Silvesterchlausen in Urnäsch

Das Silvesterchlausen im Kanton Appenzell Ausserhoden ist einer der bekanntesten Bräuche der Ostschweiz – und ein Fest für Augen und Ohren. Besuch am 13.Januar 2024

Das Thermometer zeigt minus 12 Grad, als wir um 09.00 aus dem Auto steigen. Unser Parkplatz liegt etwa eine Viertelstunde vor dem Ort Urnäsch, Zivilschützer bringen uns mit einem Bus ins Zentrum. Den Autos nach zu schliessen, sind bereits Hunderte von Gästen vor Ort. Dort erhalten wir nähere Informationen und eine Karte, denn zunächst geht’s zu Fuss zum Aussenweiler „Binli“. Hier sehen wir die verschiedenen Gruppen, „Chlausenschüppel“ nennt man sie und dann gibt’s seit den 1960er Jahren auch die Schön-Wüeschte. Das sind eine Form von Natur- oder Waldmenschen. Die „Schönen“ sind auch erst zu Beginn des 20.Jahrhunderts entstanden.

Damit ist auch klar, dass der Brauch wohl nicht ganz so alt ist, wie viele glauben. Er soll sich im 17.Jahhrundert verbreitet haben. 1663 ist das Chlausen als „abergläubische Unart“ zum ersten Mal erwähnt. Da gab es aber erst eine Figur, die so genannten „Wüeschte“. Die „Schönen“ kamen erst am Beginn des 20.Jahrhunderts und die „Schön-Wüeschte“ sogar erst in den 1960er Jahren. Der Tourismus dürfte eine nicht unerhebliche Rolle bei der Verbreitung gespielt haben. Ein Blick in die Geschichte des Brauches im 20.Jahrhundert bestätigt dies. Alex Rechsteiner schreibt im Blog des Schweizer Landesmuseums am 31.Dezember 2021:

„Gerade in Zeiten von Armut und Hunger, die das Appenzellerland immer wieder heimsuchten, war das Chlausen ein Weg, um für die Familie einen Zustupf zu verdienen. Die sogenannten «Bettelchläuse» waren vor allem in den 1930er-Jahren unterwegs. Diese Betteltouren führten dann auch dazu, dass das Chlausen stark limitiert wurde und in den 1950er-Jahren in einigen Dörfern beinah ausgestorben war. Es ist der Initiative von einzelnen zu verdanken, dass der Brauch in den 1970er-Jahren nicht vergessen ging und sich heute grosser Beliebtheit erfreut. Das Silvesterchlausen gilt als Teil des immateriellen Kulturerbes der Schweiz.“

Unsere Kollege Peter hat die Chläuse in seinem Volkskunde-Studium vor 50 Jahren in einer Exkursion mit Arnold Niederer zum ersten Mal gesehen und schon da seien die Touristen mit Bussen angefahren, damals unter anderem auch Japaner. International ist das Publikum auch heute: Wir hören Amerikaner, Franzosen, Spanier, Italiener und – Ukrainer. Sie sind wohl als Flüchtlinge 2022 hierher gekommen. Das Chlausen ist ein Wirtschaftsfaktor und bringt in den kargen Wintermonaten Umsatz in die Gastronomie, denn Skifahren kann man hier eigentlich kaum.

Es ist ein Erlebnis, diesen Schuppeln zuzusehen und mit der Zeit wird klar: Was hier aufgeführ wird folgt einer klaren Choreographie. Zunächst singt die eine Gruppe ein so genanntes Zäuerli – danach tanzen die anderen mit ihren Glocken – schliesslich geht es weiter, nicht ohne dass die verkleideten Figuren den Bewohnern des Hofes die Neujahrswünsche überbracht haben. Diese revanchieren sich mit Getränken – Glühwein oder Most – der den verkleideten Larven mit einem Trinkhalm zugeführt wird.

Bis gegen Mittag dürften Tausende von Gästen ins Dorf geströmt sein. Der Brauch ist ohne Zweifel attraktiv. Gut möglich, dass das Interesse heute grösser ist als früher. Man sehnt sich im elektronischen Zeitalter nach Erlebnissen ausserhalb von Bildschirm und Handy und träumt von einer Vergangenheit, die es wohl nie so gegeben hat. Insofern passt das Chlausen prima in die heutige Zeit. Und es ist fotogen respektive „instagrammable“. Kaum ein Besucher oder eine Besucherin rückt ohne Handy an. Und natürlich gibt’s dann auch die Fotografen (alles Männer) mit schwerem Geschütz.

Schliesslich hat auch der Schreibende nicht nur fotografiert (mit schwerem Geschütz: Nikon Z5 Vollformat) sondern auch ein Video geschnitten. Im Appenzeller Brauchtumsmuseum von Urnäsch gibts mehr Infos


Bildergalerie – Fotos Dominik Landwehr