Seit drei Generationen betreibt die Familie Morof an der Dorfstrasse 9 in Kollbrunn ein Velogeschäft. Hier haben schon die Tössthaler Industriearbeiter ihre Velos flicken lassen.
Unser Gespräch war schon lange geplant – am besten einmal im Winter, wenn nicht viel los ist. Aber heute ist alles anders: «Die Leute fahren das ganze Jahr über Velo, teilweise sogar bei Schnee». Also gibt’s diese ruhigen Zeit gar nicht mehr, sagt Christian Morof, der das Geschäft seit 2003 allein führt. Vater Walter Morof ist beim Gespräch natürlich auch dabei, er hat 1972 von seinem Vater Paul Morof übernommen.
Und von diesem Paul Morof reden wir zuerst. Er wurde 1902 geboren und starb 1975 im Alter von 73 Jahren. Bei seiner Beerdigung war die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt: «Alles war rot», Paul Morof war überzeugte Sozialdemokrat. Als Sohn eines Seidenwebers erlebte zu Beginn des 20.Jahrhunderts im Zürcher Oberland eine Jugend in bitterer Armut. Das hat ihn für das ganze Leben gezeichnet und ihm gleichzeitig auch eine Grosszügigkeit verliehen, die er weitergegeben hat: «Der Vater hat immer allen Geschenke gemacht», weiss der 1942 geborene Walter Morof zu berichten.
Er führte das Leben eines einfachen Mannes aus dem Tösstal, der zunächst in der Industrie seinen Lebensunterhalt verdiente und später sein Geschick für ein eigenes Geschäft entdeckte. Gleich nach der Schule arbeitete er am Stauwerk in Wäggital, das zwischen 1922 und 1926 gebaut wurde. Später ging er zu Sigg nach Frauenfeld, 18 Jahre lang arbeitete er bei Sulzer in Winterthur und 1957 bis 1966 bei der Firma Berchtold in Kollbrunn.
Die Staumauer des Wäggitaler Sees war lange die höchste von Europa. Auf der Baustelle arbeiteten in den 1920er Jahre auch Paul Morof. Foto ETH-Bildarchiv.
Schon während des Zweiten Weltkriegs betrieb er eine kleine Werkstatt im Nebenberuf und reparierte Velos – im so genannten Steinhäldeli, ganz in der Nähe des heutigen Ladens. 1946 zog er mit der Familie an die Dorfstrasse in ein Haus mit dem Namen Florhof. Nach einem Umbau richtete er dort 1950 für seine Frau Meta richtete einen kleinen Trödlerladen ein, wo man vom Faden bis zum Feuerwerk alles kaufen konnte. Vater Paul Morof reparierte in der Werkstatt nebenan Velos und Mofas, manchmal tat er dies sogar gratis. Mit der Zeit begann er auch mit dem Verkauf von Velos und Töffli. Das Velo war für die Industriearbeiter von Kollbrunn damals das wichtigste Verkehrsmittel, manchmal kaufte sich der eine oder andere auch ein Moped oder einen richtigen Töff. Daneben gehört sein Herz der Politik: Seit 1934/35 war er Mitglied im Kantonsrat, seit 1938 im Gemeinderat von Zell und ab 1946 auch Gemeindepräsident.
Das Steinhäldeli Haus in Kollbrunn, hier richtete Paul Morof seine erste Reparaturwerkstatt ein. Seine Frau verkaufte Nähsachen. Foto Familienarchiv Morof Kollbrunn.
Als Walter Morof das Geschäft 1972 übernehmen konnte, hatte die Hochkonjunktur in der Schweiz seine Spuren hinterlassen, schon 1973 kam aber der Ölschock und plötzlich war das Benzin nicht mehr so günstig. Eine Chance für das Velo, das in diesen Jahren von einer ganzen Generation neu entdeckt wurde. Velo verkaufen war damals ein Massengeschäft, erinnert sich Walter Morof. Zwar wirkte der Laden von aussen winzig – aber in guten Zeiten waren in den Lagerräumen hinter dem Haus bis zu 130 Velos an Lager. Das hatte sich damals auch herumgesprochen.
Paul Morof war ein angesehener Mann im Dorf: Er diente lange Jahre als Gemeindepräsident und war ein aktiver Sozialdemokrat. Bei seiner Beerdigung war die ganze Kirche rot, weiss sein Sohn Walter Morof. Foto Familienarchiv Morof.
Ende der 1970er Jahre bereitete sich eine neue Entwicklung vor, die den Radsport bis heute prägen sollten: In Kalifornien entwickelten Tüftler spezielle Fahrräder, um damit im Gelände herumzufahren. Das war die Geburtsstunde des Mountainbikes. Das ideale Fahrzeug für die Schweiz mit ihren Bergen und Hügeln. Der 1963 geborene Christian Morof begeisterte sich schnell für diesen Sport. Ab 1989 stieg er ins Geschäft ein und konnte dort gewissermassen sein Hobby zum Beruf machen. 2003 übernahm er das Geschäft von seinem Vater, der sich aus gesundheitlichen Gründen zurückziehen musst.
Auffallend an dieser Geschichte ist: Keiner der drei hat das Geschäft vergrössert, keiner hat einen grossen Showroom gebaut und mehr Leute angestellt. «Ich wollte immer allein arbeiten», sagen Vater und Sohn unisono. Geblieben ist auch der Standort.
Christian Morof, der heute das Geschäft führt, mit seinem Vater Walter. Foto Dominik Landwehr
Verändert hat sich aber das Geschäft: «Heute verkaufen wir fast nur noch E-Bikes», sagt Christian Morof. Um sich vom Warenhaus-Geschäft abzuheben, hatte man sich zunächst auf den Premium Bereich fokussiert. «Heute produzieren aber die meisten Hersteller auch Fahrräder im unteren Preissegment» du wir führen auch solche Räder. Trotzdem interessant: Fand sich in den 1990er Jahren nur ganz wenige Käufer für ein Fahrrad in der Preisklasse von 5000 Franken, so ist das im Bereich der E-Bikes fast schon normal. Der Verkauf von E-Bikes ist für Christian Morof kein Massengeschäft mehr, zu kostspielig sind die Velos. Anspruchsvoller und damit teurer sind auch die Reparaturen geworden: «Früher war der Ersatz eines Bremskabels eine kleine Sache, heute ist das anspruchsvoll und manchmal muss man dafür auch ein Radlager auseinandernehmen». Eine spezielle Situation ergab sich für die Velohändler in der Pandemie-Zeit: Alle wollten ein E-Bike kaufen und der Markt war ausgetrocknet, Wartezeiten von mehreren Monaten waren die Regel, Ersatzteile eine Rarität. «Heute ist wieder alles so wie vorher, der grosse Boom ist vorbei, aber E-Bike ist heute Standard».
Wie sieht die Zukunft aus: «Vorläufig bin ich noch fit und mache weiter, solange ich kann», sagt Christian Morof.
Der katholische Radfahrerverein: Velotouren mit Sonntagsmesse
Zu Beginn des 20.Jahrhunderts gingen Katholiken und Protestanten auch im Kanton Zürich getrennte Wege. «Diaspora» nannte man protestantische Gegenden, wo die Katholiken eine Minderheit waren, dazu gehörte auch der Kanton Zürich. Die Katholiken organisierten sich auch in der Freizeit in eigenen Vereinen. Das war auch im Tösstal nicht anders: 1919 gründete der Pfarrer Federer den katholischen Radfahrervereins Kollbrunn und Umgebung, mit dabei war auch Paul Morof, Katholik und Sozialdemokrat. Der Verein wurde allerdings bereits 1926 – wohl mangels Interesse – wieder aufgelöst. In den Statuten hiess es: «Der Verein bezweckt Pflege des Radfahrens unter Hochachtung der Religionspflichten. Bei allen Tourenfahrten ist die Erfüllung der Sonntagspflicht (wenigstens frühe Heilige Messe) streng vorgeschrieben.»
In den Aufzeichnungen des Vereins finden sich einige interessante Erinnerungen, die Touren waren sportlich: So ging es zum Beispiel das Tösstal hoch und dann via Rapperswil nach Weesen; gestartet wurde manchmal kurz nach Mitternacht, um die anspruchsvolle Strecke zu schaffen, etwa wenn man nach Wildhaus im Toggenburg unterwegs war. Gefahren wurde meistens auf Naturstrassen und Pannen gehörten zum Alltag, und zwar meist in Serie. Fünf Minuten soll das Flicken einen Schlauchs damals in Anspruch genommen haben, da hat die Erinnerung wohl ein wenig übertrieben. Einmal wird von einer Begegnung mit einem Streik berichtet: «Nach Bauma begegneten die Fahrer einem Stück Ortspolitik. In Bäretswil machten wir einen Halt im Gasthof Bahnhof. Ebendaselbst war eine Bürgerwehr versammelt, denn wie wir weiter oben gegen Ringwil sahen, strömten von Pfäffikon, Hinwil und Wald ganze Scharen sozialistischer Demonstranten mit roter Fahne heran, um die in Bäretswil streikenden Arbeiter der Firma Schaerer & Co im Streik zu unterstützen und zu ermutigen. Auch über die Nachtfahrt vom 28.August 1921 findet sich ein interessanter Bericht: «Am Samstag nachts um 12 Uhr unternahmen 8 Mitglieder und ein Mitfahrer eine Velotour über Fischingen, Bütschwil, Wattwil und Nesslau nach Wildhaus. In Rikon musste man den August Attiger noch wecken. Er hatte sich verschlafen und musste mit einem Zurückgebliebenen nachfahren. In Turbenthal musste der eine oder andere seine Laterne mit Wasser nachfüllen, damit das Licht nicht ausgehe. Gegen 7 Uhr in der Frühe war die Gruppe in Wildhaus angelangt. Um 9 Uhr besuchte sie das Hochamt. Auf dem Rückweg hatte die Gruppe noch Zeit, in Wald die Chilbi zu besuchen. Schliesslich kamen die Fahrer um 8 Uhr abends in Kollbrunn mit grossem Hunger und Durst an». Warum wurden die Lampen mit Wasser gefüllt? Die Velos hatten damals Karbidlampen, man füllte Calciumkarbid in einen Behälter, sobald Wasser dazu kam, entwickelte sich ein brennbares Gas. Das Prinzip wurde ab 1900 genutzt und war bei Velos und Motorfahrzeugen aber auch bei der Eisenbahn verbreitet.
Dieser Artikel erschien am 19.April 2024 im Tössthaler.