„Muss ich mich jetzt auch noch mit Amateur-Journalisten befassen“, seufzte in diesen Tagen die Kommunikations-Chefin einer grossen Schweizer Firma. Und meinte: Nein, das geht zu weit. Hat sie recht?
Als Sternenjäger-Blogger, so würde man erwarten, müsste ich diese Frage eindeutig beantworten: Ja natürlich soll sie sich auch um die Gemeinschaft der Blogger kümmern. Aber so einfach ist es nicht: Selbstverständlich würde ich mir als PR-Leiter einer Firma ganz ähnliche Gedanken machen und möglicherweise zu ähnlichen Schlüssen kommen. Als bloggender Zeitgenosse liegt es mir ausserdem fern, mich bei PR-Leuten und Firmensprechern wichtig zu machen.
Trotzdem regt mich die Äusserungen zum Nachdenken an. Zum Beispiel über den Begriff des „Amateur-Journalisten“. Dem Amateur steht der Profi, der professionelle Journalist gegenüber. Nun bin ich von den Leistungen ebendieser Profis in den letzten Jahren immer weniger beeindruckt.
Kostprobe: „Guten Tag, ich bin von Radio Energy. Sie machen doch das Projekt xy. Erzählen Sie doch mal, worum es da geht?“. Nun, vielleicht sind solche idiotischen Nicht-Interviews sehr professionell, denn sie füllen genau die Sprechblasen zwischen der plätschernden Musik und sind billig in der Herstellung. Eine runde Sache also.
Zweites Beispiel zum Thema Professionalität: Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia weckt das Misstrauen vieler Journalisten. Gewiss, es finden sich viele Fehler, Irrtümer, Halb- und Unwahrheiten darin. Nur müsste man folgendes bedenken: Wieviel davon finden sich denn in der Presse, in Radio und Fernsehen. Es ist einfacher, den Splitter im Auge des Anderen zu sehen, als den Balken im eigenen…
Könnte es nicht sein, dass die Begriffe Amateur und Profi in der rasant ändernden Medienwelt neue Bedeutungen erhalten: Dass die professionellen Medien mehr und mehr von Amateuren besetzt werden und die Amateur-Medien, wie eben Blogs und Community-Sites, von Profis?
Diese Entwicklung hat einen medienökonomischen Hintergrund: Je spezifischer und genauer eine Information, desto kleiner ihr potentielles Publikum. Umgekehrt: Je allgemeiner und ungenauer, desto breiter das Potential.Der Kulturwissenschafter Hartmut Böhme drückt das so aus:
…“je differenzierter, trennschärfer und dichter die Informationseinheit, um so geringer seine Verbreitung; je größer die Verbeitung, um so größer das Rauschen. Mit dem Index steigender Verbreitung nimmt das Rauschen zu, mit dem Index komplexer Information nimmt die Verbreitung ab. Dieses Gesetz ist mit dem des ökonomischen Mehrwerts verbunden. Je größer die Verbreitung, je geringer die Information, um so höher die Rentabilität. Und umgekehrt: Um so höher die Information, um so geringer die Verbreitung, um so geringer die Rentabilität….Man kann auch sagen: je mehr die mit dem höchsten Einsatz von technischer, ökonomischer und journalistischer Intelligenz erzeugte Informationsrate gegen Null tendiert, um so höher ihre Chance auf optimale Vermarktung. Und noch einmal anders gesagt: je dümmer und leerer, um so erfolgreicher und ertragreicher. “
Was heisst dies nun für die Ausgangsfrage unserer Kommunikationschefin. Ganz einfach: Die Medienwelt wird unübersichtlicher. Möglicherweise sind die interessantesten und spezifischten Informationen bald in Blogs und anderen Medienformen zu finden. Nur ändert das nichts, dass sie wohl auch in Zukunft nicht von den grossen Massen gelesen werden. Es gibt also auch weiterhin keine einfach Lösung. Aber erfolgreiche Kommunikationsprofis haben ja auch einen guten Instinkt …
Hartmut Böhme: Medialer Machiavellismus
In: Fohrmann, Jürgen / Orzessek, Arno (Hg.): Zerstreute Öffentlichkeiten.
Zur Programmierung des Gemeinsinns; München 2002, S. 161-168.