Youtube – das neue Jugend TV

Die Videoplattform YouTube existiert seit 2005. Sie hat in in dieser kurzen Zeit das Medium Video neu definiert und fordert das traditionelle Fernsehen heraus.


Es ist noch nicht lange her, da wurde die Videoplattform YouTube belächelt. Zu sehen waren hauptsächlich kurze, schlecht gefilmte Videoschnipsel. Heute ist YouTube zum wichtigsten Fernsehkanal für unter 30jährige geworden. Er gehört seit 2006 dem Internetriesen Google. Und die interessantesten Videoangebote werden von den Usern selber bereit gestellt.
Längst hat YouTube seine eigenen Stars. Das sind oft Figuren, die ausserhalb der Plattform kaum bekannt sind. Zum Beispiel Julia Graf: Die schweizerisch-kanadische Doppelbürgerin hat im Jahr 2006 angefangen einen Lifestyle Blog zu führen. Auf ihrem YouTube Kanal gibt’s professionell produzierte Makeup-Anleitungen und damit trifft sie offenbar einen Nerv beim Publikum: 172 Millionen Mal wurden ihre Videos angesehen, über 800 000 haben ihren Kanal abonniert. Rund um die Videos schaltet YouTube Werbung und beteiligt die Betreiber an den Einnahmen. Über deren Höhe wird aber Stillschweigen vereinbart.
Viele der YouTube-Videos sind mit einfachsten Mitteln in einem Homestudio realisiert, wirken aber oft professionell. YouTube setzt auf die Professionalisierung seiner Benutzer und unterhält mit seinen YouTube Spaces seit kurzem auf der ganzen Welt fünf Video-Produktionsstudios, eines davon ist in Berlin. Besonders ambitionierte und erfolgreiche YouTuber können dort unter professionellen Bedingungen arbeiten oder einen Workshop besuchen. Das wichtigste Zulassungskriterium sind die Abozahlen, sagt YouTube Sprecher Henning Dorstewitz
Und an Nachwuchs mangelt es nicht: Die beiden knapp 20jährigen Schweizerinnen Lena Pfeiffer und Karin Walker machen Comedy und laden ihre kurzen Video-Sketches auf YouTube hoch. Dafür haben sie auch einen klingenden Namen gewählt: ‹TheScraper›. Das heisst etwa so viel wie der Schaber. In einem ihrer Sketches geht’s zum Beispiel um ein verschimmeltes Sushi. Noch haben die beiden keine grossen Ambitionen und freuen sich einfach, wenn ihre Produktionen im Freundeskreis Beachtung finden.
Auch der 20-jährige Solothurner Joel mag es, andere Leute zu unterhalten und betreibt unter dem Namen ‹Smileypeacefun› einen eigenen YouTube Kanal. Kürzlich hat er eine Schweizer Plattform mitgegründet. Die Swisstubers: «Wir sind über 40 Personen und machen alle drei bis vier Monate ein Treffen für Gleichgesinnte.» YouTube unterstützt diese Aktivitäten in der Schweiz und ist auch Sponsor des grössten YouTuber-Treffens europaweit, den Videodays in Berlin und Köln. Knapp 16 000 Fans kamen zum letzten derartigen Treffen im August 2015 nach Köln.
YouTube entstand um 2005 in den Köpfen von drei jungen Programmierern: Chad Hurley, Steve Chen und Jawed Karim. Der Name wurde am 14. Februar 2005 angemeldet, das erste Video wurde am 23. April 2005 hochgeladen: es heisst ‹Me at the Zoo› und zeigt Jawed Karim, einer der drei Gründer im Zoo. Zehn Jahre später ist YouTube die wichtigste Videoplattform weltweit und nach Google und Facebook die grösste Website der Welt: Jede Minute werden 400 Stunden Videomaterial hochgeladen, jeden Tag Hunderte von Millionen Stunden Video abgerufen.
YouTube, seit 2006 im Besitz von Google, wird immer mehr zu einer Geldmaschine: Das Unternehmen veröffentlicht zwar keine Zahlen, das deutsche Nachrichtenmagazin ‹Der Spiegel› schätzt die Werbeeinahmen für 2015 auf drei bis fünf Milliarden US Dollar. Das wichtigste Publikum sind die unter 30-Jährigen – jene Gruppe also, die sich vom traditionellen Fernsehen kaum mehr erreichen lassen.
In den USA betreibt YouTube unter dem Namen YouTube Red seit 2014 ein Premium-Modell. Wer 9.99 Dollar pro Monat bezahlt kann sich die Videos ohne Werbung ansehen, den Kanal auf dem Smartphone im Hintergrund laufen lassen oder Videos und Musik downloaden. Das Angebot soll noch 2016 nach Europa kommen, ob die Schweiz auch dabei sein wird, ist allerdings noch offen.
YouTube setzt Standards und lässt neue Formate entstehen: Dazu gehört zum Beispiel das Format der so genannten ‹Unboxing Videos›. Hier zeigt eine Person, wie sie ein neues Produkt wie etwa eine Kamera, Computer oder ein Smartphone auspackt. Ähnlich sind die so genannten ‹Haul Videos›: Bei diesem Format präsentiert ein Benutzer seine eben getätigten Einkäufe, dabei stehen Kosmetik und Kleider im Vordergrund. Die Vielfalt der YouTube Formate ist verwirrend und ständig in Bewegung. Die Medienwissenschafterin Tine Nowak weiss von weiteren Formaten wie ‚Follow-me-around‘. Hier nimmt ein YouTuber sein Publikum auf einen Rundgang, zum Beispiel durch ein Festival.
Das kann aber auch ein Rundgang durch seine eigenen vier Wände sein. In diesem Fall spricht man dann von ‚Room-Tour‘ . Beliebt ist auch das Dokumentieren von Morgenroutinen vom Aufwachen übers Zähneputzen bis zum Frühstück. Der Reiz dieser Formen ist für Aussenstehende oft nur schwer nachvollziehbar. Allerdings haben auch die jugendlichen User oft Vorbehalte: «Viele finden das toll und schauen sich das an, würden aber nie ein solches Video von sich selber hochladen», erklärt uns Tine Nowak.
Wer heute wissen will, wie man eine Software installiert, wie man einen Staubsauger oder eine WC-Spülung repariert, wie man sich schminkt oder welche Kleider man tragen soll, der schaut sich ein Tutorial auf YouTube an, das ist nichts anderes als eine gefilmte Gebrauchsanleitung. «Wenn ich in der Schule etwas nicht verstehe gehe ich zu YouTube. Mathematik zum Beispiel lerne ich mit dem YouTube-Kanal Simple Maths. Da gibt’s tolle Videos, zum Beispiel über binomische Formeln, alles in deutscher Sprache», erklärt uns die 17jährige Gymnasiastin Stefanie. Noch tun sich die Lehrer schwer damit, dieses neue Medium ernst zu nehmen, sagt der Berliner Medienpädagoge Daniel Seitz und weist auf das enorme Potential hin, das bereits heute vorhanden ist. Seitz: «Die Tatsache, dass es gleichzeitig auch Spass macht, heisst nicht, dass es schlecht ist für die Bildung.»
Zu den neusten Trend gehören sogenannte Flüstervideos. Bei dieser Form haucht eine meist weibliche erwachsene Protagonistin ins Mikrophon und erzeugt kleine Geräusche, etwa indem sie mit dem Fingernagel über eine Haarbürste fährt. Dahinter steht ein pseudowissenschaftliches Konzept, das sich ASMR nennt. Die Abkürzung steht für Autonomous Sensory Meridian Response. Die Methode soll der Entspannung dienen und hat offenbar eine wachsende Zahl von Anhängern.
Das Medium Fernsehen ist unter Druck: Das bestätigen Gespräche mit Jugendliche. Sie schauen kaum noch traditionelles Fernsehen sondern bestreiten ihre Fernseh-Unterhaltung mit YouTube Filmen. Das ist eine grosse Herausforderung auch für die Verantwortlichen von SRF, bestätigt Martin Oswald, Leiter Content bei SRF Online: «YouTube ist hinter Google die zweitgrösste Suchmaschine der Welt. Wer also Videos produziert, muss sich zwingend mit YouTube auseinandersetzen.» Das Medium YouTube, so Oswald, funktioniert aber anders als das Medium TV: Personalisierung zum Beispiel ist ein wirksames Rezept. Damit tun sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter schwer. Dem ZDF ist es gelungen mit dem Komiker Jan Böhmermann auch einen eigenen YouTube Star zu lancieren und zwar schon bevor sein Name durch das Erdogan-Schmähgedicht um die Welt ging. «Da können wir bei SRF nicht mithalten. Wir experimentieren aber immer wieder mit neuen Formaten, welche speziell für YouTube gemacht sind.» Dabei ist die Zahl der Abonnenten für langfristigen Erfolg entscheidend, so Oswald. Abonnenten werden immer wieder die neusten Videos ihrer Lieblingskanäle anschauen. Und die Masstäbe sind hoch: Der erfolgreichste YouTube Star weltweit ist der schwedische Gamer und Komiker PewDiePie mit 43 Millionen Abonnenten, der deutsche YouToube Star LeFloid bringt es noch auf 2.9 Millionen.
Hat YouTube das utopische Versprechen eingelöst und den Konsumenten zum Produzenten gemacht, wie es bereits Bertolt Brecht in seiner berühmten Radiotheorie gefordert hat? – Man zögert mit einer positiven Antwort. Zwar stammt der Content von YouTube zum grössten Teil vom Publikum. Er ist aber letztlich der Kontrolle des Google Konzerns unterworfen und folgt zusätzlich länderspezifischen Regeln. Ob dies die von Brecht erträumte Demokratisierung des elektronischen Mediums ist, dürfte fraglich sein. Klar ist jedoch, dass die die Kontrolle über ein Medium vom Nationalstaat zur globalisierten Internetindustrie verschoben hat. YouTube ist das erste globale Jugendmedium, kontrolliert vom Internetgiganten Google.
Der Text ist ein Aufsatz aus dem Buch «Digital Kids» in der vom Migros Kulturprozent herausgebenen Reihe EDITION Digital Culture und erscheint im Herbst 2016. Eine gekürzte Version erschien ausserdem am 6.August 2016 in der Neuen Zürcher Zeitung

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