Felix Kunz und seine Vision vom Technik-Museum ENTER

Er gilt als Retter von Techniksammlungen, die keiner mehr haben will: Der Solothurner Unternehmer Felix Kunz. Mit seinen Schätzen hat er in einem Vorort von Solothurn ein modernes Museum gebaut.

Das Museum ‘Enter Technikwelt Solothurn’ liegt im Industriegebiet von Derendingen, fünf Kilometer vom Bahnhof in Solothurn entfernt. Wenige Wochen vor der Eröffnung gleicht der Bau noch einer grossen Baustelle. Immerhin: Der Aufbau des Museums ist erkennbar, grosse Objekte sind bereits an ihrem Platz. Felix Kunz beginnt den Rundgang im Erdgeschoss mit einer überraschenden Geschichte. Eigentlich hätte der Boden mit Pfählen gesichert werden müssen, der Bau eines Untergeschosses hätte das Projekt um zwei Millionen Franken verteuert. Kunz kaufte kurzerhand einen 40-Tonnen Kipplaster und einen Bagger und machte sich mit zwei Kollegen daran, den Aushub für das Untergeschoss selbst an die Hand zu nehmen: «Damit haben wir ungefähr 700 000 Franken gespart» erklärt er. Die Geschichte wird sich wiederholen: Für den Bau stellte Kunz eine eigene Truppe zusammen bestehend aus einem Elektriker, Mechaniker, Elektroniker Schreiner, Programmierer und einem Industriedesigner. Er will die Kontrolle behalten. Ein Blick auf seine Hände spricht eine deutliche Sprache: Es sind die Hände eines Bauarbeiters, der gerne selber zupackt. Hat er sich mit dem Bagger und LKW einen Bubentraum erfüllt? – Der Spass hätte sich schon nach einer Woche gelegt, danach sei es schwere Arbeit gewesen, erklärt er lachend.

Felix Kunz legte auch bei der Verdrahtung des Museums Hand an. Foto Dominik Landwehr

Blickfang hier im Eingangsbereich wird der Wolkenprojektor Spitlight aus den 1950er Jahren sein, ein Bedford-Lastwagen mit einem Aufbau in der Form einer Rakete, zur Zeit steht er noch in einer Garage. Kuhn hat das Objekt vor einigen Jahren im Technorama in Winterthur gekauft und restaurieren lassen, denn neben alter Technik hat er auch ein Flair für alte Autos – und das entsprechende Portemonnaie für das kostspielige Hobby.

Warum in Derendingen, fragen wir beim Aufstieg ins Obergeschoss? Kunz hat vor rund fünfzehn Jahren in einem ehemaligen Getränkedepot am Bahnhof von Solothurn das Museum Enter eröffnet und hier Platz für seine ausufernde Sammlung gefunden. Das alte Museum hatte den Charme einer Brockenstube und zog etwa 10 000 Besucher pro Jahr an. Die öffentlich zugängliche Sammlung hatte aber einen unerwarteten Nebeneffekt: Felix Kunz wurde über Nacht zur Anlaufstelle für Sammler von alter Elektronik. So landeten zum Beispiel die Bestände des Audiorama von Vevey bei ihm, eines der Prunkstücke war der erste Radiosender der Schweiz aus Champs de l’Air am Flughafen Lausanne-Blécherette von 1923 , aber auch das gesamte Gutenbergmuseum aus Freiburg, das gleich noch einen Kurator mitlieferte.

Vor einigen Jahren dann die Hiobsbotschaft aus Bern: Die SBB brauchten den Platz für die Bahnhofserweiterung und leiteten ein Enteignungsverfahren ein – man einigte sich auf eine Summe in Millionenhöhe und mit dem Geld kaufte die von Kunz gegründete Stiftung Enter eine Fabrikgelände im Industriegebiet von Derendingen und entwickelte Ideen für ein Zentrum für historische Technik mit nationaler Ausstrahlung.

Mittlerweile sind wir im Obergeschoss gelandet und stehen neben einem IBM Grosscomputer der Reihe 370 aus den frühen 1970er Jahren. Zu sehen sind etwa ein Dutzend Schränke, in einigen davon sind Bandmaschinen, die früher als Speicher dienten und bald zum Leben erweckt werden, wenn auch nur als Simulation. Computer sind die Welt von Felix Kunz. Zwar musste er das Gymnasium wegen schlechter Leistungen in den alten Sprachen abbrechen, das hinderte ihn aber nicht daran, beim Wettbewerb «Schweizer Jugend forscht» zweimal einen Preis zu gewinnen, unter anderem mit einer digitalen Steuerung für eine Solaranlage. Nach seiner Lehre als Fernmelde-, Elektro- und Apparatemonteur (FEAM) folgte ein Ingenieur-Studium und bald darauf gründete er die Firma Digital Logic, die Systeme für industrielle Steuerungen. Seine ‘Embedded Computer’ eroberten den Markt.  Schon damals war ihm klar, wie schnell die Entwicklung der Computer voranging und er brachte es nicht übers Herz, seine alten Geräte wegzugeben, also sammelte er sie.

Hunderte von Objekten sind in einem Schaulager zugänglich. Foto Dominik Landwehr

Teil des Museums ist ein Schaulager, hier sind etwa 30 000 Geräte aus den Bereichen Computer, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik zu finden. Aber seine Sammlung deckte lange nicht alle seiner wachsenden Wünsche ab. Zehn Jahre lang, war er zum Beispiel auf der Suche nach einer Chiffriermaschine Enigma. Der Kauf es Objekts erwies sich als hindernisreich, aber nachdem sich sein Wunsch auch in dieser Szene herumgesprochen hatte, konnte er eine Enigma erwerben. Enigma-Chiffriermaschen werden zu horrenden Preisen von über 100 000 Franken gehandelt, günstiger sind die Maschinen der untergegangenen Zuger Firma Crypto AG.  Die Chiffriergeräte sind nun Teil der neuen Dauerausstellung und in der Themenwelt «Streng geheim!» zu finden. Am Konzept der Themenwelten haben die international tätigen Museumsgestalter Steiner Sarnen mitgewirkt. Einer der Räume zeigt ein analoges Fernsehstudio wie es früher vom Schweizer Fernsehen benutzt wurde. Das Museum pflegt Zusammenarbeit mit freiwilligen Technikern: so treffen sich hier regelmässig ehemalige Fernseh- und Radiotechniker und halten die alten Geräte im Stande. Wartungsintensiv sind auch die Flipperkästen, die pausenlos im Betrieb sind und auch dafür hat er Techniker, welche die häufigen Wartungsarbeiten besorgen.

Felix Kunz hat den Anspruch, alte Geräte zum Leben zu erwecken – etwas, was kaum ein Technikmuseum tut. Dazu sind auch Techniker im Haus, die sich auf die alten Geräte verstehen. Brennt einmal ein Trafo durch oder eine Röhre, so ist das kein Problem: Das Museum unterhält ein Ersatzteillager mit zwei Millionen Ersatzteilen, darunter 50 000 Elektronenröhren. Damit dürfte Kunz weltweit einer der grössten Anbieter von solchen Teilen sein. Die Werkstatt ist riesig und lässt kein Wünsche offen: Hier sind Drehbänke, Schweissapparate, 3D-Drucker, Laserschneidegeräte, Wassercutter und sogar Röntgengeräte für Materialprüfungen vorhanden. Kunz darf das, denn er ist auch diplomierter Strahlenschutz-Experte. Im Notfall wird ein Ersatzteil gleich selbst hergestellt.

Eines der Lieblingsobjektive von Felix Kunz: Ein DeLorean Sportwagen, der beim Film „Back to the Future“ benutzt wurde. Foto Dominik Landwehr

Im Untergeschoss sind neben funktionierenden Flipperkästen und Arcade-Games aus Spielhallen und Restaurants wie ‘Space Invader’ und ‘Pong’ rund 50 ungewöhnliche Fahrzeuge parkiert: eines der Prunkstücke ein DeLorean DMC-12, der 1981 für das Filmset von «Back to the Future gebaut wurde». Kunz hat das Fahrzeug in einer Internet-Annonce gesehen und hat es selber in Italien abgeholt und mit seinem Anhänger nach Solothurn transportiert, was einiges Aufsehen verursacht hat. Eines der ungewöhnlichsten Fahrzeuge ist wohl der Soletta 750, das der Solothurner Ingenieur Willi Salzmann Mitte der 1950er Jahre baute. Das Auto ist keine Schönheit aber eigentlich ging es dem Ingenieur nur um eine Radaufhängung, die er am Autosalon zeigen wollte.

Auch das Büro des Besitzers und Direktors im Obergeschoss ist bald bezugsbereit, noch fehlen die Möbel. Gelegenheit nach dem Geld zu fragen: Total wurden hier 18 Millionen Franken investiert. Die öffentliche Hand – darunter der Lotteriefonds des Kantons Solothurn sowie diverse Stiftungen haben 4 Millionen beigesteuert. Ein erheblicher Beitrag kam aus dem Enteignungsverfahren für die alte Liegenschaft und auch ein Hypothekar-Kredit wurde beansprucht. Allzu stark lässt sich Felix Kunz nicht in die Karten schauen. Im Neubau sind aber auch Firmen eingemietet, darunter die Schweizer Sektion der internationalen Ingenieur-Vereinigung IEEE. Sie sollen mit ihren Mieten den langfristigen Betrieb des Museums sichern.

Vor dem Abschied machen wir einen Abstecher in die VIP-Lounge, sie ist auf einer Plattform beim Eingang angebracht. Eine kleine Umfrage in Museumskreisen zeigt: Felix Kunz ist so etwas wie das Enfant Terrible der Schweizer Museen. Er ist Sammler, Unternehmer, Mäzen und er setzt seine eigenen Visionen um, ganz nach dem Motto von Frank Sinatras berühmten Lied «I did it my way».

Seine Bereitschaft alte Sammlungen aufzunehmen, überrascht Museumskenner, denn die Magazine der meisten technischen Museen sind schon jetzt brechend voll. «Er ist ein lebendiger Anachronismus» sagt etwa Kilian T. Elsasser, Präsident des Verbandes Industriekultur und Technikgeschichte der Schweiz VINTES, also irgendwie aus der Zeit gefallen und fügt bei: «Das Zeitalter der Sammler ist vorbei». Interessant findet er den Widerspruch, dass Felix Kunz als Ingenieur an der Temposchraube der technischen Entwicklung mitgedreht hat und gleichzeitig aber an den obsolet gewordenen Geräten hängt. Spannend findet Elsasser, dass er viel Wert auf die Erhaltung der Funktion der Objekte legt.

Erstaunen äussert die Direktorin des Museums für Kommunikation, Jacqueline Strauss. Das Museum unterhält in Schwarzenburg (BE) selbst ein umfangreiches Depot: «Das Museum Enter fokussiert auf Technik und den Austausch mit Sammlern. Das Haus spiegelt die persönlichen Interessen und Leidenschaften von Felix Kunz. Bei den Objekten setzt er auf Masse. Museen entwickeln sich in den letzten Jahren in eine andere Richtung. So versteht sich das Museum für Kommunikation als demokratisches Museum und sucht den Dialog mit der Gesellschaft. Uns interessieren die Geschichten, die einzelne Objekte erzählen, und die interaktive Auseinandersetzung mit Kommunikation und technischer Entwicklung.»

Die Pläne von Felix Kunz sind ehrgeizig: 50 000 Eintritte – das Museum für Kommunikation in Bern hatte vor Corona rund 115’000! Was, wenn es nicht gelingt: «Dann müssen wir halt über die Bücher», sagt der Unternehmer.


Das neue Museum

Das neue Museum «Enter Technikwelt Solothurn» ist im Industriegebiet von Derendingen und mit dem Bus oder Auto gut zu erreichen. Ausserdem wird mehrmals täglich ein Shuttlebus ab Bahnhof Solothurn fahren. Das Museum bietet auf einer Fläche von über 10 000 Quadratmetern Einblicke in die Entwicklung der Technik seit 1800. Grundlage bildet die hauseigene Sammlung mit über 30 000 Objekten sowie die Sammlung Gutenberg (ehemals Gutenbergmuseum Freiburg), die grösste Filmauto Sammlung Europas mit ca. 40 Fahrzeugen aus den Kinofilmen der Periode 1923 – 201. Zu sehen sind Originalgeräte – viele davon aus den Radio- und TV-Studios des SRF, Raritäten wie der Apple 1 oder die Enigma Chiffriermaschine, die erste Radiosendeanlage der Schweiz und Filmfahrzeuge wie der Rolls Royce Phantom III aus dem James Bond Film ‘Goldfinger’. Das Museum bietet regelmässig Workshops für alle Altersgruppen, Vorträge und weitere Events an. Ersatzteile für Vintage-Geräte können in einem Elektronikshop erworben werden.

Dieser Text erschien in gekürzter Form in der NZZ am Sonntag vom 3.Dezember 2023

Interview mit Felix Kunz im Oktober 2023. Foto und Gespräch Dominik Landwehr
Gespräch mit Felix Kunz im Januar 2021 – mit Klangbeispielen. Foto und Gespräch Dominik Landwehr
https://enter.ch/de/