re:publica 14: Konferenz als Happening

Die Utopie vom Internet als einem Instrument der Befreiung ist nicht tot. Das zeigt die diesjährige re:publica, die grösste Konferenz zum Thema Internet, Gesellschaft und Politik. Sie fand vom 6.-8.Mai in Berlin statt und zog über 6000 Leute. „Into the Wild“ hiess das Motto dieses Jahres. Was ist das Geheimnis dieses Erfolgs?
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Angefangen hatte es vor acht Jahren als Konferenz für Blogger. Immerhin kamen schon damals einige hundert Personen zu diesem Anlass. Heute, acht Jahre später hat die Konferenz so viele Helfer,wie damals Teilnehmer. 6000 Gäste an einer Konferenz, an der eigentlich nur geredet wird, das ist schon ungewöhnlich.
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Die re:publica ist allerdings mehr als eine Konferenz, sie gleicht eher einem Happening. 325 Vorträge, Diskussionen und Workshops waren dieses Jahr angesagt. Das bedeutet, dass öfter mal zehn Anlässe gleichzeitig stattfinden und zum Zappen geradezu einladen. Wen das Thema nach fünf oder zehn Minuten nicht fesselt, verlässt den Raum. Die Teilnehmer setzten nicht weniger als 88 000 Tweets mit dem Hashtag #rp14 ab und sorgten für einen Infoaustausch an der Basis. Ein weiterer Grund ist die Location: Die re:publica findet nicht in einem Konferenzzentrum statt, sondern im gigantischen ehemalige Busdepot ‹Die Station› beim Berliner Gleisdreieck. Bühne, Stühle, Tische, Scheinwerfer, Projektoren und Lautsprecher sind nur vorübergehend hier, das schafft die Atmosphäre des Improvisierten, Vorübergehenden. Und in der Mitte des Gebäudes lockt eine riesige Lounge mit Informations- und Kaffeeständen.
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Ohne Inhalte würde allerdings kein einziger der Gäste hierherkommen. Mit einem Call for Papers suchten die Organisatoren Monate im Voraus nach spannenden Referaten. Zum anderen luden sie natürlich selber Gäste ein. Da war zum Beispiel die Journalistin Sarah Harrison zu sehen, die den Internetaktivisten Edward Snowden aus Hongkong heraus gebracht hatte oder der russisch-amerikanische Technologiekritiker Evgeny Morozov. Der Hacker Jacob Appelbaum fragte, warum so viele Leute bereit sind, ihr Innerstes dem Internet anzuvertrauen und erklärte in einem Vortrag, warum Verschlüsselung heute so wichtig ist.
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Zu einer solchen Konferenz gehören neben den Schwergewichten natürlich auch die Stars
und Sternchen. Mit der Einladung des Altstars David Hasselhoff, der sich vor den Karren einer Internet-Sicherheitsfirma spannen liess, machten die Veranstalter wohl einen deftigen Missgriff. Zu hunderten verliessen die Leute den Saal, nachdem sie den Sänger einmal gesehen hatten. Bianca Jagger – ex-Frau von Mick Jagger – war da schon ernsthafter, sie kämpft heute für die Einhaltung der Menschenrechte. Fast leer war der Saal allerdings beim österreichischen Kunsthistoriker Peter Weibel, er nuschelte etwas von der Verschwörung des militärisch-industriellen Komplexes. Hören wollte ihn aber keiner. Dauergast an der re:publica ist der Online-Aktivist Sascha Lobo, der auch im SPIEGEL online Kolumnist ist. Er durfte gleich zweimal reden und beschäftige sich unter anderem mit der Frage, warum die Vogelschützer in Bayern mehr Geld für den Vogelschutz und die Rettung der Bekasssine (das ist ein seltener Vogel) auftreiben können als die Internetaktivisten für eine Kampagne für ein freies Netz.
Dazu gehört auch jede Menge Technisches: Da wurde etwa Podcast-Software erklärt oder Programme zum Betreiben einer eigenen Datenwolke (owncloud), immer wieder Thema natürlich auch das offene Betriebssystem Linux und die dazugehörigen Computer wie etwa der Rasperry-Pi.
Auch Schräges und Krudes hat an einer solchen Konferenz ihren Platz: Die deutsche Bloggerin Eva Horn sprach in einer rappelvollen Halle zur Frage des Entliebens in Zeiten von Facebook und fragte ob es okay ist, den Ex via Social Media nachzuspionieren und mit seinem Passwort alle seine Mails zu lesen. Damit hatte sie genau den Nerv des Publikums getroffen, das sich vor Begeisterung kaum mehr halten konnte. Diese Veranstaltung machte auch klar: Das ist nicht eine Konferenz im alten Stil sondern hier feiert eine Szene sich selber, wie etwa ein ZDF Kulturjournalist meinte. Und diese Szene sind die Spätadoleszenten, die in Berlin eine wichtige Rolle spielen. Tatsächlich war ein Grossteil des Publikums zwischen 20 und 35 Jahren alt. Baden-Württemberg betrieb an einem Stand Imagewerbung und versuchte Arbeitskräfte in den Süden von Deutschland zu locken. Wer den eifrigen Werbern zuhörte kriegte schon mal eine Tafel Ritter-Sport-Nougat. Ob das allerdings reicht die Kids von der Dauerparty Berlin wegzulocken muss doch bezweifelt werden.
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Zwei Veranstaltungen haben den Schreibenden besonders beeindruckt: Da war zum Beispiel von einer Radioinitiative für Syrien zu hören. Ein Netzwerk von syrischen Aktivisten produziert im Ausland – unter anderem auch in Berlin – Radiosendungen. Diese Sendungen werden per Satellit nach Syrien übertragen und dort von einer Vielzahl von mobilen Kleinstsendern ausgestrahlt. Die Technologie ist eine Mischung von traditioneller und modernster Übertragungstechnik. Die zentrale Steuerung wieg kaum mehr als ein Kilo, sie holt sich die jeweils neusten Sendungen via Parabolantennte automatisch vom Satelliten und wechselt ebenso automatisch die Frequenz, wenn sie gestört wird. Beim Projekt hat eine Designergruppe gestaltet und dafür auch Unterstützung vom Auswärtigen Amt Deutschlands erhalten.
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Ein grosses Thema an der re:publica war Youtube. Hier hat sich in den letzten Jahren eine Szene von ganz jungen Leuten etabliert, die ihre eigenen Kanäle betreiben – und zwar mit durchschlagendem Erfolg. Die Sendungen sind öfter mehr pubertärer Klamauk als ernsthafte News. Einer von ihnen nennt sich LeFloid. Sein Kanal hat über 200 000 Abonnenten und über eine Million Aufrufe pro Monat. Produzenten wie er gibt es Dutzende in Deutschland. Und Youtube respektive Google nimmt diese Leute sehr ernst und beteiligt sie an den Werbeeinahmen der Internetseite. Was heisst das in Zahlen? – No comment, ist die lakonische Antwort der neuen Videojournalisten. Stattdessen ärgern sie sich über die Firmen, die ihnen unsinnige Produkte für ein bezahltes Product-Placement anbieten wollen.
Youtube und Video ist auch ausserhalb dieser Diskussion ein wichtiges Thema für die Konferenz: Die wichtigsten Reden wurde alle aufgenommen und über einen eigenen Youtube-Kanal angeboten. Da kann es dann schon mal passieren, dass man in einem Vortrag sitzt und auf seinem Tablet oder Smartphone eine spannende Diskussion vom Vortag auf Youtube verfolgt. Schöne neue Welt! – Schon in der U-Bahn wurde man auf dem Infoscreen mit den aktuellen Twitter-Meldungen der Konferenz versorgt. Die re:publica schafft auch etwas, was der Schreibende noch nie gesehen hat: Bereits einen Tag nach der Konferenz erschien jeweils ein Tagungsband als E-Book. Ein Projekt übrigens, das zusammen mit einer Journalistenschule realisiert wurde. Mindestens für die Hauptbühne wurde nämlich hinter den Kulissen jedes Wort mitgeschrieben und als Text projeziert, eine Dienstleistung für Hörbehinderte, die wohl einzigartig ist – und natürlich gleichzeitig ein riesiges Textkonvolut produziert.
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Die re:publica mag ein Happening sein. Aber sie setzt Massstäbe. Das gilt für die eben beschriebene mediale Präsenz, das gilt aber auch für die Konferenz als Happening. Information und Diskussion im Tagesschau-Stil haben bei der Internet-Generation defintiv keine Chance mehr. Und online und offline scheinen sich unentwegt zu vermengen. Das Publikum in der Lounge schien ihren Computer, Smartphones und Tablets ebensoviel Aufmerksamkeit zu schenken wie dem Smalltalk mit anderen Gästen.
Mehr infos gibt’s auf der Seite der Konferenz: www.re-publica.de und auf dem dazugehören Youtube-Kanal
Als Podcast auch auf
https://voicerepublic.com/
Bericht und Fotos: Dominik Landwehr
dlandwehr at bluewin.ch
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