Maturatag im Kloster Einsiedeln

“Ed è subito sera – und plötzlich ist es Abend”  – die  Worte des italienisches Dichters Salvatore Quasimodo (1901 – 1968) waren mit Bedacht gewählt für die kurze Andacht, die unser Kollege Andreas Bircher am Maturatag gestaltet hatte. Es sind 40 Jahre seit dem 7.Juli 1977, als unsere Klasse ‚maturus‘ in die Welt entlassen wurde.

Anfangs Oktober 1970 ist der Schreibende in die Schule eingetreten. Damit ist es fast ein halbes Jahrhundert her. Eine grosse Nachdenklichkeit bei den einen und eine gewisse Melancholie bei den anderen waren an diesem Klassentreffen nicht zu verkennen.

Beim Besuch im Musikhaus orientierte uns der Rektor Johannes Eichrodt über die Positionierung der Schule: Auch wenn heute nur noch wenige Patres unterrichten, so ist doch gerade dies ein wichtiges Argument um die Schule zu profilieren, zusammen mit einem äusserst vielseitigen Angebot an Wahlfächern. Wir freuen uns darüber.

Noch einmal durch die Gänge der Stiftsschule gehen, einen Blick in die Klassenzimmer zu werfen, die vier Stockwerke zu den Zimmern des Internats hoch… das weckt Erinnerungen. Wir besuchten die Stiftschule anfangs der 70er Jahre  in einer Zeit des Umbruchs: Die Rebellion von 68 hallte bis in den finsteren Wald von Einsiedeln nach und mit grossem Engagement war man daran, die Neuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 1965) umzusetzen. Der Kalte Krieg prägt das politische Leben: 1971 wurde als Fasnachtstheater „Die Schlacht bei Lobositz“ des DDR-Dramatikers Peter Hacks aufgeführt – übrigens mit Thomas Hürlimann in einer der Hauptrollen. Ausgewählt hatte das Stück wohl Pater Adalbert. Dass das Publikum und namentlich die älteren Studenten bei gewissen armeekritischen Stellen klatschten, sorgte damals für einen Dorfskandal. Stellen wie die folgende wurden von den älteren Gymnasiasten als Hinweis auf ihren bevorstehende RS verstanden: „Meld dich doch weg vom Soldatenstand. Und häng dein Flint, wo schon viele blanke Flinten sind!“

Wir waren die erste Klasse, die auch eine Handvoll Mädchen als externe integriert hatte. Koedukation hiess das Schlagwort damals. Die Schüler trugen keine Mönchskutten mehr und die Messe war deutsch, auch die Stundengebete der Mönche waren vorwiegend in deutscher Sprache. Exerzitien gab es nicht mehr, stattdessen wurden so genannten Konzentrationstag abgehalten. Und doch war die Welt des Internats damals fest gefügt und geregelt: Auch am Samstag war Schule und zwar bis 16 Uhr nachmittags. Neben den drei bis vier Stunden Aufgaben pro Tag gab es kaum Zeit für Freizeitbeschäftigungen. Unterrichtet wurden wir fast ausschliesslich von Mönchen, nur gerade zwei oder drei Lehrer waren Laien: Herr Kühne, Herr Werner andere Klassen hatten den unkonventionelle Giovanni Gmür, der zeitweise sogar in einer Mönchszelle übernachten durfte. Vor allem in den unteren Klassen teilten unsere Präfekten und Lehrer fast den gesamten Alltag mit uns – unvergessen der kürz verstorbene Pater Luzius oder Pater Fridolin.

Zwar genossen wir Medien und Filmunterricht – aber elektronische Medien wie man sie heute kennt, gab es nicht. Unser Präfekt Pater Fridolin sass im Winter vor einer unförmigen Kiste – ein Fernsehprojektor – und schaut mit uns  Skirennen. Zeigte das Programm zwischendurch eine Triumph Reklame für Damenwäsche so schaltete er sofort auf einen anderen Sender. Davon gab’s allerdings nur gerade eine Handvoll. Rektor Ludwig Räber (1912 – 1976) wachte mit Argusaugen über dem Stundenplan – er hatte den Ehrgeiz fast alle Fächer im Notfall selber unterrichten zu können. Eine unkonventionelle Persönlichkeit. In Diskussionen schalt er gerne mal ein Argument als „unkatholisch“. Einen seiner Urlaube soll er mit einer Mofa-Tour verbracht haben. 1976 starb er während einer Wanderung auf die Aetna.

Wir beschliessen unseren Besuch mit einem Essen am Hof, in der Gesellschaft von Dekan P.Cyrill Bürgi und einem Ehrenständchen der Feldmusik. Und wir gedenken unserer verstorbenen Kollegen Konrad Eberhard und Norbert Kuster.

Der Schreibende hat nicht in Einsiedeln, sondern in Zürich Matura gemacht. Zu eng war ihm die Welt von Kloster und Internet in der Pubertät geworden: Kontakte zum anderen Geschlecht, Freiheit in der Gestaltung der Freizeit und ein ausgeprägtes politisches Interesse hatte den Ausschlag gegeben, Freiheit das Stichwort des Tages. Ganz offen: Ich war oft unglücklich, habe mich gelangweilt und sehnte mich nach dem Leben der Stadt und meiner Familie. Und doch: Die Jahre im ‚Stift‘ haben auch bei mir Spuren hinterlassen und es vergeht kein Jahr, an dem ich nicht mindestens einmal zurückkehre, meist für Vesper und Salve. Was ist das Geheimnis jener Zeit? – Für mich liegt es in der Begegnung mit einem komplett anderen Lebensentwurf, nämlich jenem des Klosters: Hier gelten andere Regeln: Es geht nicht um  Erfolg, Geld, Glanz, Hier hat sich eine kleine Gruppe von Menschen dazu entschlossen einen anderen Weg zu gehen – jenen von Spiritualität, Demut, Gemeinschaft.  Das gibt diesem Ort eine innere Kraft und verhalf mit zu einer Haltung, die mich geprägt hat. Ich habe sie mitgenommen in mein Leben als ein Wissen, das von Jahr zu Jahr wertvoller wird.

Dominik Landwehr