Sündenböcke

Zwei ruhige Tage in den Bergen liegen hinter mir. Der Blick ins Kaminfeuer hat den Blick in die Mattscheibe ersetzt und auch das Radio blieb meist still. Zeit zum Nachdenken zum Beispiel für diese Kolumne.


Die Meldungen der letzten Tage und Wochen wirken nach. Die Swisscom will Hunderte entlassen, der Maschinenbauer Alstom ebenso. Der Eurokurs lastet schwer auf den Betrieben und macht Exporte und einheimische Dienstleistungen teuer. Den Tourismus trifft das stark, ganz zu schweigen vom miserablen Winter. Täusche ich mich, oder waren da in den Bergen auch weniger Touristen aus Deutschland? – Der Detailhandel klagt über sinkende Umsätze und Margen. Der unbewältigte Flüchtlingsstrom durch Europa, die Wartenden an der Grenze zur Türkei und überhaupt der Krieg in Syrien, der nicht aufhören will. Dazu immer wieder Meldungen über Verhaftungen von Terrorverdächtigen.
Trotzdem ist unser Medienalltag seit Wochen von einem magischen Wort bestimmt: Durchsetzungsinitiative. Und es gibt kaum jemand, der sich nicht zu diesem Thema zu Wort gemeldet hat. Ich tu das jetzt auch. Keine Angst. Ich werde mich kurz fassen. Mich erschreckt diese Initiative. Noch mehr erschrecken mich die gebieterischen Töne der Initianten. Egal, wer gegen sie antritt, sie haben immer Recht. Und nicht genug damit: Sie schrecken auch nicht davor zurück, besonnenere Stimmen zu verunglimpfen, seien es nun Politiker, Bundesbeamte oder Richter. Noch etwas ist auffallend: Es sind fast ausschliesslich Männer, die sich bei dieser Partei zu Wort melden und sich auch nicht davor scheuen, einer Bundesrätin in einer Fernsehdiskussion wie zwei jugendliche Rüpel übers Maul zu fahren.
Ausländerkriminalität. Ein Nerv unserer Gesellschaft, der weh tut. Denn es gibt sie tatsächlich, diese Kriminalität und sie macht auch mir Sorgen und man muss sich hüten, sie zu verharmlosen. Die Frage ist nur, was wir tun können und sollen. Das Parlament hat bereits eine Reihe von einschneidenden Massnahmen beschlossen. Sie können nicht in Kraft treten, solange die Initiative hängig ist. Der SVP gehen die Massnahmen des Parlaments zu wenig weit und sie will nun mit brachialer Gewalt ihren Willen durchsetzen.
Die Initiative ist falsch, sie schadet mehr als sie nützt. Sie will den erprobten Weg der Gesetzgebung via Parlament und Bundesrat aushebeln und die Massnahmen direkt in die Verfassung schreiben. Dieser Weg ist falsch, weil man so kein gutes Gesetz machen kann. Und sie will einen genauen Katalog diktieren. Das ist ebenso falsch und er wird dazu führen, dass auch Bagatellfälle zur Ausschaffung führen. Das kann bedeuten, dass ein Familienvater wegen geringfügiger Delikte ausgeschafft wird und seine Familie nachher Sozialhilfe beziehen muss. Und drittens verbietet sie es dem Richter, Härtefälle selber zu beurteilen.
Die Initiative bringt nichts. Konkret: Wir werden nicht weniger Ausländer in unseren Gefängnissen haben. Wie falsch die Initianten liegen zeigt allein schon eine Zahl: Zwar stammt die Mehrheit der Insassen unserer Gefängnisse aus dem Ausland. Bei der ständigen Wohnbevölkerung sieht es ganz anders aus: Die Kriminalitätsrate dieser Gruppe ist nicht höher als jene der Schweizer.
Die Initiative ist schädlich, sie verstösst gegen die Verfassung und gegen die Menschenrechte und ich hoffe, dass sie am 28.Februar abgelehnt wird. Aber gleichzeitig frage ich mich: Warum hat sich die SVP derart auf dieses Thema eingeschossen und wendet Millionen auf für eine Werbung, die ich als verhetzende und rassistische Propaganda empfinde.
Meine Vermutung: Wer Ängste bewirtschaftet hat ein leichtes Spiel. Denn Sicherheit gehört zu den wichtigsten Anliegen der Menschen und zu den wichtigsten Aufgaben des Staates. Die Furcht, dass unser Staat nicht mehr für Sicherheit sorgen kann ist ein mächtiger Hebel. Im Schutz solcher Ängste lassen sich auch unsinnige Anliegen durchbringen.
Wir stehen übrigens mit diesem Angst-Mechanismus nicht allein. In vielen Ländern lassen sich ähnliche Diskussionen beobachten, besonders auch in Deutschland. Der kürzlich verstorbene Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte hierzu schon früher treffend folgendes vermerkt:«Es gibt so eine unterschwellige Neigung bei Millionen Bürgern, auch Arbeitnehmern, den Ausländern für alles die Schuld zu geben – wie einst den Juden. Lasst uns das um Gottes Willen nicht mitmachen.»
Ich kann diese Ängste verstehen. Dieses Gefühl der Bedrohung von aussen. Es mag auch damit zu tun haben, dass die Grenzen von gestern nicht mehr existieren oder durchlässig geworden sind. Das gilt für die Wirtschaft und unsere Abhängigkeit vom Euro-Wechselkurs. Es gibt so viele Entwicklungen, die wir nicht mehr selber steuern und beeinflussen können. Es sind Entwicklungen, die sich nicht um nationalstaatliche Grenzen kümmern. Das gilt auch für den rasanten technologischen Fortschritt, der weite Teile unserer Wirtschaft bestimmt, das gilt für Krankheiten und Epidemien und es gilt leider auch für den Terror. Und ich frage mich: Ist die Ausländerkriminalität nicht einfach ein Sündenbock für alles, was uns Angst macht? Die Initianten der besagten Initiative gebärden sich so, als würde ein Ja alle Probleme lösen und die Welt wäre wieder in Ordnung.
Das Gefühl der Ohnmacht ist real und wir werden damit leben müssen. Die Beschwörung der Schweiz als souveräner Nationalstaat hilft aber herzlich wenig. Abgrenzungen sind jetzt nicht gefragt, auch wenn sie bei gewissen Gruppen gut ankommen. Wir brauchen Politiker, die dialogfähig sind und nicht nur schreien, sondern auch flüstern können. Und es braucht Vertrauen in unseren Staat, dessen Organe, in die Polizei und auch in die Richter. Es ist übrigens gerade auch die Verunglimpfung der staatlichen Organe und der Richter, die mich befremden. Oder noch deutlicher. Wir brauchen keine Hassprediger, sie lösen keine Probleme.
Und es ist ja nicht so, dass es keine Gesetze gäbe. Sie wären bereit, würden sie nicht von der Initiative blockiert. Deshalb stimme ich Nein. Ob der Spuk damit ein Ende hat, wage ich allerdings zu bezweifeln.

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