Seit einigen Wochen ermöglicht Facebook jedem Nutzer seine eigene kleine live-Übertragung. Twitter kennt den Dienst schon länger. Live-Videos sorgen mit verstörende Bilder von Erschiessungen vor laufender Smartphone-Kamera für Entsetzen.
Gut möglich, dass Diamond Reynolds in die Mediengeschichte eingehen wird. Sie hat das Smartphone dabei als die Polizei am 6.Juli 2016 ihren Freund Philando Castile in Minneapolis bei einer Autokontrolle erschiesst. Warum hatte sie ihr Smartphone gezückt? – Sie dürfte gewusst haben, dass solche Kontrollen nicht selten den Auftakt für Gewalt von Seiten der Polizei bilden. Sie wusste Dass die Kontrolle das schlimmstmögliche Ende nehmen würde, ahnte sie aber kaum. Die Bilder verstören, auch wenn die meisten wohl nicht den Live-Stream, sondern die Aufzeichnung davon gesehen haben.
Um zu verstehen, worin die Qualität dieser Medieninnovation liegt, muss ein Blick zurück gemacht werden: Gewalt, Kriminalität, Mord und Krieg vor laufender Kamera das ist in der Geschichte der Medien nichts Neues. Jack Ruby erschoss am 24.November 1963 den Kennedy-Attentäter Lee Harvey Oswald vor laufender Kamera. Wenige Jahre später am 1.Februar 1968 sorgte ein ähnliches Bild für Empörung:
Der Polizeikommandant von Saigon, General Nguyen Ngoc Loan, erschiesst auf offener Strasse einen verdächtigen Mann. Im gleichen Moment, in dem der Schütze seinen Revolver abdrückt, betätigt der amerikanische Fotograf Eddie Adams den Auslöser seiner Kamera. Die Bilder gehen um die Welt – das Foto zählt bis heute zu den meistpublizierten Kriegsbildern. Die Szene wurde auch von Fernsehreportern gefilmt. Ihre Übermittlung via verschiedene Satellitenstationen dauerte Stunden, wenn nicht Tage.
Schnell hat man sich an die Live-Bilder vom Krieg gewohnt. Die Infrarot-Aufnahmen mit ihrem gespenstischen Grünton aus dem Irakkrieg im Jahre 1991 wurden zu Ikonen der Fotografiegeschichte. Im Irakkrieg 2003 hat das Pentagon den ‹Embedded Journalist› erfunden, auch dieser Begriff ging in die Mediengeschichte ein.
Was also ist neu? – Neu ist die Tatsache, dass jeder eine Video live Übertragung starten kann. Jeder, der einen Facebookaccount und ein Smartphone hat. Dasselbe funktioniert übrigens auch mit Twitter. Dort heisst das live Streaming ‹Periscope›. Das ist eine Neuerung, deren Wirkung heute noch gar nicht abgeschätzt werden kann. Allerdings: Sehr häufig wird sie offenbar noch nicht eingesetzt, wie ein Karte von Facebook enthüllt: Sie zeigt welche live Streams von Usern in jedem Moment abrufbar sind. Auffallend dabei die Abwesenheit des afrikanischen Kontinents.
Demokratisierung eines Mediums – Ja aber, ist man geneigt zu sagen. Zwar kann theoretisch jeder Benutzer einen solchen live-Stream starten. Die letzte Kontrolle bleibt aber beim Betreiber des Angebots, in diesem Fall Facebook. Und der zweite Teil unserer Kurzanalyse fällt etwas ernüchternder aus: Das neue Angebot ist auch ein Beispiel dafür, wie Internetgiganten die Medienwelt auf den Kopf stellen. Und es muss auch auf dem Hintergrund eines Titanenkampfs gesehen werden: Facebook versucht nämlich dem Videoportal Youtube, das in der Hand von Google ist, den Rang streitig zu machen.