Von Aleppo ins Tösstal

Eine unerwartete Begegnung am Container für alte Kleider. Der Text erschien im Tössthaler vom 21.Mai 2016 in der Rubrik Standpunkt.


Im Oktober 2014 hatte ich eine Begegnung, die mich bis heute beschäftigt. Ich war mit einigen Säcken am Kleidercontainer von Kollbrunn. Dort sprach mich eine junge Frau in gebrochenem Englisch an und fragte, ob sie meine alten Kleider nicht selber haben könnte. Ich stutzte einen Moment und stellte meine Säcke ab. Wie bitte? – Ja, sie hätte gerne meine alten Kleider für ihren Vater. Sie käme aus Syrien und hätte nur wenig Geld und würde gerne ihrer Familie helfen. Das Ansinnen erregte eher mein Misstrauen als meine Zustimmung. Gerne würde ich meine alten Kleider jemandem schenken, aber dann würde ich sie vorher noch einmal reinigen und bügeln lassen. Es schien, als würde die junge Frau mein Misstrauen spüren. Sie begann zu telefonieren und wenige Minuten später war ein alter Mann mit orientalischem Aussehen neben ihr, der mich sofort umarmte. Ich willigte in die Übergabe ein, wollte aber die Taschen selber tragen – was mir sofort eine Einladung zum Tee eintrug. So kam es zum ersten Besuch im Durchgangsheim für Asylbewerber in Kollbrunn. Ich wurde gleich in die Stube gebeten, sie wirkte ärmlich und erinnerte mich an meine Besuche im Nahen Osten, etwa in Palästina. Draussen auf dem Balkon lagen Baumnüsse zum Trocknen, welche die Familie an der Töss gesammelt hatte. Sicher würden sie diese Nüsse an ihre Heimat erinnern. Nach einer Bemerkung meinerseits kriegte ich gleich einen ganze Migrossack davon zum mitnehmen.
Ich habe die junge Frau – nennen wir sie Farida – seither immer wieder getroffen und so Einblick in Leben und Alltag einer Flüchtlingsfamilie aus Syrien erhalten. Immer wieder zeigte mir Farida Bilder von sich ihrem Freundinnen in ihrer Heimat. Die Familie ist kurdisch und lebte in einem kleinen Dorf. Farida selber machte eine Ausbildung in Aleppo. Ihre Fotos schienen sich kaum vom jenen eines gleichaltrigen Teenagers in der Schweiz zu unterscheiden – da war nichts von fundamentalistischem Islam zu spüren, stattdessen Lebensfreude, Spontaneität, Freundschaft.
Wie ihr die Schweiz gefalle, fragte ich sie immer wieder: Es sei schwer für sie, sie könnte ihre Heimat nicht vergessen. Die Bilder vom Krieg würden sie nicht schlafen lassen, ihr Dorf, ihr Leben in der Stadt, ihre Freundinnen fehlten ihr. Wie verbringt Farida ihre Tage in der Schweiz? – Sie kümmert sich um ihre betragten Eltern, die kaum lesen und schreiben können und ohne sie vollkommen überfordert wären, auch wenn für alles gesorgt ist. Farida selber besucht einen Deutschkurs. Die Fortschritte lassen nicht auf sich warten. Das zeigen unsere Treffen , zwischen denen jeweils Monate liegen. Dank Facebook erfahre ich auch in der Zwischenzeit etwas mehr über ihr Leben.
Beim letzten Treffen erzählt mir Farida, der Deutschkurs sei nun abgeschlossen, sie sei auf dem Niveau B2. Und das in nur gerade zwei Jahren! Sie sei nun damit beschäftigt, eine Arbeit zu finden und könne vielleicht sogar eine Ausbildung machen. Infrage käme der Verkauf oder ein Einsatz in der Pflege.
Die letzte Nachricht kam vor wenigen Tagen auf Facebook: Hurra, ich habe eine Ausbildungsstelle in einer Pflegeeinrichtung erhalten.
Herzliche Gratulation, liebe Farida. Ich wünsche Dir und Deiner Familie alles Gute. Vielleicht hat unser Kontakt auch dazu beigetragen. Und vielleicht gibt es ja sonst noch etwas, was wir für Dich tun können.
PS: Der Name von Farida ist erfunden. Ihre Geschichte nicht.

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