Kolumbien: Der Krieg ist noch nicht zu Ende

Das Internationale Komitee IKRK ist in Kolumbien auch nach dem Waffenstillstand von 2016 sehr aktiv. Denn nach wie vor gibt es bewaffnete Konflikte. Ein Besuch im IKRK Hauptquartier in Bogotá

Wir fahren in den Norden der Millionenstadt Bogotá. Dort in einem Geschäftsviertel befindet sich das Hauptquartier der IKRK Operation von Kolumbien. Wir staunen: Es ist ein modernes Geschäftshaus mit vier Stockwerken und zwei Fahrstühlen und Platz für 140 Mitarbeiter. Der Kommunikationschef Mateo holt uns ab und erklärt uns bei einem Kaffee die Hintergründe und Geschichte der IKRK-Operation in Kolumbien. Tatsächlich ist das IKRK bereits seit 1969 in diesem Land aktiv und hat seit 1980 ein Sitzabkommen – dieses Abkommen im Fachjargon Accord de Siège ist die Grundlage für die humanitäre Arbeit. Mateo Jaramillo Ortega erklärt uns, dass im Ganzen über 400 Personen, das meiste davon Kolumbianer, im Land arbeiten. Es gibt vier Unterdelegationen und zwar in in Calí, Medellin, Bucaramanga und Florencia und nicht weniger als 13 lokale Büros.

Quidbo, Choco. Ein IKRK-Team besucht Mitglieder der Embrera Gemeinschaft. Sie wurden im Dezember 2017 bereits zum zweiten Mal aus dem Gebiet ihrer Vorfahren vertrieben. Das IKRK versorgt sie mit Baumaterial und half beim Bau der Wasserversorgung. Verschiedene Mitglieder dieser Gruppe litten auch an Unterernährung. Foto Laura Aguilera IKRK.

Wie kommt das – der jahrzehntelang bewaffnete Konflikt ist doch 2016 mit einem Waffenstillstand beendet worden? – Gemäss völkerrechtlichen Kriterien gibt es auch heute nicht weniger als fünf bewaffnete Konflikte im ganzen Land. In vier dieser Konflikte kämpfen einzelne organisierte bewaffnete Gruppierungen gegen die Armee, in einem weiteren Konflikt kämpfen zwei Gruppen gegeneinander. Der Grossteil der Konflikte spielt sich in ländlichen Gegenden ab, aber eben nicht nur: Es gibt in verschiedenen Städten wie zum Beispiel in Buenaventura an der Pazifikküste auch Konflikte, die in urbannen Gebieten ausgetragen werden. Ist das nicht einfach «normale» Kriminalität? – Nein, sagt Mateo – diese Konflikte gehen weit über das hinaus, was man als Kriminalität bezeichnen würden.

Zusätzlich gibt es eine äusserst angespannte Situation in Venezuela – Kolumbien teilt mit diesem Land 5000 Kilometer Grenze. Bis heute sind über vier Millionen Menschen aus Venezuela nach Kolumbien geflüchtet.

Das IKRK ist in dieser Situation auf verschiedenen Ebenen tätig: Mateo betont als erstes das Schutzmandat (Protection).  Zentral ist für das IKRK, mit allen Konfliktparteien im Kontakt zu sein – wie ist das möglich? – Das IKRK hat im Lauf seiner langjährigen Präsenz Kanäle aufgebaut, wie sie genau funktionieren will Mateo aus naheliegenden Gründen nicht erklären. Wichtig ist auch die Tatsache, dass sich die IKRK Vertreter frei im ganzen Land bewegen können.

Dazu gehört das Engagement für die über 80 000 vermissten Personen.  Dabei handelt es sich nicht einfach um Menschen, die im Bürgerkrieg getötet wurden, sondern vielmehr um Personen, die zuerst verschleppt wurden. Deshalb unterhält das IKRK auch eine forensische Abteilung mit der Aufgabe, die sterblichen Überreste von Menschen zu identifizieren. Das ist für die Angehörigen sehr wichtig.

Forensik-Spezialisten des IKRK bergen die sterblichen Überreste eines vermissten Opfers. Foto IKRK.

Der jahrzehntelange Konflikt hat Tausende von Minen hinterlassen – sie liegen herum und verstümmeln Zivilisten, deshalb ist auch die Minenräumung ein wichtiges Anliegen.

Das IKRK sorgt sich auch um Menschen, die im Kontext des Konflikts gefangen genommen wurden – anders als in vielen anderen Ländern werden kaum noch Gefangenenbesuche durchgeführt. Stattdessen bespricht man sich mit der kolumbianischen Regierung und unterstützt Verbesserungen für die Lage der Menschen in den überfüllten Gefängnissen.  Daneben gibt es auch Programme gegen die sexuelle Gewalt gegen Frauen. Ein Thema, das für das IKRK in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus gerückt ist.

Schliesslich kommt das Engagement für die Flüchtlinge aus Venezuela dazu: Es gibt drei verschiedene Gruppen: Die erste Gruppe ist vor allem in den Städten zu finden, viele arbeiten in schlecht bezahlten Jobs, andere betteln in den Strassen. Die zweite Gruppe sind Flüchtlinge, die unterwegs sind und die dritte Gruppe sind die Heimkehrer. Das IKRK engagiert sich auch hier zum Beispiel mit der Verteilung von Lebensmittel- und Hygienepaketen. Dies wird eng mit der kolumbianischen Regierung und dem kolumbianischen Roten Kreuz organisiert

Gerade für die Flüchtlinge aus Venezuela ist eine neuere humanitäre Dienstleistung sehr wichtig: Es handelt sich um die Puntos de Conectividad. Das sind kleine Informationszellen mit Internet. Das ist heute absolut zentral und nach Aussage von anderen IKRK Vertretern in vielen Konfikten oft das erste Bedürfnis, das die Opfer artikulieren. Hier werden auch Informationen über das Land, über Hilfsangebote und Gefahren vermittelt.

Tulcan, Rumicacha Brücke, an der Grenze von Ecuador und Kolumbien. Das IKRK und das Ecuadorianische Rote Kreuz haben hier ein kleines Kommunikationszentrum für Flüchtlinge aus Venezuela eingerichtet. Hier können sie telefonieren und haben auch Internet Zugang. Foto IKRK.

Insgesamt verfügt das IKRK für diese Aufgaben über ein jährliches Budget von über 40 Millionen Schweizer Franken. Woher kommt dieses Geld? – Die wichtigsten Geldgeber sind auch hier westliche Regierungen. Dazu zählen die USA (9.8 Mio CHF) , die Schweiz (3 Mio CHF), Deutschland (2.2 Mio CHF), Schweden (2 Mio CHF) , die Niederlande (0.8 Mio CHF) , Kanada (0.7 Mio, der Kanton Genf (1.1 Mio CHF) CHF) und die Europäische Kommission (0.9 Mio CHF) Dazu kommen private Geldgeber wie etwa die Zürich Versicherungen (0.5 Mio CHF).

Mateo sagt zum Schluss, dass das Engagement im Land heute noch grösser und wichtiger sei als früher. Einen Überblick über die vielfältigen Aktivitäten gibt es auf den Seiten des IKRK – in deutscher Sprache.

Auf der Strasse zwischen Tumbes und Lago Agrio in Kolumbien. Ein Hund wartet bei den Koffern von Migranten aus Venezuela. Foto: IKRK
In der Gegend von Caqueta im Süden von Kolumbien. Dieses Gebiet wurde in der Vergangenheit stark vom bewaffneten Konflikt betroffen. Foto Isabel Ortigosa IKRK.

Bildrechte: Alle Bilder stammen aus dem Bildarchiv des IKRK und wurden in den letzten Jahren fotografiert.