Warum gibt es in der Schweiz kein Ausländer und Kinderwahlrecht?

Die Schweiz hat gewählt. So titeln die Zeitungen, so beginnen die Radio –und Fernsehmoderatoren ihre Beiträge. Hat sie das wirklich? – Gemäss amtlichen Quellen haben knapp 50 Prozent der Wahlberechtigten ihr Wahlrecht auch wahrgenommen. Ist das viel oder wenig? – 1995 war die Stimmbeteiligung mit 42 Prozent auf einem Tiefpunkt. 1971 gingen noch knapp 57 Prozent zur Urne. So richtig viel ist aber auch das nicht. (Tössthaler Kolumne „Standpunkt“ vom 5.11.2011)


Tiefe Wahlbeteiligung: ist das ein Problem? – Ich glaube ja. Denn das Parlament muss vom Volk legitimiert sein. Ich jedenfalls wünsche mir ein Parlament, das von wirklich allen gewählt ist und nicht bloss von jenen, die gerade Lust und Zeit hatten, zur Urne zu gehen. Was könnte man gegen die tiefe Wahlbeteiligung tun? – Allen voran steht wohl die Einführung der elektronischen Stimmabgabe. Die Idee wird seit Jahren diskutiert, entsprechende Versuche laufen. Trotzdem: Warum ist das so schwierig? – Wenn es möglich ist, sichere Geldüberweisungen per Internet zu machen, dann sollte es doch auch möglich sein, eine sichere Stimmabgabe einzurichten. Die Einführung der brieflichen Stimmabgabe hat sicher auch schon etwas gebracht.
Über zwei Millionen Schweizerinnen und Schweizer sind auf Facebook. Das war bei den letzten nationalen Wahlen noch nicht der Fall. Demensprechend haben alle Parteien und vor allem viele Kandidatinnen und Kandidaten auch Facebook als Kommunikationsinstrument benutzt. Auch die Wahlhilfe von Smartvote wird immer populärer, auch wenn sie in Politikerkreisen umstritten ist: sie erlaubt die Suche nach Politikern, die zum eigenen politischen Profil passen. Ebenfalls praktische Unterstützung beim Stimmen und Wählen gewährt die überparteiliche Internetseite Votez. Was haben diese elektronischen Wahlhilfen wirklich gebracht? – Ich weiss es nicht, hier sind die Politologen und Soziologen gefragt, ich bin gespannt auf eine Antwort.
Es braucht wohl auch ganz neue Ideen. Hier lohnt sich ein Blick in die USA. In der Wahlkampagne von Barack Obama spielte eine originelle Idee eine wichtige Rolle: Kinder und Jugendliche wurden zu ihren Grosseltern geschickt und erklärten ihnen, weshalb es wichtig ist, das Wahlrecht wahrzunehmen. Ich glaube auch an die Kraft des persönlichen Kontaktes. Hier liegt wohl einiges Potential. In meinem Umfeld wurde das auch mit Erfolg praktiziert. Bitten doch auch Sie Ihre Bekannten, zu wählen!
Ein Blick auf die Zahlen lehrt uns aber noch mehr: In der Schweiz leben heute gemäss Bundesamt für Statistik 7.7 Millionen Menschen. Davon sind aber nur 5.1 Millionen wahlberechtigt. 0.9 Millionen sind Kinder, 1.7 Millionen Ausländer. Warum sind eigentlich Kinder und Jugendliche nicht wahlberechtigt? – Die Idee ist nicht so absurd, wie sie auf den ersten Blick tönen mag und wird in einer etwas abgeschwächten Form, dem sogenannten Familienwahlrecht auch diskutiert. Ich denke, wir werden nicht um diese Diskussion herumkommen, nicht zuletzt aus demographischen Gründen. Das Durchschnittsalter verschiebt sich immer mehr nach oben und wenn wir nichts dagegen tun, wird das Parlament bald mehrheitlich von Menschen im Pensionsalter gewählt. Deren Renten zahlt aber die Jugend!
Noch kontroverser ist die Frage des Wahlrechts für Ausländer. Warum haben jene, die in der Schweiz arbeiten und leben, Steuern zahlen und Kinder zur Schule schicken keine politischen Rechte? – Auch hier gibt es Modelle: Jeder, der in den USA geboren ist, erhält automatisch das US Bürgerrecht. Anders in der Schweiz: Hier ist es sehr schwierig, eingebürgert zu werden. Das schlägt sich dann auch in der Statistik nieder. Der hohe Ausländer-Anteil der Schweiz ist ein Resultat dieser Politik!
Das ist ein ganzes Bündel von Ideen. Denn letztlich geht es nicht nur um die Vergrösserung einer abstrakten Zahl. Es geht darum ein Parlament zu wählen, das alle Menschen in der Schweiz vertreten kann!
Dieser Text erschien am 5.November 2011 in der Zeitung „Tössthaler“ unter der Rubrik „Standpunkt“

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