Reisenotizen Rumänien: Schlaflos in Maramures

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Tut einer eine weite Reise, so erzählt er gerne einmal, er sei am Ende der Welt gewesen. Und wer in Viseu de Sus – Oberwischau in der rumänischen Maramures Region war, verfällt nur allzu gerne auf diese Formel. Zu den letzten Ufern aufzubrechen ist einer der Mythen der Moderne, denn vielleicht gibts diese letzte Ufer längst nicht mehr. Kein Ort, wo Google-Earth nicht hinguckt, kein Ort, wo das Handy nicht funktioniert…oder doch mindestens ein Satellitentelefon, das der gewiefte Reisende stets mit sich führt…


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Björn Reinhard, der seit anfang 90er Jahre mit seiner Frau dort lebt und eine höchst ungewöhnliche Pension führt, mag den Vergleich vom Ende der Welt nicht mehr hören. Ein Blick auf die Karte zeigt schnell: Maramures ist genau so wie Lemnberg oder Tschernowitz in der geografischen Mitte von Europa. Und trotzdem….
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Trotzdem ist es weit nach Oberwischau. Eine Tagreise zum nächsten grossen Flughafen – Budapest oder Bukarest – reicht nicht, es sei denn, man ist ein robuster (Miet)-Autofahrer. Alle anderern nehmen sich besser zwei Tage Zeit, zumal es unterwegs auch einiges zu sehen gibt. Und man lasse sich nicht von Strassenkarten täuschen: In den Karpaten kommt man kaum mehr als 50 Kilometer pro Stunde vorwärts, was immerhin eine sehr genaue Kalkulation erlaubt.
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Wie kommt jemand darauf, hier Fuss zu fassen? – Die neugierige Frage ist erlaubt und die Antwort eine schöne (Liebes)Geschichte: Björn stammt aus dem ehemaligen Ostdeutschland und hat als Kind hier immer Ferien gemacht. Das dürfte – Irrtum vorbehalten – auch nicht gerade die populärste Ferienregion des Ostens gewesen sein. Wer damals hierher kam, muss auch schon seine Gründe gehabt haben und gerne eigene Wege gegangen sein. Jene Zeit ist ihm noch sehr präsent und gerne berichtet er auch, wie man mit Kaffee, Zigaretten und Pfeffer sein Reisebudget aufbesseern und sogar eines der begehrten und teuren Flugtickets kaufen konnte.
Nach der Wende zog es den Mecklenburger wieder hierher – hat er seine Florentina schon als Kind gekannt? – Man möchte es fast meinen. Jedenfalls sind die zwei ein Paar und führen die vielleicht ungewöhnlichste Pension, die ich jemals besucht habe. Denn kein Wegweiser zeigt den Weg hierher – aber seine Internetseite gibt erschöpfend Auskunft. Wer die Unterkünfte im Tal gesehen hat, wird nicht viel erwarten.
romania-07-130.JPGUnd dann die grosse Überraschung: Drei Häuser, umzäunt von einem grossen Gartenzaun, und man wähnt sich im Paradies. Eine perfekte Wohnung, behaglich eingerichtet, erwartet uns. Bücher und BIlder sind im Überfluss vorhanden und dass ein Fernsehgerät samt DVD Spieler bereit steht, hat einen besonderen Grund: Björn Reinhard ist ein passionierter Videofilmer mit einem ethnografischen Blick, mit vielen Geschichten im Kopf, die nur darauf warten, erzählt zu werden. Und er hat etwas, wovon alle träumen: Zeit. Seine Filme sind ethnografische Studien, die vlelleicht nicht allen filmografischen und wissenschaftlichen Kriterien stand halten mögen – aber gerade dadurch unverwechselbar sind.
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Noch etwas: Übernachten kann man im Weintal mit oder ohne Verpflegung: Die Küche von Florentina sollte man sich nicht entgehen lassen. Traditionelle rumänische Kost, ganz sanft modernisert und nicht ganz so schwer wie anderso. Und mit etwas Glück gibts Palatschinken von der Grossmutter, die nur einige Schritte entfernt wohnt. Ruhe ist hier garantiert. Gut zu Fuss sollte man sein – und keine Angst vor Wanderungen ohne Wegweiser. Wenn plötzlich zwei zähnefletschende Hunde vor einem stehen, hat man möglicherweise doch den falschen Weg erwischt…
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Links und rechts des Weges immer wieder Zäune aus geflochtenen Weiden. Sie sehen solide aus und dürften mehr
als einen Winter überdauern. Immer wieder dieses Staunen, diese wilde Exotik. Das ist der urbane Blick, wer hier lebt, empfindet das bestimmt nicht so.
Und Björn zeichnet seine Dokumente in einer Zeit des Wandels auf: Denn nach dem Eintritt des Landes in die Europäische Union dürfte sich auch hier im Norden des Landes manches bald ändern. Wie lange werden die wenigen Ruthenen-Familien mit ihren Schafen noch Jahr für Jahr auf ihre Alp nach Opcina ziehen oder dort gar überwintern? – Wie lange wird das Pferd noch das wichtigste Transportmittel der Talbewohner sein? – Und wann beginnt der Alternativ-Tourismus die Gegend noch mehr zu entdecken?
Trotzdem: So schnell wirds wohl nicht gehen – denn noch ist der Weg dorthin weit. Und wer es trotzdem versuchen will findet auf den Seiten von Björn reichlich Informationen
Mehr Infos auch von dlandwehr at bluewin.ch

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