Cover Simplicissimus

Grimmelshausen und die Kunst des Chiffrierens

Im Barockroman Simplizissimus von Grimmelshausen spielt die Kunst des Verschlüsselns eine wichtige Rolle. Das geht soweit, dass einzelne Text sogar in einer leicht zu erratenden Chiffrierung geschrieben sind. Grund genug für die deutsche deutsche Grimmelshausen Gesellschaft darüber ausführlich zu reden.
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Der nachfolgende Text ist die Besprechung eines Tagungsbandes für die Zeitschrift Cryptologia.
Die deutsche Grimmelshausen Gesellschaft hat sich in ihrer Jahrestagung im Juni 2014 mit dem Thema Chiffrieren und Dechiffrieren in Grimmelshausens Werk und in der Literatur der frühen Neuzeit befasst. In einem über 400 Seiten starken Tagungsband, der 2015 erschienen ist, kann man nun die Referate dieser Tagung in deutscher Sprache nachlesen.
Das Thema der Tagung mag für den Aussenstehenden überraschen. Es ist aber bei weitem nicht so exotisch, wie es auf den ersten Blick klingen mag. Das zeigt ein Blick auf die Person, die im Zentrum dieser Tagung stand: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen[1] (1622 – 1676 ) war einer der bedeutendsten Schriftsteller des deutschen Barocks. Sein Hauptwerk „Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ meist nur Simplicius Simplicissimus genannt ist der erste Abenteuerroman, er erschien erstmals 1668. Es kann heute in deutscher und englischer Sprache im Volltext im Internet gelesen werden: http://www.gutenberg.org/ebooks/33858
Das Werk gehört zu den wichtigsten Büchern der deutschen Literaturgeschichte. Es steckt voller Anspielungen und Rätseln. Sein Autor liebte das Geheimnisvolle, Kuriose und Magische, er hatte aber auch ein Flair für die Wissenschaft seiner Zeit und ganz offensichtlich hatte er auch einige Kenntnisse in der Kryprografie, die seit dem späten 15.Jahrhundert einen Aufschwung erlebt. Der Sinn fürs Geheimnisvolle zeigt sich etwa für seine Liebe für Anagramme. So veröffentlichte Grimmelshausen den Simplizissimus zuerst unter dem Namen German Schleifheim von Sulsfort. Das ist ein Anagramm seines eigenen Namens.
Die Hauptfigur des Werkes bezeichnet sich selber als Zipheranten, also als Anhänger der Verschlüsslung und der Text liest sie so:
…und weil ich ohne Ruhm zumelden
ein zimblicher Zifferant bin
und mein geringste Kunst ist
ein Brieff auff einen Faden:
oder wohl gar auff ein Haar zuschreiben
den wohl kein Mensch wird außsinnen
oder errathen koennen
zumahlen auch vor laengsten
wohl andere verborgene Schrifften außspeculiert;
als die Steganographioe Trythenio seyn mag…

Der Tagungsband der Grimmelshausen Gesellschaft vereinigt drei verschiedene Arten von Artikeln: Artikel zu kryptologischen Aspekten im Werk von Grimmelshausen, Artikel zu Fragen der Kryptologie der frühen Neuzeit und des Barock sowie weitere literatur- und kunstwissenschaftliche Artikel zum Werk von Grimmelshausen. Auf letztere wird hier nicht eingangen.

Unter den Wissenschaftern, die zur Tagung geladen waren, war auch der deutsche Kryptologe Klaus Schmeh. Er hat in einem umfangreichen Text dargelegt, welche Fragen sich heute im Kontext der Dechiffrierung von verschlüsselten Texten der frühen Neuzeit stellen. Sie lassen sich in der Regel mit modernen, computergestützten Methoden nicht lösen. In jener Zeit wurden zwar Verfahren verwendet, die mathematisch sehr einfach waren. In der Regel sind aber die benutzten Verfahren nicht bekannt und zudem steht nur eine begrenzte Menge des Geheimtextes zur Verfügung. Das ist auch einer der Gründe, dass es auch heute zahlreiche verschlüsselte Werke der Geschichte gibt, die sich bisher nicht lösen lassen. Als Beispiel führt Klaus Schmeh das erstmals von Thomas Astle beschriebene Kryptogramm aus dem 15.Jahrhundert an. Die historische Kryptoanalyse ist auch heute noch nicht sehr entwickelt, dabei gibt es ein weites Feld. Es beinhaltet etwa die Korrespondenz der Adligen, militärische Kommunikation, verschlüsselte Tagebücher, sprituelle Literatur, Bücher von Geheimgesellschaften, verschlüsselte Postkarten aber auch Texte mit unklarem Zweck.
Dieter Breuer referiert in seinem Artikel die wichtigsten Referenzen des deutschen Barockautors Grimmelshausen. Er war wie viele seiner Zeitgenossen belesen dabei hat er sich wohl eher an die populären Zusammenfassungen seiner Zeit gehalten, als an die eigentliche Fachliteratrur. Dabei waren aber die Grenze jener Gattungen anders gezogen als heute und öfter mal fliessend. Zu den zeitgenössischen populären Autoren, die Grimmelshausen ohne Zweifel kannte gehörte etwa der italienische Renaissance Gelehrte Tommaso Garzoni (1548 – 1589). Er befasste sich in seinem Buch „La piazza universale di tutte le professioni del mondo“ auch mit Krypografie. Sein Rat an seine Leser war, den bekannten kryptografischen Verfahren seiner Zeit nicht zu viel Vertrauen zu schenken sondern lieber eigene Verfahren auszudecken. Für die damalige Zeit ein erstaunlich origineller Vorschlag. Garzoni kennt sich auch mit den Methoden der Kabbalisten aus. Diese mystische jüdische Tradition spielte in der frühen Neuzeit eine grosse Rolle; sie suchte unter anderem mit Hilfe von Zahlen nach verborgenen Botschaften im Text. Zu den Autoren, die Grimmelshausen kannte, gehört auch der Trithemius, dessen Rolle in der historischen Kryptologie unbestritten ist. Zum kryptografischen Horizont jener Zeit zählten auch die ägyptischen Hieroglyphen. Sie übten eine grosse Faszination aus und stellten die Gelehrten vor grosse Rätsel. Aufgelöst wurden sie bekanntlich erst 1822 durch Jean-François Champollion (1790 – 1932).

Maximilian Gamer geht in seinem Aufsatz auf das für die Kryptologie wichtigste Kapitel im berühmten Werk von Grimmelshausen ein: Es ist das neunte Kapitel im zweiten Buch des Simplizissmus, der so genannten Continuatio ( Fortsetzung). Auf einem Spaziergang durch den Wald findet die Hauptfigur des Romans eine Steinskulptur, die bald zu reden beginnt und sich selbst Baldanders (The Soon-Another). Dabei handelt es sich um eine Figur, die bereits vom deutschen Dichter des Mittelalters Hans Sachs (1494 –1576) beschrieben wurde. Baldanders enthüllt ihm sein Geheimnis, wie man mit toten Gegenständen reden kann. Seine Botschaft kleidet er allerdings in ein kryptografisches Rätsel: „Manoha, gilos, timad, isaser, sale, lacob, salet, enni nacob idil“
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Tabelle zum Chiffrieren aus der Polygraphia von Trithemius von 1508
Dabei ist die Verschlüsselung bewusst einfach gewählt, so dass der Leser sie auflösen kann man muss nämlich jeweils den ersten und letzten Buchstaben des behalten. Warum wurde die Beschreibung der Methode in ein Rätsel gepackt? Die Fähigkeit mit unbeseelten Dingen sprechen zu können galt in jener Zeit als Magie und deshalb musste diese Botschaft geschützt werden. Es dürfte aber auch dem Unterhaltungsbedürfnis der Zeitgenossen entsrochen haben, die sich in einem solchen eingebetteten Rätsel Kurzweil versprachen.

Grimmelshausen hat offenbar in seinem Simplizissimus zahlreiche kabbalistische Anspielungen versteckt. Wolfgang Winter hat sie in seinem Aufsatz Grimmelshausen Zahlyensymbolik entschlüsselt. Die grosse Anzahl von solchen Botschaften lassen den Schluss zu, dass Grimmelshausen gut vertraut war mit den Bedeutungen der kabbalistischen Zahlenmystik. Dies beginnt bereits mit der Feststellung Beginnt mit der Fessellung dass der erst Satz von Simplizissimus aus 153 Worten besteht. Die Zahl 153 hat einen hohen Symbolwert in der kabbalistischen Lehre. Sie ist ihrerseits das Produkt von 9 und 17, die ihrerseits eine wichtige Bedeutung haben. Die Zahl 153 findet sich etwa im Johannes-Evangelium wieder: Demnach sollen die Jünger von Jesus am See Genezareth 153 Fische gefangen haben.

Der zweite Teil des Kongressbandes wirft einen Blick auf kryptografische Fragen Literatur der frühen Neuzeit und des Barocks. Tomas Tomasek etwa befasst sich mit der Geschichte des deutschen Rätsels mit einem Blick auf das 17.Jahrhundert. tatsächlich waren die Rätsel eine äusserst beliebte Textgattung, die bis vor kurzem von der Literaturwissenschaft nur wenig wahrgenommen wurde. Ein umfangrreiches Projekt der DFG hat bis heute über 100 000 Belege für Rätsel in der frühen Neuzeit gefunden. Die bedeutendste Quelle war dabei das Strassburger Rätselbuch, das bereits um 1500 zum ersten Mal erschien und in der Folge Dutzende Mal nachgedruckt wurde. Zu den berühmtesten Rätsel jener Zeit gehört folgender Satz:

Es kam ein Vogel federlos,
saß auf dem Baume blattlos,
da kam die Jungfer mundlos
und fraß den Vogel federlos
von dem Baume blattlos.

Die Auflösung: Der Schnee (Vogel federlos) liegt auf einem im Winter kahlen Baum (Baum blattlos), die Sonne (Jungfer mundlos) bringt den Schnee zum Schmelzen (fraß den Vogel blattlos).
Hans-Joachim Jakob befasst sich in seinem Aufsatz mit einem weiteren Werk zur Kryptologie: Daniel Schwenteners Steganologia & Steganographia NOVA um 1620. Die Handbücher von Schwenters vermitteln das Handwerkszeug für Buchstabenumstellungen und -Substitutionen. Wichtig aus heutiger Sicht ist auch seine Abgrenung von der Magie, denn die Kunst der Verschlüsselung und Verschleierung von Botschaften wurde in der frühen Neuzeit gerne mit Magie verwechselt. Das war für den Autor gefährlich und konnte nicht nur zum Verbot seiner Bücher, sondern auch zur Verfolgung seiner Person durch die Inquisition führen.

Dieser Gedanke ist auch für Karl de Leuw wichtig, der sich mit einem weiteren Werk der barocken Kryprogeafie befasst nämlich mit dem Zauberbuch des Niederländers Simon Witgeests das 1679 zum ersten Mal gedruckt wurde. Es enthielt über 2000 Zaubertricks, dabei ging es um Spass ebenso wie um Nützlichkeit. Wie alle seine Zeitgenossen hatte der Autor die Tricks nicht selber erfunden sondern aus der zeitgenössischen Literatur seiner Zeit gesammelt. Seine kryptografischen Rezepte sind allerdings nicht sehr weit entwickelt. Er scheint sich weit mehr für die Verschleierung von Botschaften durch steganografische Verfahren und für die Herstellung von allerlei Geheimtinten interessiert zu haben.

Der Kongressband der deutschen Grimmelshausen Gesellschaft erlaubt einen tiefen Blick in den Diskurs über die Kryptografie der frühen Neuzeit. Die Texte sind sorgfältig editiert, die zahlreichen Anmerkungen erlauben es dem Leser, den Hinweisen nachzugehen. Schade ist aber, dass der über 400 Seiten starke Band keine ausführliche Einleitung und keine Abstracts, weder in deutscher noch in englischer Sprache beinhaltet. Das erschwert die Lektüre und steht einer etwas weiteren Verbreitung im Wege.
Simpliciana. Schriften der Grimmelshausen Gesellschaft 2014. Bern, Berlin etc (Peter Lang), 2015.

Der englische Text dieser Besprechung erschien in der Zeitschrift Cryptologia Nr.41 vom Januar 2017
http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/01611194.2016.1236628
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