Milch – lait – latte

Schweizerdeutsch oder Hochdeutsch? – Französisch oder Englisch? – Oder überhaupt nur noch Englisch wie an der ETH? – Es herrscht wieder einmal Sprachenverwirrung. Einige klärende Gedanken


Ein Kollege von mir hat kürzlich einen Eurocentres Sprachaufenthalt in Paris gemacht. Zurück daheim äusserte er sich begeistert. Natürlich hat ihm die Stadt gefallen. Aber auch die Schule fand er gut…. Zu denken gibt mir eine Geschichte, die er von seinem Lehrer erzählt: Dieser hätte viele Schweizer Schülerinnen und Schüler, denen das Französisch in der Schule richtig verleidet worden sei und die jetzt plötzlich Freude daran kriegen.
Eigentlich schade. Warum mögen viele Deutschschweizer unsere zweite Landessprache nicht? – Selber hab ich das Französisch in den 70er Jahren mit Hilfe von viel Rotwein und Zigaretten der Marke Gauloises, Gitanes und den heute verschwundenen Françaises erlernt und vor allem erlebt. Ich kann die Methode empfehlen. Ein bisschen mehr Dampf in der Schule würde aber trotzdem nicht schaden, auch wenn man es heutzutage schwer hat mit Rotwein und Zigaretten in der Schule… Wie könnte man den Schülern auf die Sprünge helfen? – Zum Beispiel mit einem ein obligatorischen Sprachaufenthalt in einer anderen Sprachregion: Zwei Monate auf Sekundarstufe, drei Monate auf Gymnasialebene und ein halbes Jahr für Studierende. Selbstverständlich für alle, auch für die klugen ETH Studenten die neuerdings nur noch Englisch reden sollen.
Seit Jahren wird in der Schweiz wieder einmal um die Sprachen gestritten. Wann Französisch, wann Englisch und neuerdings wird sogar Mundart gegen Hochsprache ausgespielt. Mit absurden Argumenten auf beiden Seiten: Da streitet ein sonst durchaus kluger Professor aus Zürich gegen die Eiferer mit ihrem falschen Patriotismus. Und gleichzeitig wird an den Universitäten die Schweizer Literatur und Schweizer Geschichte abgeschafft.
Schweizer Dialekt gegen die Deutsche Hochsprache. Wo liegt das Problem? – Wir sprechen beides, wir lernen beides und wir pflegen beides. Das geht gut nebeneinander und beides tönt gut und richtig schweizerisch. Wer sich überzeugen will davon der höre sich bei der Gedichtsammlung „Wenn ich Schweiz sage – Schweizer Lyrik im Originalton von 1937 bis heute“ an, herausgegeben vom Migros-Kulturprozent im Christoph Merian Verlag Basel. Glänzendes Beispiel ist Nikolaus Meienberg – er schreibt mal in St.Galler Mundart, mal auf Hochdeutsch.
Statt der ewigen Quengelei könnte man ja auch mal ein bisschen stolz auf unsere Sprachvielfalt sein. Viele beneiden uns darum, mit welcher Leichtigkeit wir uns in den verschiedenen Sprachen bewegen können. Deutsch, Französisch und Italienisch nehmen wir ja fast schon mit der Muttermilch auf und die dreisprachig angeschriebenen Lebensmittel würden andere als Schnell-Lehrgang für fremde Sprachen anschauen. Dass die Mehrsprachigkeit ein Stück weit gelebt wird beweist doch auch der Witz, dass Milch impotent macht. Warum? – Steht doch auf der Packung: Milch – lait – latte.
Fazit: Wir dürfen stolz auf unserer Mehrsprachigkeit sein. Damit uns der Stolz nicht zu fest in den Kopf steigt kurz folgendes: Richtig mehrsprachig wie die Schweiz ist gewisse keiner unserer Nachbarn. Guckt man etwas weiter, sieht es schon anders aus: In Russland werden nach offiziellen Angaben 105 Sprachen gesprochen. Als Amtsprachen gelten etwa Altaisch, Kabardinisch, Balkarisch, Karelisch, Tschetschenisch. In Indien gibt’s noch mehr Sprachen: 122 sollen es sein: Bengali, Hindi, Nepali, Tamil, Urdu…
Der Text erscheint als Kolumne „Standpunkt“ im Tössthaler vom Samstag 27.November 2010