Expedition ins Glück: Ausstellung im Landesmuseum Zürich

«Expedition ins Glück» heisst eine Ausstellung, die zur Zeit im Landesmuseum in Zürich zu sehen ist. Es geht um die Zeit zwischen vor dem Ersten Weltkrieg, die für die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung des 20.Jahrhunderts prägend war.
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Die Ausstellung von Stefan Zweifel und Juri Steiner ist in einem Pavillon im Innenhof des Museums. Durchaus passend, würde man meinen. Und wer in den Pavillon tritt ist zunächst in einem abgedunkelten Raum und taucht ein in die leicht fiebrige Stimmung, die so typisch ist für diese Zeit. Nostalgie ist hier fehl am Platz. «Die meisten Menschen, die das Jahr 1900 erlebt haben, würden sehr erstaunt sein über diese nostalgische und verklärende Interpretation ihrer Epoche. Ihren eigenen Briefen, Tagebüchern, Zeitungen und Romanen nach zu urteilen war ihre eigene Erfahrung dieser Zeit gekennzeichnet von Unsicherheit und Erregtheit, eine rohe, kraftvolle Lebenswelt, die unserer eigenen in vielerlei Hinsicht ähnlich ist: ‹Man hat den Eindruck, als säße man in einem Eisenbahnzuge von großer Fahrgeschwindigkeit, wäre aber im Zweifel, ob auch die nächste Weiche richtig gestellt werden würde›, schrieb Max Weber vor dem Krieg. » Der Text von Philipp Blom, der auch im Ausstellungskatalog abgedruckt ist, ist eine Art Programm für die Ausstellung. Blom hat 2009 das Buch ‹Der taumelnde Kontinent› veröffentlicht. Der Titel wurde zu einem Bestseller und inspirierte auch die Zürcher Ausstellung.
Die Ausstellung thematisiert den Aufbruch ins neue Jahrtausend – die vielfältigen gesellschaftlichen, kulturellen und technischen Umwältzungen mit denen die Menschen konfrontiert waren: Der Siegeszug der Psychoanalyse, die Entdeckung des Unbewussten und der Sexualität, die auch die Kunst bewegte, wie etwa die lasziven Darstellungen von Emmy Hennings in den Bildern von Reinhold Rudolf Junghanns zeigen, der Aufschwung des Massenkonsums und die Welt der Kaufhäuser und immer wieder die Welt der Technik und Wissenschaft. Zu keiner Zeit waren Utopien so mit den Händen zu greifen. Erschütternd auf der anderen Seite die Ahnungslosigkeit gegenüber der drohenden Katastrophe, wie sie beispielsweise in Stefan Zweigs Buch ‹Die Welt von Gestern zum Ausdruck› kommt.
«Wenn ich versuche, für die Zeit vor dem Ersten Weltkriege, in der ich aufgewachsen bin, eine handliche Formel zu finden, so hoffe ich am prägnantesten zu sein, wenn ich sage: es war das goldene Zeitalter der Sicherheit. Alles in unserer fast tausendjährigen österreichischen Monarchie schien auf Dauer gegründet und der Staat selbst der oberste Garant dieser Beständigkeit.»
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Wenn Ausstellung und Katalog in einem Blog zum Thema Digitale Kultur besprochen wird, dann muss es einen Grund dafür geben. Den gibt es auch: In der Zeit zu Beginn des Jahrhunderts manifestiert sich auch ein Aufbruch, der ist Technik, Medien zu finden ist und die Kunst reagiert auf vielfache Weise darauf. Programmatisch ist deshalb die Bemerkung, die der Kunsthistoriker Dieter Daniels an anderer Stelle macht.
«Schon vor Beginn der künstlerischen Medienarbeit werden ihre Motive und möglichen Ziele in Manifesten und utopischen Entwürfen formuliert, die zum Teil weit über den Stand der verfügbaren Technik hinausreichen. Dabei antizipieren diese Thesen schon in vieler Hinsicht die seit den 1960er Jahren einsetzende breite künstlerische Praxis der Medienkunst.» Der Text ist online verfügbar und liest sich gut zu dieser Ausstellung, auch wenn er nicht im Katalog dokumentiert ist.
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Bestes Beispiel für die Bedeutung von Medien und Technik in jener Zeit sind die Utopien der Geräuschmusik wie sie von den Futuristen um Luigi Russolo ersonnen wurden. Erst die elektronischen und noch mehr die digitalen Medien haben diese Utopien wahr werden lassen. Dasselbe liesse sich von der Radiotheorie von Brecht sagen.
Exponate aus dem Bereich von Wissenschaft und Technik nehmen einen breiten Raum ein: Programmatisch darf hier das Auto in Raketenform gelten, es handelt sich um einen Nachbau des A.L.F.A 40-60 HP Aerodynamica aus dem Jahre 1914. Ein anderes Beispiel ist ein Fotoapparat in Form eines Gewehrs, der so genannten Fotoflinte aus dem Jahr 1919. Programmatisch auch die Bedeutung der 1895 entdeckten Röntgentechnik. Sie war für die Medizin, was für die Psychologie die Freudsche Traumdeutung war. Der Blick ins Innere des Menschen mit Hilfe der Technik.
Der Besucher verlässt die Ausstellung durch einen nachtschwarzen und komplett dunklen Tunnel in dem er mit unbestimmten Geräuschen konfrontiert wird. Schlachtenlärm? – Danach ist man im Tageslicht. Wie gross sind die Ähnlichkeiten zwischen der Zeit von 1900 – 1914 und heute? – Stoff zum Nachdenken. Und wer dem Prozess des Nachdenkens auf die Sprünge helfen will greift zum Begleitband, der mehr als ein Ausstellungskatalog ist. Wichtige Bilder der Ausstellung – dazu gehören auch die erotischen Darstellungen – können hier in Ruhe betrachtet werden. In einem Kaleidoskop von Texten tauch der Leser noch einmal in die verwirrende Welt ein, liest Auszüge von Thomas Mann, Friedrich Nietzsche, Robert Musil, Hugo Ball und vielen anderen. Ein Essay von Philipp Blom und ein Gespräch mit Ruth Dreifuss und Jakob Tanner runden die Publikation ab.
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Dieter Daniels: Vorformen der Medienkunst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In: Medienkunstnetz.2004.

Philipp Blom: Im Rausch der Beschleunigung. Der Standard 29.November 2013

Ausstellungskatalog: Expedition ins Glück. 1900 – 1914
Herausgegeben von Stefan Zweifel und Juri Steiner. Mit Beiträgen von Daniel Binswanger, Philipp Blom, Juri Steiner und Stefan Zweifel sowie einem Gespräch von Andreas Spillmann mit Ruth Dreifuss und Jakob Tanner. In Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalmuseum, Landesmuseum Zürich
Zürich 2014. Verlag Scheidegger & Spiess. CHF 49.00 / Euro 38.00.
Bildnachweis
Ausstellungsplakat. Schweizer Landesmuseum 2014.
40-60 HP Aerodinamica, 1914, Alfa Romeo, Arese.
© Alfa Romeo Automobilismo Storico,
Centro Documentazione – Arese (I)
Fotoflinte, ca. 1930, Etienne-Jules Marey, Frankreich.
Fotomuseum WestLicht, Wien
© Fotomuseum WestLicht, Wien
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