Unesco-Weltkulturerbe Tösstal

Weltkulturerbe Tösstal ! – Eine Schnapsidee? – Nein, der Vorschlag ist ganz ernst gemeint. Allerdings ist er nicht auf meinem Mist gewachsen. Aufgebracht hat diese Idee Peter Baumgartner, der stellvertretende Leiter der Denkmalpflege des Kantons Zürich. „Das Zürcher Oberland hat das Potential zum Unesco Weltkulturerbe“, sagte der Denkmalpfleger in einem Zeitungsinterview. Von mir stammt nur die Zuspitzung – aber das Zürcher Oberland ist ja im weitesten Sinn auch Teil des Tösstal…


Peter Baumgartner hat das ernst gemeint und ich finde, diese Idee ist unterstützenwert. Das zeigt allein ein kurzer Blick auf die denkmalgeschützten Industriebauten in unserer Gegend. Der Industrie-Archäologe Hanspeter Bärtschi hat sie am letzten Kulturapéro der Kulturkommission Zell im Mai noch einmal deutlich vorgestellt: Da sind zum Beispiel die Kraftwerk-Anlagen entlang der Töss und die kunstvoll angelegten Wasserwege, besonders deutlich in Kollbrunn. Die alten Spinnereien, oder das ganze Ensemble von Anlagen im Neuthal, dort sind ja seit kurzem auch die Webmaschinen der Sulzer-Rüti ausgestellt. Erschlossen sind diese Anlagen mit der Bäretswil-Bauma Dampfbahn. Dass den Gemeinden an den Industriebauten liegt zeigt zum Beispiel das Engagement für die Erhaltung der alten eisernen Brücke in der Au bei Kollbrunn. Sie konnte erhalten und renoviert werden, dank dem gemeinsamen Einsatz von Kanton und Gemeinde.
Auf der Unesco Liste des Weltkulturerbes stehen heute über 800 Anlagen „Es sind Zeugnisse vergangener Kulturen, künstlerische Meisterwerke und einzigartige Naturlandschaften, deren Untergang ein unersetzlicher Verlust für die gesamte Menschheit wäre“ heisst es dazu auf der Website der Unesco (www.unesco.ch) . In der Schweiz gehört die Altstadt von Bern, die Klöster von St. Gallen und Müstair, das Aletschgebiet, aber auch die Innenstadt von La-Chaux-de-Fonds und Le Locle sowie die Kunstbauten der Albulabahn dazu.
Industriebauten als Weltkulturerbe? – Ja- unbedingt. Wer letzte Zweifel ausräumen will, dem sei eine Reise ins Ruhrgebiet empfohlen. Eine der eindrücklichsten Bauten, die es dort zu besichtigen gibt, ist die Zeche Zollverein in Essen. Es ist ein Steinkohlebergwerk, das 1847 bis 1987 in Betrieb war. Mit Hilfe unterirdischer Verbindungsanlage wurde hier die Kohle von zahlreichen Zechen der Umgebung gesammelt, gewaschen und in über 300 Koksöfen zu Koks verarbeitet, ein Ausgangsprodukt für die Stahlproduktion.
Bis Mitte der achtziger Jahre hat die ganze Region des Ruhrgebiets ihr Auskommen in der Kohle- und Stahlindustrie gefunden. Dann war innerhalb von wenigen Jahren Schluss. Vom Trauma des abrupten Endes hat sich die Region bis heute nicht erholt. Dass das Ruhrgebiet dieses Jahr Kulturhauptstadt ist, ist bestimmt auch ein Versuch, über dieses Trauma hinweg zu kommen.
Das Ende der Schweizer Textil- und Maschinenindustrie kam nicht von einem Tag auf den anderen. Es zog sich über 30 Jahre hin. Das ist vielleicht auch ein Grund, dass es von der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen wurde. Im Ruhrgebiet spielten sich in den 80er Jahren dramatische Szenen ab. Allein der Apell von Arbeitern, Gewerkschaften und Politikern nutzte nichts. Die riesigen Anlagen wurden still gelegt. Ein Teil davon gar demontiert und nach China verschifft.
Im einem Bergwerk des Ruhrgebiets zu arbeiten war kein Schleck. Und auch die Fabrikarbeit im Tösstal war hart. Armut, Hungersnöte und Kinderarbeit gehörten vor allem im 19.Jahrhundert dazu. Wäre es nicht besser, das alles zu vergessen? – Nein meine ich. Auch der kantonale Denkmalpfleger ist dieser Meinung „Schutzobjekte müssen nicht zwingend schön sein“. Die Erhaltung von Industriedenkmälern fördert das breite Verständnis für Geschichte. Und ohne Kenntnis der Geschichte, gibt’s auch kein Verständnis für die Gegenwart.
Erschienen in der Zeitung „Tössthaler“ als Kolumne „Standpunkt“ am Samstag 7.August 2010
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