zu spielen beginnt. Ein merkwürdiges und eindrückliches Konzert.
Kristina – eine schwedische Lehrerin mit Schweizer Wurzeln holt ihre Blockflöte und spielt „S Vreneli ab em Guggisberg“. Kein Schweizer Volkslied ist in den letzten Jahrzehnten häufiger interpretiert worden, immer wieder auch von Popmusikern wie Stephan Eicher. Die Volksweise in Moll soll ihre Wurzeln im Balkan haben und ist nach gängiger Auffassung vor langer Zeit mit Zigeunern in die Schweiz gekommen. So schliesst sich der Kreis und das Fremde wird plötzlich zum Bekannten. Genau so wie uns die Bilder der Kinder auf der Bank vor der Hütte an an Fotografien eines Paul Senn und anderer Fotografen an Reportagen aus der Schweiz der 30er Jahre erinnern.
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Ivan erzählt von seinem Leben – wie er jeweils zur Weihnachtszeit von Haus zu Haus geht und überall eine Stunde lang zum Tanz aufspielt. In seinen beiden Westentaschen, so berichtet er, hat er jeweils eine Schnapsflasche. Nicht zum Trinken – im Gegenteil: Dorthin schüttet er den Schnaps, der ihm gereicht wird. Betrunken kann er nicht spielen, das sei nicht möglich.
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Geld will er nicht für sein Ständchen – Björn Reinhard, unser Gastgeber hat das wohl direkt mit ihm geregelt. Und ihm einen Film in seinem Maramures-Filmarchiv gewidmet.
Wir verabschieden uns und setzen unsere Wanderung fort. Aber die Klänge der Violine gehen mit uns – nicht nur im Kopf: Ivan begleitet uns eine Stück durch die Blumenwiese und bleibt schliesslich am Zaun stehen. Ein Bild, das nicht zu vergessen ist.
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