Dichtestress auf dem Veloweg

Das E-Bike als Thema in meinem Standpunkt, der am 26.September 2020 im Tössthaler erschienen ist.

Mehr als die Hälfte aller verkauften Velos sind neuerdings e-Bikes. Eine richtige Erfolgsgeschichte.

Der Boom kam nicht plötzlich, er hat sich über viele Jahre angebahnt. Die Velos wurden immer besser, stärker und die Batterie hält länger. Schon vor vielen Jahren fragte mich Christian Morof, bei dem wir seit 30 Jahren alle unsere Velos gekauft haben: Du, ein e-Bike wäre doch auch was für Dich. Ich habe damals empört gesagt: Nein, das ist etwas für Senioren. Christian hat geantwortet: Mit einem e-Bike machst Du einfach plötzlich ganz andere Touren. Das wird Dir gefallen!

Ich hab die Botschaft einsinken lassen und diesen Winter wars dann klar. Ein elektrisches Velo muss her. Aber die Sache muss gut überlegt sein. Ich bin auch extra nach Huttwil ins Emmental gepilgert, um beim Schweizer Pionier das richtige Velo im hügeligen Gelände zu testen. Die Überraschung dann: Es gibt super Velos für alle Geschmäcker. Nur sind die wenigsten lieferbar und zwar über sehr lange Zeit nicht mehr. Hopla. Damit hatte ich nicht gerechnet. Die Situation hat sich kaum gebessert. Läden sind überall leer. Der Nachfrageboom und die Coronakrise lassen die Produktion stocken und die Herbstmodelle kommen wohl erst im Frühjahr 2021.

Ich habs dann doch geschafft eines der begehrten e-Bikes zu ergattern und seit April kurve ich nun also leise summend über Berg und Tal und hoffe, dass der Winter noch recht lange auf sich warten lässt.

Das e-Bike hat auch in meiner Familie und im Freundes- und Bekanntenkreis für Diskussionen gesorgt und natürlich kann man das eine oder andere auch auf meinem Facebook-Account nachlesen. Hier nun also eine erste Zwischenbilanz nach einem halben Jahr:

Erstens: Es ist ein Irrtum zu glauben, das e-Bike sei etwas für Faule. Als ich bei der ersten Probefahrt fragte, wo denn das Gas sei kriegte ich zur Antwort: Muesch trample. So ist es. Wenn man sich nicht bewegt, dann passiert gar nichts und das Velo bleibt einfach stehen. Natürlich, zum gradaus fahren brauchts nicht viel Kraft aber wo gehtes schon immer gradaus. Ich bin vor einigen Tagen das Tösstal hofhvgefahren, dann auf die Hulftegg und von dort via Sitzberg, Bichelsee, Huggenberg wieder ins Heitertal. Das waren 70 km und ich war nach drei Stunden ziemlich geschafft. Um ehrlich zu sein war ich schon nach einer Stunde in Bauma geschafft und musste dort notfallmässig beim Café Voland einen Verpflegungs-Halt einschalten…

Zweitens ist das e-Bike fahren deshalb auch gesund. Ganz einfach: Je mehr man draussen an der frischen Luft sich bewegt, desto besser. Alles ist besser als zuhause hocken, oder im Auto oder im Bus.

Drittens ist das e-Bike umweltfreundlich. Versteht sich eigentlich von selber. Sehen aber nicht alle so: Natürlich, Batterie und Motor müssen produziert werden und darin hats bestimmt auch problematische Stoffe. Die Frage ist halt: Was wäre die Alternative? Auto, Bus, Zug – oder vielleicht eine Harley oder ein ähnliches Brumm-Brumm-Gefährt. Gerade Herren in meinem Alter haben eine grosse Liebe zu grossen Töffs, je grösser desto besser. Frauen haben eher den Hang zu Pferden…

Dann kommen wir viertens noch zu den Problemen, die es auch beim e-Bike gibt: Es ist nicht ganz ungefährlich vor allem für jene, die keine Übung im Velofahren haben. Man ist schnell unterwegs, mit gewissen Modellen sogar sehr schnell. Und wenn auf dem Veloweg ein Hindernis auftaucht, muss man ziemlich schnell abbremsen können. Ein Hindernis können zum Beispiel Kinder sein, oder Gruppen, die nebeneinander fahren wollen. Oder andere Freizeit-Fahrer mit Inline-Skates oder Trottinetts – oder ein Hund am falschen Ort. Kommt dazu, dass man das Herannahen eines e-Bikes nicht hört. Man fährt fast lautlos. Wer etwas denkt setzt sich einen Helm auf, wie beim Skifahren auch. Dass es Widerstand gegen eine Helmpflicht gibt, kann ich nicht ganz nachvollziehen.

Zu reden geben die Velos diesen Sommer auch in den Bergen. Da war tatsächlich einiges los. Es gibt Wege, die man wohl als Wanderer besser meidet. Ich war vor Jahren mal am Bernina von der Alp Grüm nach Cavaglia spaziert und musste ständig nach hinten gucken, ob da nicht ein Velo herannaht. Das Problem gibt’s aber nicht erst seit dem e-Bike Boom, es hat sich nur verschärft. Hier müssen die Gemeinden halt Lösungen anbieten und ob kurz oder lang dürfte das heissen: getrennte Wege für Biker und Wanderer – und dort wo es nicht geht, sollen die Fussgänger den Vortritt haben.

Alles klar? Für mich ist das e-Bike aber auch ein Zeichen für einen Wandel in der Mobilität: Der e-Mobilität gehört die Zukunft. Das gilt auch für die Autos und für die Motorräder. Mir ist kürzlich ein solches begegnet und hat mich fast wie ein Raumschiff völlig geräuschlos überholt. Ich weiss, dass die richtigen Töffahrer den Lärm brauchen…aber vielleicht müssen sie doch ein bisschen umlernen.

Und manchmal werde ich trotz Begeisterung und Optimismus ein bisschen nachdenklich: Mobilität scheint mehr und mehr zum Grundbedürfnis zu gehören. Ganz ähnlich wie die ganze elektronische Kommunikation. Und ich frage mich dann, ob der Mensch im nächsten Evolutionsschritt mit Rädern auf die Welt kommt und einen Bio-Chip zur elektronischen Kommunikation eingepflanzt haben wird.  

Erschienen am 26.September 2020 in der Rubrik Standpunkt des Tössthalers.