Der Philosoph und Turings Teddybär

Der britische Philosoph und Computerhistoriker B. Jack Copeland ist in diesem Wintersemester Gastprofessor an der ETH Zürich. Copeland gilt als einer der besten Kenner von Alan Turing.Von Dominik Landwehr
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Der kleine Hörsaal im historischen ETH-Chemiegebäude an der Zürcher Rämistrasse ist bis auf den letzten Platz besetzt. Rund 30 Studenten – fast alles junge Männer – hängen buchstäblich an den Lippen ihres Dozenten. Was der grossgewachsene Brite mit dem wohlklingenden Oxfordenglisch hier tut, ist allerdings mit dem Begriff ‚Dozieren‘ sehr unvollständig beschrieben. Copeland spricht mit den Studenten, stellt Fragen, diskutiert. Heute geht es um den Turing-Test, das legendäre Gedankenexperiment von Alan Turing mit dessen Hilfe entschieden werden kann, ob eine Maschine denken kann: Ein Beobachter führt einen schriftlichen Dialog mit zwei unbekannten Partnern, von denen einer eine Maschine und der zweite ein Mensch ist. Alan Turing vermutete 1950, dass es mindestens bis zum Jahr 2000 dauern würde, bis eine Maschine mit einer hohen Wahrscheinlichkeit den Test bestehen würde. Er hat sich nicht getäuscht, denn auch 2013 sind wir nicht soweit.
„Mein Stil ist offenbar für die Zürcher Studenten etwas ungewöhnlich“, erklärt Jack Copeland nach der Vorlesung in der ETH Cafeteria. Der Stimmung im Hörsaal nach zu schliessen wird genau dieser Stil von den Studenten aber sehr geschätzt, denn sie bombardieren Copeland geradezu mit Fragen, mit Hypothesen und Vermutungen. Auffällig: Weder Dozent noch Studenten reden in einem Fachjargon. Der auswärtige Gast ist überrascht, dass er das meiste versteht. Das lässt der Titel der Lehrveranstaltung nicht unbedingt erwarten: „Philosophical Issues and Problems in Theoretical Computer Science“.
Es gibt viele philosophische Fragen rund um den Computer, erklärt Copeland im Gespräch. Nicht selten verbergen sich hinter den einfachen Fragen schwierige Antworten. Und manchmal gibt es sie auch nicht – vielleicht noch nicht. Hier einige Beispiele: Was lässt sich überhaupt berechnen und was nicht? – Warum lassen sich nicht alle mathematischen Wahrheiten beweisen? – Ist das Hirn ein Computer? – Kann eine Maschine denken? – oder ganz einfach: Was ist Information?
Mit vielen dieser Fragen hat sich auch der legendäre Alan Turing befasst. Jack Copeland hat sein Leben ganz diesem genialen Mathematiker verschrieben, der 1912 geboren wurde und schon 1954 auf tragische Weise aus dem Leben scheiden musste. „Er war ein Pionier in so vielen Dingen, er hat 1936 die logischen Grundlagen für den Computer beschrieben, hat sich mit Künstlicher Intelligenz befasst noch bevor es den Begriff überhaupt gab – und er hat mit seiner Arbeit als Codebrecher im Zweiten Weltkrieg dazu beigetragen, dass der Krieg schneller zu Ende gehen konnte“.
Copeland kommt in seiner Arbeit immer wieder auf die fundamentalen Ideen des Mathematikers zurück. Allerdings hat er auch hier seinen besonderen Stil. So auch im 2012 erschienen Buch „Turing – Pioneer of the Information Age“: „Ich wollte darin die Ideen von Turing zeigen, aber auch Geschichten und Witze rund um seine Person erzählen“, erklärt er bei einer Tasse Tee. Und deshalb interessiert er sich auch für kleine Anekdoten, wie etwa den Geschichten um Turings Teddybär „Porgy“, der kürzlich in einer Ausstellung zu sehen war. Der Mathematiker probierte an ihm seine Vorträge aus.
Jack Copeland hat Alan Turing selber nicht mehr gekannt. Aber er war befreundet mit Turings Studenten Robin Gandy (1919-1995). Der britische Mathematiker war ein Freund von Alan Turing und dessen erster – und allerdings auch einziger – Doktorand. Der Name Turing wird auch in den nächsten Jahren im Gespräch bleiben: Hollywood plant zur Zeit einen Film über das Leben des genialen Mathematikers. Der TV-Sender Arte arbeitet an einer Dokumentation, bei der Copeland mitarbeiten durfte. Und sein nächstes Buch soll 2014 erscheinen. Der Titel ist zwar noch nicht definitiv bestimmt, es soll aber eine Art „Turing for Dummies“ werden.
Für Copeland ist ein weiteres Jubiläum wichtig: Das 70. Jubiläum von Colossus 2014. Anfang 1944 nahm in in Bletchley Park ein Rechner mit 1500 Radioröhren seinen Betrieb auf. Damit gelang es den alliierten Codebrechern geheimste telegrafische Nachrichten des Dritten Reichs zu entziffern: „Es war als könnte man Hitlers Blackberry mitlesen“, erklärt Copeland. Alan Turing hatte wichtige Hinweise für die Entschlüsselung des Codes geliefert, gebaut hatte diesen Rechner, der als wichtiger Vorläufer des Computers galt, aber der britische Ingenieur Tommy Flower (1905-1998). Die Telexmeldungen waren mit der Lorenz Schlüsselzusatzmaschine SZ 42 verschlüsselt, welche die Briten „Tunny“ nannten. Anders als die Enigma wurde diese Maschine für den Gebrauch in den obersten Stäben entwickelt.
In der ETH Cafeteria unter der Polyterasse ist die Zeit wie im Flug vergangen. Wie gefällt es dem britischen Mathematiker in Zürich? – Jack Copeland, der seit vielen Jahren in Neuseeland lebt, ist begeistert: „Ich liebe die Stadt mit ihrer langen Geschichte und ihrem reichhaltigen kulturellen Angebot“. Besonders begeistert ist er vom Blick von der Polyterasse über die Stadt. Zürich ist für sein Empfinden eine grosse Stadt. In Neuseeland, so lässt er uns lächelnd wissen, sei alles eine Nummer kleiner.
Literatur:
B.Jack Copeland: Turing. Pioneer of the Information Age. Oxford 2012.
Erschien auch in der Neuen Zürcher Zeitung vom Donnerstag 12.Dezember 2013 (Seite 58) unter dem Titel:Turings Teddybär.

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