Propaganda und Ho Chi Minh Kult

Kommunistische Propaganda ist auch heute in den Strassen Vietnams allgegenwärtig. Dazu gehört auch der Kult um Ho Chi Minh.

Die roten Bänder mit den unverständlichen Botschaften in vietnamesischer Sprache sind nicht zu übersehen. Und überall die roten Flaggen mit dem Stern in der Mitte. Das alles hat durchaus auch seinen ästhetischen Reiz und sorgt für noch mehr Farbe. Hier auf einem Platz von Quy Nhon hat man sogar eine Leuchtreklame aufgestellt, um auf das 30.jährige Jubiläum der kommunistischen Partei am 3. Februar hinzuweisen.

Die Botschaften erinnern etwas an längst vergangene Zeiten als man auf den Strassen Ost-Berlins allerlei Freundschafts-Botschaften lesen konnte. Dass man es ohne Hilfe von Google Translate nicht versteht, erhöht vielleicht den Reiz dieser Botschaften.

HIer lebt der grosse Präsident Ho in unserem Leben weiter, heisst es auf dem Banner. Nun gut. Man fragt sich manchmal, wie ernst es gemeint ist, wenn sogar im Souvenir-Shop Kaffee Packungen mit Propaganda-Bannern angeboten werden. Propaganda würde ich dem schon nicht mehr sagen.

Auch Postkarten gibts zu kaufen – dazu existieren im Internet zahlreiche Online-Shops für Poster und allerlei Memorabilia. Beim diesem Plakat geht es um die Steigerung der Sojabohnenproduktion.

Hier wieder einmal Onkel Ho… wir ersparen uns die Übersetzung diesmal.

Er ist in der Propaganda die zentrale Figur, um die sich alles dreht. In Hanoi liegt er in seinem Mausoleum einbalsamiert, nebenan hat er ein monumentales Museum mit ausgewählten Fakten und Objekten Auch kleinere Museen zeigen Exponate von ihm wie etwa das Museum von Quy Nhon: Hier sein Khaki-Shirt, das er auch im Mausoleum trägt, dazu seine Sandalen.

Der Sinn des obigen Exponats hat sich erst nach der Lektüre einer Biografie von Ho Chi Minh erschlossen: Nguyen Ai Quoc war einer der zahlreichen Namen, die Ho Chi Minh benutzte in seinen Lehr- und Wanderjahren, die ihn nach Paris, Moskau, Peking und anderen Städten führten.

Eine neuere Biografie (Martin Grossheim. Ho Chi Minh. Der geheimnisvolle Revolutionär. Leben und Legende. Becksche Reihe 2011) liefert einen aktualisierten Hintergrund: Ho Chi Minh wurde 1890 geboren als Sohn eines Mandarins und selber der konfuzianischen Lehre verpflichtet, was sich in seinem Leben immer wieder bemerkbar machte. Schon als junger Mann verschrieb er sich dem Kampf gegen den französischen Kolonialismus, die Kolonialpolizei (Sureté) hatte ihn permanent im Visier, einer der Gründe, dass er ständig Namen und Identitäten wechselte. Er verbrachte viele Jahre in Moskau, Kanton und Hongkong im Dienst der kommunistischen Partei, wurde aber oft nicht ernst genommen.

1930 gründete er die kommunistische Partei Indochinas, aus der später die kommunistische Partei Vietnams wurde. Ab 1941 war er an der Gründung der Viet Minh beteiligt, die den Kampf gegen die japanischen und französischen Besatzer führte. Dieser Kampf wurde damals vom amerikanischen OSS, dem Vorläufer der CIA, unterstützt. Im Kampf gegen den Kolonialismus gehörte er nicht zu den Scharfmachern, sondern plädierte immer wieder für Verhandlungen, das wurde ihm später übel genommen. 1945 proklamierte er die Unabhängigkeit Vietnams und wurde der erste Staatspräsident.

Unklar ist, in welchem Masse er nach der Teilung des Landes 1954 und dem Sieg über die französische Kolonialmacht die revolutionäre Gewalt, zuerst gegen wirkliche oder vermeintliche Grossgrundbesitzer, später gegen Intellektuelle und Kritiker unterstützt hat. Tausende sind Opfer dieser Kampagnen geworden, in den 1950er Jahren flohen über 800 000 Menschen in den Süden, davon viele Katholiken. Auf Wikipedia lesen wir:

„Der erste vietnamesische Bischof war Jean-Baptiste Nguyễn Bá Tòng, der 1933 zum Titularbischof geweiht wurde. Zwei Jahre später wurde er mit der Leitung des Apostolischen Vikariats Phát Diêm betraut. Erzbischof Nguyên Văn Thuân (ab 2001 Kardinal), wurde ohne Anklage und Urteil von 1975 bis 1988 in einem Umerziehungslager gefangen gehalten, davon neun Jahre in Einzelhaft] In seinem Seligsprechungsprozess erkannte Papst Franziskus ihm am 4. Mai 2017 den heroischen Tugendgrad  zu“. Das ist ein Ehrentitel der katholischen Kirche und ein erster Schritt im Prozess der Seligsprechung.

Gebilligt hat er diese Aktionen sicher. Mit zunehmendem Alter schwand aber sein Einfluss. Zu Beginn des Vietnamkrieges im Jahr 1965 war er zu einer reinen Symbolfigur verkommen, die allerdings von der Partei gepflegt wurde. Ein Mausoleum hat er sich nicht gewünscht, er wollte, dass seine Asche an drei Orten beigesetzt würde. Die Vorbereitungen für die Einbalsamierung liefen bereits zu seinen Lebzeiten an, die Partei hatte sich in Russland Know-How geholt. Ho Chi Minh starb 1969.

Wussten das die Demonstranten, die in den 1970er Jahren in den Städten Amerikas und Europas dem vermeintlichen Revolutionär huldigten und mit Parolen wie „Ho Ho Ho Chi Minh“ durch die Strassen zogen? Wohl kaum. Wir dürfen allerdings auch annehmen, dass weder Lyndon B.Johnson noch spätere Präsidenten während des Vietnamkrieges davon wussten. Viele Erkenntnisse verdanken wir offenbar der Öffnung der Archive nach dem Ende des Kalten Krieges. In der erwähnten Biografie ist viel von Machtkämpfen innerhalb der vietnamesischen Elite die Rede, allerdings auch vom Kampf um Anerkennung durch die Sowjetunion und China. Die Sowjetunion unterstützte Vietnams Kommunisten erst, als sie die bewaffnete Konfrontation mit dem Süden und den US-Streitkräften wagten.

Ho Chi Minh musste sich zu Lebzeiten immer wieder den Vorwurf anhören, ein Theoretiker zu sein. Das hat sich in in jüngerer Zeit geändert. Grossheim schreibt: „Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Ho Chi Minh postum in den Rang eines Theoretikers erhoben wurde und die von ihm propagierten Werte im heutigen Vietnam als moralische Richtschnur vor allem im Kampf gegen die weitverbreitete Korruption dienen sollen. Zu Hos Lebzeiten hatte der langjährige Parteichef Le Duan sich noch über das «ständige Gerede» des Präsidenten vom Konfuzianismus lustig gemacht und dies als «altmodischen Feudalismus» bezeichnet.“

Warum hat man ausgerechnet Ho Chi Minh zur Kultfigur erhoben? Darüber kann man spekulieren, aber mit seiner wirklichen historischen Rolle dürfte es kaum viel zu tun gehabt haben. Auch seine Herkunft hilft nicht: Er war Sohn eines Gelehrten und weder Arbeiter noch Bauer, sondern gewissermassen ein mit allen Wassern gewaschener Berufsrevolutionär, der in Moskau sogar die Säuberungen Stalins wie durch ein Wunder überlebt hatte.

Grossheim schreibt zusammenfassend: „Die hohe Einschätzung der Bedeutung Ho Chi Minhs im Ausland deckte sich nicht mit den tatsächlichen Machtverhältnissen in Nordvietnam. Zwar wurde er als Ikone der Revolution verehrt, doch einmal auf den Sockel gehoben, ist seine Fähigkeit, ins Tagesgeschehen einzugreifen, geschwächt, ebenso wie sein unmittelbarer Einfluss.“

Weitere Quellen zur Biografie von Ho Chi Minh und der Geschichte Vietnams finden sich in diesen Wikipedia Artikeln: Ho Chi Minh, Vietnam.