9/11 – im Versteck von Osama bin Laden

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Fünf Jahre seit 9/11. Einige merkwürdige persönliche Bezüge: An einem 11.September 1958 bin ich geboren, 9/11 ist also mein Geburtstag. Und die Gegend, wo Osama bin Laden sich verstecken soll, ist mir bestens bekannt: Süd-Waziristan, im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet. Auch genannt wird das weiter nordwestlich gelegene Chitral. 1987/88 habe ich als IKRK – Delegierter in Peshawar ein Jahr verbracht. Ein denkwürdiges Jahr. Dass aber die Erlebnisse und Gespräche damals auch noch mehr als 15 Jahre später so wichtig sein würden, ahnte ich damals nicht.


1987/88 lebte ich für ein Jahr in Peshawar – jener legendären Stadt am Fuss des Khyber Passes in Pakistan, nahe der afghanischen Grenze. Als IKRK-Delegierter hatte ich mich unter anderem mit den Kontakten zur Presse zu befassen. Zu meinen Aufgaben gehörte es aber auch, einmal im Monat einen unserer vorgelagerten Posten im Grenzgebiet zu besuchen – in jener berühmt-berüchtigter „Tribal Zone“. Ein merkwürdiges Überbleibsel aus der Kolonialzeit, ein Gebiet, in dem die dort lebenden Stämme weitgehend nach ihren eigenen Regeln und Gesetzen leben durften.
Meist musste ich in ein Gebiet namens South-Waziristan, im dortigen Wana hatten wir einen Ersthilfe-Posten eingerichtet; von dort wurden Kriegsverletzte mit IKRK-Ambulanzen ins Spital nach Peshawar transportiert. Eine lange und äusserst beschwerliche Autofahrt, die einen Tag oder länger dauern konnte.
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Unsere Besuche dort musten gut vorbereitet sein und angemeldet werden. Die Reisen zählten für mich zum bizarrsten, was ich je erlebt habe: An der Grenze dieser Stammesgebiete angekommen, musste man zuerst eine bewaffnete Eskorte abwarten. Normalerweise war die Information respektive die Bewilligung dafür nicht bis zum zuständigen Beamten durchgedrungen, was wiederum stundenlanges Warten zur Folge hatte. Dann gings aber, meist am späteren Morgen, los. Unser Landcruiser, dahinter oder davor ein Pick-Up mit einer Gruppe abenteuerlich aussehender Pasthunen, allesamt bewaffnet mit altertümlichen Gewehren. Naivität oder Instinkt – ich fühlte mich auf diesen Fahrten nie auf das Geringste unwohl oder bedroht. Waffentragende Menschen gehörten in den Stammesgebieten zum Alltag und kein erwachsener Mann zeigte sich ohne seine Waffe in der Öffentlichkeit. Frauen waren ohnehin nicht sichtbar.
Unsere Besuche verliefen stets nach dem selben Ritual: Besuch in „unserem“ Ersthilfe-Posten, dann zusammen mit dem Leiter desselbigen einige Höflichkeitsbesuche. Übernachtet wurde meistens in einer ehemaligen britischen Militär-Garnison, dort im so genannten „Guest House“; meist entschädigten die angehemen Temperaturen – man war auf rund 1000 Meter Höhe über Meer – und die Aussicht für die mangelhaften hygienischen Verhältnisse. Überhaupt – diese Landschaften in ihrer Kargheit, die kleinen Dörfer mit ihren ärmlichen Bazaren, hat sich tief in meine Erinnerung geprägt. Ich träume heute noch regelmässig von diesen Landschaften.
In den Tagen des Aufenthaltes in jenen Gebieten wurden dann die regionalen Hauptquartiere der afghanischen Widerstandesgruppen besucht. Immer mit der selben Frage: Gibt es Kriegsgefangene, die wir besuchen können. Die Antwort war stets dieselbe: Nein, wir haben keine Gefangene. Oder: Wir haben welche, aber die sind weit weg im Innern des Landes. Zu unserer Zeit war ein Besuch dort nicht möglich.
Dazwischen blieb Zeit. Viel Zeit. Ich habe in dieser Zeit leidenschaftlich fotografiert. Einen Teil der Bilder kann man sehen….
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Wir waren nie allein – immer war mindestens ein Fahrer und ein Übersetzer, ein so genannter Field Officer mit uns. Das waren in der Regel gut ausgebildete Afghanen, nicht wenige von ihnen hatten einen Universitäts-Abschluss. Unsere Gespräche erscheinen mir auch heute noch befremdlich – aber die Themen erscheinen heute, nach dem Ende des Kalten Krieges, nach zwei Irak-Kriegen, nach einem weiteren sinnlosen Waffengang in Israel und vor allem nach dem Trauma des 11.Septembers in einem anderen Licht.
Der Westen, so hörten wir immer wieder von unseren gebildeten Field Officers, der Westen ist dekadent. Dabei gibt es kaum Unterschiede zwischen dem Kommunismus der Sowjetunion (die damals Afghanistan besetzt hielt) und dem Kapitalismus, verkörpert durch die USA. Beide Systeme würden keine spirituellen Werte kennen. Der Islam ist beiden Systemen überlegen, mussten wir immer wieder hören. Am irritierendsten von allem die Aussagen über Hitler und die Verbrechen des Nazi-Regimes: Hitler, so meinten unsere Angestellten, hätte etwas Gutes gemacht, nämlich die Juden bekämpft.
Immer wieder kam unser angeblich mangelnde Respekt gegenüber den Frauen aufs Tapet. Das sei im Islam anders. Unseren Einwand, weshalb dann die Stimme einer Frau vor Gericht nur zur Hälfte zähle wurde abgeschmettert: Frauen sind schwächer, da sie ja einmal im Monat Blut verlieren würden.
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Ich habe diese Aussagen nie vergessen können. Auch den enormen Druck nicht, der auf uns lastete und uns die landesüblichen religiösen Regeln – etwa in der Kleidung -aufzwang. Eine Genfer Kollegin in Sandalen musste sich eines Morgens sagen lassen, der Anblick ihrer Füsse verletze die religiösen Gefühle (der Männer).
Und dann waren diese Erlebnisse plötzlich wieder da – und mir scheinen sie heute wie ein Prolog auf den Terror. Ich kann diese Aussagen nicht vergessen und die Irritation ist mehr als eine oberflächliche. Mir scheint in diesem kleinen Erlebnis der ganze Irrsinn dieseer Gegenwart eingefangen zu sein.
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