Kittlers Grab

Shintaro Miyazaki hat im Archiv des Medientheoretikers Friedrich Kittler(1933 – 2011) geforscht und dabei einen Brief entdeckt, den ich Kittler ungefähr im Jahr 2002 geschrieben habe. Der Brief und auch ein Mail blieben unbeantwortet. Und nun da Kittler tot ist, gibt es erst recht keine Antwort mehr. Ich habe Friedrich Kittler nie getroffen. Aber am 5.Juli 2013 habe ich seiner letzten Ruhestätte auf dem Dorotheenfriedhof in Berlin-Mitte besucht. Er ist da in guter Gesellschaft.
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Eine Insel in Grün, klein und überschaubar, so könnte man den berühmtesten Friedhof Berlins beschreiben. Berühmt, weil so viele der deutschen Geistesgrössen hier begraben sind. Entsprechend sind unter den Besuchern viele, die wie ich deren Grabstätten besuchen wollen. G.W.F.Hegel und Fichte sind hier begraben, Brecht und Eisler, Jürgen Kuczinsky und Herbert Marcuse. Und seit 2011 eben auch der Medientheoretiker Friedrich Kittler.
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Eine Informationstafel zeigt an, wo die Gräber sind – auf einem separaten Blatt sind die jüngeren Gräber aufgeführt. Hier finden wir Friedrich Kittler, neben der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley oder demAktivisten Fritz Teufel. Kommunarde wird er hier auch genannt. Ist das eine Berufsbezeichnung?
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Ich muss zweimal zurück um mich zu vergewissern, wo Kittlers Grab zu finden ist. Am östlichen Rand, fast in der letzten Reihe angrenzend an die Kirche des benachbarten katholischen Tagungszentrum. Einfacher geht es nicht mehr. Kein Grabstein, kein Kreuz, nur die offizielle Tafel der Friedhofsverwaltung.
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Inspiriert zum Besuch hat mich vielleicht die Unterhaltung, die ich kurz zuvor mit dem Journalisten Stefan Heidenreich geführt habe. Wir kamen auch auf Kittler und seine Welt zu sprechen. Stefan Heidenreich hat in der taz einen eindrücklichen und sehr persönlichen Nachruf auf Kittler verfasst.
„Am Dienstag starb Friedrich Kittler, ein Grosser unter den Denkern unserer Zeit. Am Freitag zuvor sah ich ihn zum letzten Mal im Krankenhaus. Seine Stimme war schon schwach, ein Bildschirm zeichnete jeden Herzschlag nach, Alarme und Blinklichter unterbrachen unser Gespräch, wann immer er sich regte. ‚Mehr Licht‘, flüsterte er, ‚reden Sie über Theorie‘.“
Friedrich Kittler ist in guter Gesellschaft, hier auf dem Dorotheenfriedhof, der fast so etwas wie eine Gelehrtenrepublik vergangener Geistesgrössen ist. Nur wenige Meter weiter entdecke in das Grab der Schriftstellerin Christa Wolf (1929 – 2011).
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Der weiche Strahl der Abendsonne fällt auf den weissen Grabstein im schattigen Grün. Ich gehöre zu jenen vielen, die in den 70er Jahren ihre Bücher „Kindheitsmuster“ und „Unter den Linden“ gelesen haben. Es hat mich damals sehr beschäftigt. Auf dem grossen weissen Grabstein liegen Bleistifte und Kugelschreiber. Flüchtige Gaben ihrer Leserinnen und Leser? – Mir kommt unwillkürlich eine zentrale Szene im Film „A beautiful mind“ in den Sinn. Dort zeigen die Angehörigen der der Fakultät dem genialen und tragischen Mathematiker John Forbes Nash ihren Anerkennung, indem sie ihn ihre Füllfedern auf den Tisch legen.
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An diesem einen Ort liefen also die Lebensfäden dieser Menschen zusammen. Und so ist der Dorotheenfriedhof mehr als nur ein Friedhof der toten Dichter und Denker.
Dorotheenfriedhof Berlin
Sternenjaeger: Nachruf auf Friedrich Kittler

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