Bildersturm und Gendersternchen

Was hat das Gendersternchen mit dem modernen Bildersturm zu tun? – Antwort in meiner aktuellen Kolumne Standpunkt, der im Tössthaler am 4.Juni 2021 erschienen ist.

Ein neues Schlagwort taucht neuerdings in der politischen Diskussion auf. Es heisst Identitätspolitik. Ich muss gestehen, dass ich damit nicht allzuviel anfangen kann. Soviel ist aber klar: Es geht dabei um Geschlechter, Diskriminierung und Rassismus.

Beginnen wir bei der Sprache. Mir scheint, die Diskussion um eine geschlechtsneutrale Sprache sei schon mindestens 20 Jahre alt und ich weiss nicht, ob wir uns da mittlerweile in einer Endlosschlaufe befinden. Aber die Kontroverse hat sich verschärft.

Ich bin nicht ein Gegner von differenzierenden Formulierungen: «Leserinnen und Leser», finde ich in Ordnung, auch «Schülerinnen und Schüler» , wenn handelnde Menschen angesprochen werden, ist das angemessen noch mehr, wenn man ihnen gegenübersitzt. Aber muss man es auf die Spitze treiben und im Namen der Geschlechtsneutralität die ansonsten verpönten Partizipien bemühen: «Studierende», «Lehrende», «Auszubildende». Ich denke das ist unnötig.

Neuerdings tauchen im Radio plötzlich Begriffe wie «Christinnen und Christen», «Jüdinnen und Juden» auf. Ich bin irritiert. Ich habe beim Begriff «Christen» bisher nie an Männer gedacht. Es war für mich vielmehr ein abstrakter Begriff für die Gruppe jener Leute, die zur christlichen Religion gehören. Und wie machen wir das jetzt mit den Heiden? Gibt es auch «Heidinnen und Heiden». Der Vergleich belegt die Absurdität des Vorhabens. Wie ist das im Orchester: Gibt es da Bläser und Streicher oder «Bläserinnen und Bläser», «Streicherinnen und Streicher».  Und wie ist es dann beim Verbrecher, beim Terroristen?

Gänzlich ungeeignet scheint mir die unselige Idee mit dem Sternchen oder noch schlimmer mit dem Doppelpunkt. Das sieht nicht nur hässlich aus, das macht die Texte noch schwerer lesbar. Sprache dient für mich in erster Linie der Verständigung, der Kommunikation.

Sprache lebt. Die interessanten Entwicklungen passieren aber nicht in den Schreibstuben von Behörden und Ämtern, sondern auf der Strasse, bei den Leuten. Verordnungen bringen wenig. Die letzte Rechtschreibereform hat wohl mehr Verwirrung als Vereinfachung gestiftet. Der Erfolg von Luthers und Zwinglis Bibelübersetzungen beruhte ja gerade darauf, dass die Reformatoren den Leuten aufs Maul geschaut haben.

Diese Hausdektoration befindet sich in Zürich am Neumarkt. Sie gehört einem Privaten. Die Stadt will solche Bilder verschwinden lassen. Foto Dominik Landwehr

Auch über Rassismus wird neuerdings wieder mehr gestritten. Leider geht es nicht um den tatsächlichen Rassismus, um Übergriffe und Beleidigungen, wie sie auch bei uns vorkommen. Es geht um Hausinschriften, Bilder und den Umgang mit der Vergangenheit: Die Stadt Zürich hat beschlossen, Hausnamen, die das Wort «Mohr» in sich tragen, entfernen zu lassen, auch entsprechende Bilder wie man sie manchmal sieht, müssen weg. Eine Gruppe von Leuten fühlte sich dadurch beleidigt und forderte, die Schweiz müsse ihre koloniale Vergangenheit aufarbeiten.

Inschriften wie diese sollen in der nächsten Zeit weggemeisselt werden. Auch diese Inschrift befindet sich in Zürich am Neumarkt. Foto Dominik Landwehr.

Man reibt sich die Augen. Ein Blick ins Historische Lexikon der Schweiz Stichwort Kolonialismus schafft Klarheit: Seit über 40 Jahren wird genau dazu geforscht. Es stimmt: Die Schweiz war seit dem 18.Jahrundert im Kaffee- und Baumwollhandel engagiert, man denke nur an das Winterthurer Handelshaus Volkart. Die Stadt Neuenburg hat massgeblich am Sklavenhandel mitverdient. Das ist hässlich. Der Tösstaler Eisenbahn-Baron Guyer-Zeller hat in seinen Memoiren die Sklavenhaltung im Süden der USA verteidigt. Auch das ist hässlich. Die Geschichte ist voller hässlicher Dinge.

Mir missfällt die moralische Herangehensweise. Warum braucht es dazu solche Säuberungen? Es gibt Kreise, die fordern dass die Alfred Escher Statue vor dem Zürcher HB entfernt werden muss, weil auch Alfred Eschers Familie auf Kuba Sklaven beschäftigte. Nach der gleichen Logik müssten wir auch den Guyer-Zeller Weg im Tösstal umtaufen. Für mich ist das ein fehlgeleiteter Aktionismus in einer Stadt der Banken, die ihr Geld auch mit zweifelhaften und ganz bestimmt rassistischen und menschenverachtenden Diktatoren gemacht haben. Kurz: Man schlägt den Sack und meint den Esel.

Der Chinese mit der Opiumpfeife – ebenfalls ein Stereotyp. Hier hat sich noch kein Kläger gemeldet. Das Mosaik befindet sich an der Sihlpost und stammt vom Künstler Carl Roesch (1884 – 1979)



Es hört aber damit nicht auf: Die klassische Musik sei rassistisch lese ich, das Notationssystem kolonialistisch. Natürlich stimmt es, dass man aussereuropäischen Musiktraditionen lange zu wenig Beachtung geschenkt hat. Aber das hat sich seit den späten 60er Jahren geändert und unser Leben bereichert.

Was mir an dieser Diskussion am meisten stört ist die Art und Weise, wie sie geführt wird. Es werden moralische Standards verkündet, Forderungen aufgestellt und Gegner diffamiert. «Du bist ein privilegierter, weisser, alter Mann» wird mir da etwa gesagt. Ein anderes Argument : «Arroganz entsteht durch Ignoranz».

Der ehemalige deutsche Bundespräsident Wolfgang Thierse hat die Situation auf den Punkt gebracht: «Wir sind mittlerweile so weit, dass ich unsicher bin, ob ich das noch sagen darf, was ich denke.» Und weiter: «Wenn mir einer sagt: Nur weil ich weiss bin, weil ich in Europa und in Deutschland lebe, bin ich schon schuldig. Was soll ich damit tun? Ich kann nicht aus mir selber aussteigen. Und deswegen sage ich: Es gibt Vorwürfe von so fundamentaler Allgemeinheit, die hilflos machen.»

Was tun: Ich finde Kontroversen gehören zu unserer Gesellschaft. Was nicht geht ist, Andersdenkende zu verunglimpfen und zu beleidigen. Und auch wenn man sich auf der moralisch richtigen Seite wähnt: Sprachreformen bringen noch keine Gleichberechtigungen. Bildersturm ändert nichts am real existierenden Rassismus.

Plakat für eine Ausstellung mit den Bildern des deutschen Archäologen Frobenius im Jahr 1931. Die Ausstellung hat zahlreiche Künstler jener Zeit inspiriert. Das Plakat stammt vom Zürcher Künstler Max Bill und ist in der Ausstellung „Die Kunst der Vorzeit“ im Museum Rietberg zu sehen. Der umstrittene Begriff war in den 60er Jahren geläufig. Wer ihn heute benutzt, muss mit Sanktionen rechnen. Auf Facebook zum Beispiel werden Kommentare mit dem berühmten Wort innert Minuten gelöscht und der Benutzer zur Strafe gesperrt. Foto Dominik Landwehr.