Energiewende @home – oder: Was bedeuten 75 kWp?

Seit ein paar Wochen ist unser Haus ein kleines Kraftwerk. Das ist für einmal ganz wörtlich zu nehmen: wir produzieren Strom. Auf unserem Dach ist eine neue Photovoltaikanlage installiert, mit einer App auf meinem Handy kann ich sehen was sich gerade tut. Beim Schreiben dieses Artikels am Montag hatte unsere Anlage bereits am Mittag um 14:00 Uhr rund 25 Kilowattstunden Strom produziert, einen Teil davon verbrauchen wir im Haus, der andere Teil geht ans Netz. Wir müssen umlernen. Nun laufen Geschirrspüler und Waschmaschine nicht mehr in der Nacht, sondern am Tag. Der Boiler wurde in der Vergangenheit ebenfalls in der Nacht aufgeheizt, nun heizen wir ihn mit Solarstrom zum Nulltarif. An einem schönen Sommertag können wir bis zu 50 Kilowattstunden Strom produzieren. Damit könnte ein E-Auto mehr als 150 Kilometer weit fahren. Unser Haus verfügt bereits über eine gute Isolation und eine Wärmepumpe trotzdem gibt es auch bei uns Optimierungsbedarf: So werden wir demnächst sämtliche Halogenlampen durch LED Lampen ersetzen, insgesamt über 30 Lampen! Eine LED Leuchte braucht zehnmal weniger Strom als eine Halogenlampe. Kleinvieh macht auch Mist!

36 Quadratmeter sind mit Solarpanels bedeckt, sie können maximal 7500 khw/p produzieren. Foto Bingesser und Huber.

Wir haben uns in den letzten zwei Jahren vertieft mit dem Thema auseinandergesetzt und sind schnell zum Schluss gekommen, dass sich die Installation einer Photovoltaikanlage lohnt. Ganz banal ist die Sache allerdings nicht. Man muss verschiedene Offerten einholen und verstehen, unter welchen Bedingungen welche Subventionen fliessen. Wir ersparen uns die Details: immer mehr Leute realisieren, dass sich die Installation lohnt und zwar schon mittelfristig. Es gibt einige Hindernisse, die man überwinden muss, zum Beispiel die mangelnde Verfügbarkeit von Solarkollektoren oder die hohe Auslastung der Firmen die damit ihr Geld verdienen. In unserem Fall haben wir den Vertrag im letzten Herbst unterschrieben, das Ganze hat also fast zehn Monate gedauert. Hier trotzdem ein paar Daten: Die Anlage deckt 36 Quadramteter ab und hat eine Maximalleistung von 75kWp. Das ist ein theoretischer Wert. Bisher haben wir maximal 58 kwh geschafft.

Wenn wir uns in unserer Region umsehen, dann sind wir mit unserer Photovoltaikanlage in guter Gesellschaft. Immer mehr Haushalte und Betriebe entscheiden sich für diese Energieform. Das ist schön, allerdings vermute ich, dass heute weniger als zehn Prozent der Dächer in unserer Region eine solche Anlage haben. Das ist wenig. Das zeigte auch ein kleiner Ausflug über die Grenze nach Baden Württemberg. Auch in dünn besiedelten Gebiet ist hier der Anteil von Photovoltaik bei Häusern und bei Landwirtschaftsbetrieben mindestens doppelt so hoch, wie bei uns. Offenbar sind wir hierzulande ein bisschen bedächtig. Immerhin gibt es in bereits 18 Kantonen Vorschriften, dass bei Neubauten auf Eigenenergie gesetzt werden soll das heißt neben Solarenergie auch Wärmepumpen genutzt werden sollen.

Mindestens 50  Prozent der Energie die auf unserem Dach gewonnen wird, geben wir ins Netz ab. Dafür werden wir entschädigt, allerdings ist die Entschädigung mit etwa 5 Rappen pro Kilowattstunde nicht besonders üppig. Was könnten wir sonst noch mit dem selber produzierten Strom machen? Hätten wir ein elektrisches Auto, dann könnten wir das Auto mit eigenem Strom tanken. Elektrische Autos sind eine patente Sache, nur habe ich hier ein paar Vorbehalte. Warum sind die elektrischen Autos genauso groß und schwer sind wie die konventionellen? Und alle haben Sie eine fast unübersehbare Vielfalt von kleinen Motörchen und Helferlein und Einrichtungen eingebaut die selbstverständlich ihrerseits alle auch Strom fressen.

Das fällt auch anderen Leuten auf,  zum Beispiel Urs Muntwyler. Er ist Elektroingenieur und heute Professor für Photovoltaik und war einer der Erfinder der Tour des Sol,  die bereits in den 90er Jahren die Elektromobilität populär machte. Er hat auch uns beraten. Vergleicht man die phantastischen, experimentellen Fahrzeuge der Tour de Sol  aus den 90er Jahren, so fällt der Unterschied sofort auf. Die Autos sind groß und fett geworden, hier werden wohl Korrekturen fällig werden. Ein anderer Einwand wiegt für mich fast noch schwerer: Ersetzen wir alle Benzin-Autos mit Elektromobilen, so haben wir am Schluss genauso viele Fahrzeuge wie vorher, möglicherweise sogar noch mehr und mit Sicherheit sogar noch mehr Verkehr, weil der Treibstoff ja günstiger ist als das Benzin. Resultat: Noch mehr verstopfte Straßen und Stau überall. Ich bin überzeugt, dass die Umstellung auf Elektromobilität nur eine Zwischenlösung sein kann. Wir müssen darüber nachdenken wieviel Mobilität wir überhaupt wollen, wieviel Mobilität wir uns überhaupt leisten können, wieviel Kulturl Cortanaand wird den Autobahnen opfern wollen, ob mehr Parkhäuser in den Städten sinnvoll sind oder nicht und welche wirklich innovativen Lösungen es für unsere Mobilitäts-Bedürfnisse gibt. Hier gibt es noch Hausaufgaben zu lösen.

Nachtrag vom 21.Juni 2022: Unser Eindruck hat nicht getäuscht: Die Schweiz ist in Sachen Solar- und Windenergie in Europa praktisch das Schlusslicht. Das zeigt eine Studie, welche die Schweizerische Energie-Stiftung eben veröffentlicht hat. Ganz an der Spitze liegt übrigens Deutschland und auch das überrascht nach dieser kleinen Exkursion ins Süddeutsche nicht mehr.

Dieser Text erschien am 17.6.2022 in der Rubrik Standpunkt im Tössthaler.

Die Panels kommen nicht von selbst aufs Dach: Ein Lift, wie ihn Dachdecker verwenden, nimmt einen Teil der Arbeit ab. Hier ein Monteur der Firma Bingesser und Huber Eschlikon, eine Firma, die spezialisiert ist, auf PV-Anlagen. Foto Dominik Landwehr