Zeindlers Agentroman „Der Schläfer“ von 1993: Ein aktuelles Buch!

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1993 erschien im Zürcher Arche Verlag der Thriller „Der Schläfer“ von Peter Zeindler. Das Buch ist vergriffen, vergessen und auch antiquarisch nur sehr schwer erhältlich. Schade. Geschrieben im scheinbaren Vakumm nach dem Endes des Kaltens Krieges – Thriller-Autoren sahen schon ihre Felle davon schwimmen – ist es auf eine beklemmende Weise aktuell. Oder waren die Informationen im Buch zu wenig verschlüsselt? – Tatsächlich hat sich der Autor wenig Mühe gemacht Namen, Orte und Geschehnisse zu verändern. Nur die Geschichte selber ist erfunden.


Ich habe dem Autor Peter Zeindler nach meiner Rückkehr vom IKRK 1990 ausführlich Bericht erstattet; er wurde plötzlich hellhörig und interessierte sich dann sehr genau für meine Erzählungen. So habe ich ihn auch dokumentiert, habe ihm Fotos gezeigt, Lokalitäten geschildert. Als ich sein Buch 1993 erschien war ich selber überrascht: Er schilderte vieles so, als hätte er es mit eigenen Augen gesehen.
Die Farben, die geschilderten Orte und auch die Menschen – sie sind real. Nur die Geschichte ist erfunden. Aber sie könnte wahr sein. Es hat mich im Nachhinein überrascht, dass nie jemand Bezug auf diese Dinge genommen hat.
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Darum geht es: Ein Zürcher Journalist wird als IKRK-Delegierter an die pakistanisch-afghanische Grenze geschickt. Er gerät in eine Drogengeschichte und findet sich eines Tages im Gefängnis von Peshawar wieder. Ein US Diplomat arrangiert seine Freilassung – aber nun schuldet er ihm etwas. Der Journalist und IKRK-Delegierte ist zum Schläfer geworden. Immer wieder taucht im Buch die Beschreibung des wilden, afghanischen Reiterspiels Buskashi auf. Zeindler hatte nur meine Bilder – eines davon das nebenstehende – gesehen. Es zeigt den US Konsul Mike Malinowski bei der Übergabe der Ehrenpreise, eines traditionellen Turbans. Das US Konsulat hatte dieses Spiel arrangiert, man darf auch sagen „gesponsert“.
Niemand konnte ahnen, dass nicht einmal zehn Jahre nach dem Erscheinen dieses Buches solche Schläfer auftauchen würden – allerdings nicht im Solde des CIA sondern eines Mannes, der sich in eben diesem Peshawar lange aufgehalten hat: Osama bin Laden. Gut möglich, dass er nur wenige hundert Meter von uns entfernt ein und ausgegangen ist. Und wer es genau wissen möchte: Wir lebten damals an der Khushal Khan Khattak Road in University Town, einem Vorort der pakistanischen Grenzstadt Peshawar. Links und rechts von uns eine fast unüberschaubare Anzahl von anderen Nichtregierungsorganisationen. Viele davon aus der islamischen Welt, namentlich aus Kuweit und Saudi-Arabien. Auffällig jeweils ihre Mitshubishi-Pajeros mit getönten Scheiben, auffällig auch immer die grosse Anzahl von bis an die Zähnen bewaffneten Leibwächtern.
Hier nun die ersten zwei Seiten aus Peter Zeindlers Roman.
Peshawar, Januar 1989
»jetzt«, sagte Malinowski und preßte seinen weichen Mund fest zusammen.
Martin Lanker schaute den fünfzigjährigen Amerikaner, auf dessen Kindergesicht sich frohe Erwartung spiegelte, von der Seite an. Seine Hände umklammerten die Knie. Die Knöchel waren weiß, und der kugelrunde Stein auf dem plumpen Siegelring sah aus wie ein drittes Auge. Die Gläser seiner randlosen Brille blitzten.
Er spürte, wie der Boden unter ihm bebte, und bemerkte gleichzeitig, daß sich Malinowskis Stiefelspitzen auf dem dunkelroten Teppich voneinander wegbewegten, als ob sich die Füße eine solidere Basis suchten.
Kehlige Schreie lösten sich aus dem fernen Grollen, das schlagartig zu explodieren schien. Die Reiter kamen im Schutz dichter Staubwolken aus allen Himmelsrichtungen herangestürmt, und als sie aufeinanderprallten, stieg eine quirlende Säule steil in den Himmel, quoll auseinander, formte sich zum Pilz, löste sich auf und sank in flimmernden Partikeln nieder.
»Fieber?«
Lanker zuckte zusammen. Daß der Amerikaner so genau über den Verlauf seiner Krankheit Bescheid wußte, ärgerte ihn. Seine Malaria war nicht lange zwischen ihm und seinem Arzt geheim geblieben.
»Malaria quartiana triplicata«, murmelte Malinowski scheinbar beiläufig und wandte sich wieder dem Geschehen auf dem Sportplatz zu. Schließlich fühlte er sich in gewisser Hinsicht zuständig für das, was sich da unten abspielte.
jetzt wurde der weiße leuchtende Kreis sichtbar, in dessen Zentrum das tote schwarze Lamm lag. Die Pferde tänzelten ängstlich an der Peripherie, doch ihre Reiter trieben sie mit Peitschen in immer neuen Attacken aufeinander zu, versuchten schreiend, den magischen Zirkel zu sprengen und sich die Beute zu krallen.
Lanker hatte die Regeln dieses Reiterspiels, das die Männer aus den afghanischen Flüchtlingslagern vorführten, nie durchschaut. Wenn sie aus allen Ecken der Arena auf den weißen Kreis zupreschten, wo der Tierkadaver lag, um ihn in einer akrobatischen Zirkusnummer, bei der sie kopfüber an ihren Pferden hingen, an sich zu reißen. Nur einem konnte dies gelingen. Verfolgt von der ganzen Horde, galoppierte dieser dann auf einen zweiten Kreis zu, in dessen Zentrum ein Fähnchen in den Farben des Propheten flatterte. Dort wagten die geschlagenen Verfolger nicht mehr einzudringen.
»Gefällt es Ihnen, Martin?« fragte Malinowski, ohne den Blick von dem Geschehen abzuwenden. »Ihr Abschiedsfest! «
Lanker überhörte den spöttischen Unterton nicht. Malinowski hatte ihn in der Hand. Er hatte seine Krankheit kaltblütig ausgenutzt. Und wenn Lanker auch am nächsten Tag nach Zürich zurückflog, würde das nichts an seiner Beziehung zu dem amerikanischen Diplomaten ändern.
»Hallo, Martin.«
Lanker rückte wortlos näher an Malinowski heran, um Chalid, seinem Kollegen vom türkischen Halbmond, der überraschend aufgetaucht war, Platz zu machen.
Chalid war Saudi. Mindestens behauptete er das von sich, auch wenn seine schieferblauen Augen nicht so recht in das Bild passen wollten, das man sich von einem Saudi macht.
»Ihr letzter Tag in Peshawar, Martin?« fragte Chalid.
Sie musterten einander, ihre Gesichter blieben ausdruckslos.
»Ein kurzer Aufenthalt. Drei Monate?«
Lanker nickte. »Vielleicht komme ich zurück, wenn die Ärzte zu Hause meine Malaria in den Griff bekommen haben.«
Chalids Pupillen zogen sich zusammen. Auch er wußte also Bescheid.
»Jeder sucht sich die Krankheit, von der er denkt, daß sie ihm Zuflucht bedeutet. Sie hätten nicht nach New Delhi reisen sollen!«
Lanker machte eine wegwerfende Handbewegung. Er war ärgerlich, aber Chalid war nun einmal eine Instanz, an der Lanker in seiner täglichen Arbeit nicht vorbeikam.
Chaild war Pressechef des Türkischen Halbmonds, der Parallelorganisation zum IKRK, für das Lanker tätig war. Allerdings vertrat er den autonomen, etwas undurchsichtigen saudiarabisch-kuweitischen Ableger des Türkischen Halbmondes, der in manchem ganz andere Ziele verfolgte als sein grösserer Bruder.
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