Das Fernsehen ist tot. Wirklich?

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Wieder einmal ist das Ende von etwas da. Diesmal das Ende des Fernsehens. Der Spiegel schreibt „Das Fernsehen ist tot“ und das renommierte Magazin Technology Review widmet der Frage gleich eine ganze Titelstory – dort heisst es dann ziemlich kryptisch: „IP – TV: Die Neu-Erfindung des Fernsehens“. Man neigt in solchen Fragen zur Vorsicht, nicht erst seitdem Francis Fukuyama anfangs der 90er Jahre etwas voreilig das Ende der Geschichte verkündet hat. Nun, was ist dahinter. Sternenjäger betreibt Forschung im Familienkreis.


Es ist noch nicht allzu lange her, da war die Frage nach dem Fernseh-Konsum gewissermassen die Gretchenfrage und wer intellektuell und bildungsmässig etwas auf sich hielt, schaute kein TV, ja besass nicht einmal ein derartige Teufelskiste. In der Postmoderne dürfen auch Gebildete fernsehen. So auch Sternenjägers Familie.
Beginnen wir mal mit den Alten, wo am wenigsten Aufregendes zu erwarten ist. So ist es. Sternenjäger-Vater zappt gestern und heute. Hin und wieder schiebt er eine DVD rein. Und hat einen Harddisk-Video-Rekorder angeschafft. Ein tolles Teil. Aber so richtig integriert ist es nicht. Schön aber, dass man von Pferdewettkämpfen DVD brennen kann. Sternenjäger-Gattin guckt wenig TV. Zappt nicht. Dafür schiebt sie noch lieber eine DVD rein. Was denn? – Zum Beispiel „Pride and Prejudice“.
Jetzt zu den Teenagern: Sternenjäger-Tochter guckt, was Teenager halt so gucken: Zum Beispiel „Verliebt in Berlin“. Oder am Samstagabend „Asterix und Obelix“. Sternenjäger-Sohn: Er braucht keinen TV. Denn er hat seinen PC. Den nutzt er immer weniger häufiger für Spiele und immer mehr für Filme. Die werden an LAN-Parties „rübergezogen“ oder aus dem Netz heruntergeladen. Das dann regelmässig zu einer Internet-Breakdown im Haus führt.
Fazit oder ein bisschen verallgemeinert: Erstens spielt der Konsum von DVD wohl eine grössere Rolle als früher der Konsum von Video-Kassetten. Das merken auch die Kinos. Kein Wunder – bei den Kinopreisen in der Schweiz. Zweitens könnten die neuen Harddisk-Videorekorder das Fernseh-Verhalten arg verändern. Zum Beispiel indem der Konsument die Werbung überspringt. Falls er denn nicht zu faul dazu ist. Drittens werden immer mehr Filme am PC geschaut und auch via Internet heruntergeladen. Und was ist mit live-TV, oder eben IP-TV? – Da hab ich eine Mattscheibe. Im Moment noch nicht so relevant, mindestens in unserem Haushalt.
Und was heisst das für die Zukunft des Fernsehens, wie wir es kennen – vor allem für das hochsubventionierte öffentlich-rechtliche Fernsehen? – Mir scheint, es tut sich was. Aber man darf die Trägheit des Gewohnten nicht unterschätzen.
Ach ja – Wolfgang Coy, Kulturwissenschafter und Informatiker kam in etwas anderem Kontext schon mal zu einem ähnlichen Schluss: „Dass etwas geschieht, ist unbestritten. Was geschieht, wird allerdings sehr verschieden interpretiert.“ Und: „So wie es aussieht, müssen wir uns also auf lange Zeit in einer Folge von Beta-Versionen der Informationsgesellschaft einrichten. Wir können und wollen nicht zurück, und wir wissen doch nicht wirklich wo es hingeht. Und wir wissen nicht einmal sicher, ob das Ganze die Mühe wert ist. Henry David Thoreau hat vort 150 Jahren in Walden eine ähnliche Situation beschrieben. „We are in greate haste to construct a magnetic telegraph from Maine to Texas; but Main and Texas, it may be, have nothing important to communicate.“
Wolfgang Coy: Internetgesellschaft Version 0.9 Beta. In: Peter Gendolla. Wissensprozesse in der Netzwerkgesellschaft. Frankurt 2005. Transcript Verlag.
Fernsehen ist tot. Spiegel Online vom 31.8.2005
Technology Review 09/2006 : Die Neuerfindung des Fernsehens.