Fast alle in der Schweiz internierten Soldaten verliessen am Ende des Krieges unser Land. Einer der wenigen der blieb war der Pole Zdzisław Pregowski. Eine Ausstellung im Ortsmuseum Wila erinnert an diese Zeit und auch an die «Vitaminferien» für arme polnische Kinder, die er in den 1980er Jahren organisierte. Einige dieser Kinder kamen auch ins Tösstal.
Köbi Kündig aus Langenhard ist so etwas wie das Gedächtnis des Tösstals. Wir besuchen ihn ein erstes Mal schon im vergangenen Jahr, auf der Suche nach Erinnerungen an die internierten Soldaten im Tösstal im Zweiten Weltkrieg. Er ist 1931 geboren und hat an die Zeit des Zweiten Weltkrieges eine glasklare Erinnerung. Die polnischen Internierten seien junge starke Männer gewesen, die wie Eichhörnchen auf den Bäumen herumgeklettert seien. Man konnte sie überall brauchen: Im Stall beim Misten, auf dem Acker beim «Härdöpfle» und im Wald beim Roden der Bäume. Eine Mordsarbeit. Man wollte damals Ackerland gewinnen, «Anbauschlacht» sagte man dem Programm.

Viele Jahre später hörte man in Langenhard noch einmal von einem Polen, der im Krieg als Internierter in Winterthur war: Zdzisław Pregowski. Er bleib nach 1945 hier und organisierte 1980 bis 1987 Ferien für arme polnische Kinder. Einige dieser Kinder landeten auch in Langenhard, erinnern sich Köbi Kündig und seine Frau Berti.
Die damalige Präsidentin des Frauenvereins meldete sich nach einem Aufruf in den Medien. Sie hatte zehn Familien organisiert, die alle je ein Kind für fünf Wochen bei sich aufnehmen konnten. Essen gab es genug, Milch, Brot und Fleisch, dazu Früchte und Gemüse hatte man vom eigenen Hof und die Sonne und die gesunde Luft trugen dazu bei, dass es den Kindern gut gehen sollte. Auch die Familie Kündig nahm ein Kind bei sich auf. Das «Polenmaitli» wie man ihm sagte, hatte den Namen Magdalena. Aber ganz so einfach, wie man sich das vorgestellt hatte, war es dann nicht: Das Kind hatte kurz vor ihrem Aufenthalt in der Schweiz ihren Vater verloren und hatte oft Heimweh, erinnern sich das Paar. Viele dieser Kinder waren ärmlich und schlecht ernährt, sie kamen mit einem grossen Koffer in die Schweiz, der aber praktisch leer war. Als sie wieder heimfuhren, gab man ihnen grosse Lebensmittelpakete mit. Zum Dank entstanden rührende Kinderzeichnungen.

Einige der Familien hielten auch nach dem Aufenthalt ihrer Gäste noch Kontakt. Das war nicht immer einfach, denn sie wurden gelegentlich auch mit Wünschen konfrontiert, die sie nicht mehr erfüllen konnten oder wollten.
Der Hintergrund dieser Aktion war die grosse Krise, die Polen in den 1980er Jahren erlebte: Es gab Lebensmittelengpässe, Unruhen, Streiks; am 31. Dezember 1981 wurde das Kriegsrecht ausgerufen, es folgte eine Verhaftungswelle. Die unabhängige Gewerkschaft Solidarność wurde gegründet; sie wurde schnell zu einer wichtigen politischen Kraft im kommunistischen Polen. Schweizer Hilfswerke schicken Hilfsgüter. Es war die Zeit des Kalten Krieges, man fürchtete eine Intervention von sowjetischen Truppen wie zuvor 1956 in Ungarn oder 1968 im Prager Frühling Viele Schweizer unterstützten damals Hilfsaktionen in den kommunistischen Ländern Osteuropas, dem so genannten Ostblock. Die Angst vor der Sowjetunion war übermächtig. Zdzisław Pregowski hatte sich 1956 bereits für die Opfer des Ungarenaufstandes engagiert. Für ihn war es keine Frage, auch in Polen wollte er helfen. Zwar engagierten sich auch Schweizer Hilfswerke, er wollte aber selber tätig werden und gründete die Organisation «Polen in Not».

Bild: Familienarchiv Pregowski.
Pregowski konnte zahlreiche Politiker für seine Hilfsaktion «Polen in Not» gewinnen. Darunter die Bundesräte Jean-Pascal Delamuraz (FDP), Rudolf Friedrich (FDP) oder die damalige Zürcher Regierungsrätin Hedi Lang (SP). In Polen war die katholische Kirche, die einen Ruf als unabhängige Institution hatte, Ansprechpartner. Zwischen 1980 und 1978 schickt er Hilfsgüter und Medikamente im Wert von über sieben Millionen Franken nach Polen. Dazu gründete er eine Ferienaktion für arme polnische Kinder, die bald unter dem Namen «Vitaminferien» bekannt wurde. Mehr als 2000 polnische Kinder kamen in dieser Zeit in Schweiz. 1500 Familien nahmen in diesen Jahren ein Ferienkind aus Polen zu sich, auch das Kinderdorf Pestalozzi beteiligte sich.
Heute ist der Name Zdzisław Pregowski vergessen. Im Internet finden wir aber einen Janusz Pregowski in Winterthur – und rufen ihn an. Volltreffer: Janusz Pregowski ist der Sohn von Zdzisław Pregowski, der 1998 verstorben ist. Wie sein Vater führt auch er ein Architekturbüro, das er bald einem Nachfolger übergeben wird.
Mit Janusz Pregowski entspannt sich nun im Januar dieses Jahres ein fruchtbarer Dialog. Immer wieder stösst er auf Unterlagen: Zeitungsausschnitte, Fotos, Dokumente und nach und nach entsteht das Bild seines Vaters, eines umtriebigen und initiativen Mannes, der auch nicht ganz frei von einer gewissen Eitelkeit war. Ganz nebenbei entdecken wir, dass Janusz Pregowski auch im Tösstal seine Spuren hinterlassen hat – so hat er unter anderem in den 90er Jahren die Siedlungen Zelgli und Burghalde in Rämismühle gebaut. Eine ehemalige Lehrerin erinnert sich gar an ein Skilager in den 1970er Jahren, wo er als Hilfsleiter engagiert war.
Sein Vater Zdzisław Pregowski kommt 1912 im damaligen Lemberg zur Welt. Die Stadt gehörte damals zu Österreich-Ungarn, wurde dann polnisch, und nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion einverleibt. Die gesamte polnische Bevölkerung wurde vertrieben. Heute heisst die Stadt Lviv und ist Teil der Ukraine. Diese Geschichte ist wichtig, denn sie zeigt einen Teil der komplizierten Geschichte Polens.
Vor dem Krieg arbeitet Zdzisław Pregowski in einem Architekturbüro in Mailand. Nach dem Überfall von Nazi-Deutschland und der Sowjetunion, die das Land unter sich aufteilen, schliesst er sich dem polnischen Widerstand im Ausland an und wird Teil der 12.Polnischen Schützendivision. Sie gerät im Sommer 1940 im Kampf mit der deutschen Wehrmacht nahe der Schweizer Grenze in eine aussichtlose Lage. Am 19 und 20.Juni 1940 überschreiten 12’500 polnische Soldaten zusammen mit 20 000 Franzosen die Schweizer Grenze im Jura, sie werden entwaffnet und interniert. Unter ihnen ist auch Zdzisław Pregowski. Er erhält die Chance, in Winterthur sein in Polen begonnenes Architekturstudium fortzusetzen und schliesst es am Ende des Krieges mit einem Diplom ab. Hier hat er auch seine zukünftige Frau Verena Witzig kennengelernt. Das Paar heiratet 1948. Ein Jahr später kommt ihr erstes Kind zur Welt: Janusz. Er sollte später noch zwei Schwestern kriegen.

Bild: Schweizerisches Nationalmuseum / ASL.
Das Bild ist Teil des Ringier-Fotoarchivs, das heute im Staatsarchiv Aargau ist.
Er blieb bis zu seinem Tod 1998 in Winterthur. Pregowski fühlte sich mit Winterthur und der Schweiz verbunden. Schon in seiner Zeit als Architektur-Student in Winterthur beteiligte er sich als Sänger an zahlreichen Konzerten. Teilweise ist er auch als Solist unter dem Künstlernamen ‘Alba’ aufgetreten.
In Winterthur machte Zdzisław Pregowski rasch als Architekt Karriere. Eines seiner ersten Projekte war die Überbauung Meisenpark an der Heiligbergstrasse in Winterthur. Später realisierte er den Neubau der Schule Hegifeld in Winterthur. In Marly bei Freiburg baute er ein Studentenwohnheim und eine Kapelle. Pregowski ist auch der Erfinder der nach ihm benannten Prewi-Matrizen. Das sind Kunststoff-Verschalungen für Betonwände. Sein Betrieb lag im Weissental zwischen Kollbrunn und Weisslingen, wo sich auch heute noch ein kleines Gewerbegebiet befindet.
Die Aktion «Polen in Not» war nicht unumstritten. 1981 kritisierte der Direktor der Caritas Schweiz Fridolin Kissling die Aktion, lesen wir in einem Artikel aus der Feder von Alfred A. Häsler in der Weltwoche. In der Diskussion wurden verschiedene Argumente vorgebracht: Die Kinder seien in der gegenwärtigen Situation besser aufgehoben in ihren eigenen Familien, wurde argumentiert, die Konfrontation mit dem Konsumangebot in der Schweiz würde sich negativ auf die Kinder auswirken, zudem sei die Verständigung mit den Kindern wegen fehlenden Sprachkenntnissen schwierig oder gar unmöglich. Viele der Kinder kamen allerdings gar nicht aus Familien, sondern aus Kinderheimen. Die polnische Parteizeitung «Trybuna Ludu» behauptete gar, die Kinder würden in der Schweiz antikommunistisch indoktriniert. Daraufhin stoppte die polnische Regierung die Aktion und schlug vor, solche Ferien in Polen zu organisieren. Ob das geschehen ist, wissen wir nicht, die Ferienaktion scheint aber bis 1987 weiter gegangen zu sein.

Die Zeit der Polen-Aktion war wohl der Höhepunkt eines bewegten Lebens: Zdzisław Pregowski erhält eine Audienz beim Papst Johannes Paul II, der ja selber auch Pole war. Auch mit dem Gewerkschaftsführer Lech Walesa unterhielt Pregowski gute Beziehungen und schenkte ihm sogar ein Auto. Im Dezember 1980 wird Lech Walesa von der Regierung unter Arrest gestellt. Pregowski ist der erste ausserhalb der Familie, der ihn am 10.März 1982 in der Villa Otwock, südlich von Warschau, besuchen darf. «Walesa geht es gut, er hat etwas zugenommen und aus seinem Schnauz ist ein Bart geworden», gab er United Press International UPI zu Protokoll. Die New York Times und die Washington Post bringen die Meldung. Dem ‘Landboten’ ist sie eine Titelgeschichte wert. Eine andere Zeitung, die ‘Winterthurer Zeitung’ wählte ihn im Januar 1981 zum Winterthurer des Jahres und berichtet von einer wahren Welle der Sympathie aus der Winterthurer Bevölkerung.
1993 wurde Pregowski für seine Verdienste und namentlich für sein karitatives Engagement von der Universität Breslau (Wrocław) mit dem Ehrendoktor ausgezeichnet. Breslau ist heute noch eng mit Lemberg verbunden, dort wurde 1912 Pregowski geboren. Er stirbt 1998 im Alter von 86 Jahren.

Zurück nach Langenhard: Berti und Köbi Kündig sind nicht viel gereist in ihrem langen Leben. Da war zu viel Arbeit als Landwirte, da waren sechs Kinder, die versorgt werden mussten. Berti und Köbi Kündig haben die Welt aus der Perspektive des Tösstals erlebt. Aber die Welt ist zu ihnen gekommen, nicht nur via Zeitung, Radio und Fernsehen und sie freuen sich, dass sie heute davon erzählen dürfen.
Die Ausstellung «Internierte im Tösstal» ist am Sonntag 6.Februar zwischen 14.00 und 17.00 zu sehen.
Weitere Daten sind
Sonntag, 6. März 2022 Sonntag, 3. April 2022 jeweils 14.00 –16.00
Ortsmuseum Wila
Dieser Beitrag erschien am 8.Februar 2022 im Tössthaler und am 10.Februar im Landbote.