Industrie-Kultur und Familiegenschichte: Sulzer-Rüti

Noch in den 80er Jahre war jeder 2.Webstuhl weltweit mit Technologie aus dem Zürcher Oberland ausgerüstet und der Name Rüti ein Begriff. Die Fabrik ging später in den Besitz von Sulzer über und existiert heute nicht mehr. Fast ein Wunder, dass die umfangreiche Webmaschinen-Sammlung gerettet werden konnte. Ein Besuch weckt auch Familien-Erinnerungen
rueti-schriftzug-rot.jpg


neuthal-aussen.jpg
Spinnerei Neuthal – ein historisches Fabrikgebäude an einem Nebenarm der Töss – hier ist die einstweilen letzte Ruhestätte dieser Zeugen aus dem Zeitalter der Maschinen. Über 2.5 Millionen hat der Kanton Zürich für diese Arbeit aufgewendet. Notwendig, unbedingt, gerade in dieser gespreizten Gegenwart, wo wir glauben alles wissen zu müssen über die letzten 100 Tage und nichts über die letzten 100 Jahre, geschweige denn über den Rest.
honegger-rueti.jpg
Rüti – einstmals Caspar Honegger. So hiess die Fabrik wohl einst. Und selber kenn ich noch einen weiteren namen: Joweid. So hiess die Fabrik in den 60er Jahren und Rüti ZH ist der Ort, wo mein Vater 1926 geboren wurde. Und in der Webmaschinen-Fabrik arbeitete damals das ganze Dorf, so auch mein Grossvater, der schon früh starb und von dem ich deshalb auch nichts weiss. Und auch mein Götti arbeitete in der Joweid.
Es muss wohl Ende der 60er Jahre gewesen sein, als er uns einmal zu einem Tag der offenen Tür einlud. Ich glaube, dass ich zuvor noch nie in einer Fabrik gewesen war. Der Besuch hat sich tief in mein Gedächtnis eingegraben. Ich sehe die Eisenspäne vor mir, das Öl, das über die Maschinen läuft, die Zahnräder schneiden. Und ein grosses Schild in der Werkhalle „82 Tage ohne Unfall“. Nein, die Zahl weiss ich nicht mehr. Josef, mein Götti, war hier Werkmeister. Was das heisst, weiss ich bis heute nicht. Im Keller seines kleinen Hauses hatte er ein Werkstatt. Dort zeigte er dem Zahnjährigen wie man eine Schublehre abliest.
rueti-detail-2.jpg
Besichtigung des neuen Mueseums in der Spinnerei Neuthal. Eigentlich sind es zwei Säle: Ein Schaulager und ein Raum, mit funktionsfähigen Maschinen. Welche Maschinen kannte mein Grossvater? – Welche Arbeit hat er geleistet? – Wie war es damals, als er nach dem Ersten Weltkrieg nach Rüti kam? – Wie hat er seine Frau kennengelernt? – Was hat er verdient? – Was konnte er davon kaufen? – War er glücklich? – Warum ist er so früh gestorben? –
Eine Geschichte ist in unserer Familie überliefert: Nur in letzter Minute gelang es der Familie, für den ältesten Bruder das Schweizer Bürgerrecht zu erwerben. Wäre das gescheitert, so wäre er wohl in die Wehrmacht eingezogen worden.
Und wieder zurück zu den Maschinen. Sie üben eine Faszination aus, auch wenn sie keine Geschichten erzählen
Warum geben uns diese alten Maschinen den Eindruck, wir verstünden, wofür sie gemacht worden sind. Bis ins Detail? – Aber je genauer ich hinschaue, desto weniger versteh ich. Und werde stattdessen von brachialen Sinnlichkeit der Konstruktion, der Zahnräder und ihren Farben, ihrem Geruch, ihrem matten Glanz weggetragen…
rueti-zahnrad-rot.jpg
Die Website der Webmaschinen SammlungCaspar Honegger trifft Adolf Guyer-Zeller
Zur abstrakten Schönheit der Maschinen
rueti-detail-zahnrad.jpg

Kommentar hinterlassen