Eine bemerkenswerte Darstellung aus dem Passionsweg von Christus in der orthodoxen Kathedrale des siebenbürgischen Tirgu Mures. Der sakrale Bau gehört wohl nicht zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Siebenbürgen. Die Codes der Bilder zu lesen erfordert jedoch eine grosse Vertrautheit mit der Geschichte der Region und der zufällige Gast übersieht das Bild im Eingangsbereich des Sakralbaus schnell.
Die Häscher von Jesus tragen Kostüme, die sie als Ungaren ausweisen, Jesus demgegenüber ist im Kleid des rumänischen Bauern dargestellt. Damit erhält das Bild in der Eingangshalle der Kirche eine klare nationalistische Dimension – ausgerechnet in einer Gegend, in der die Spannungen zwischen ungarischen und rumänischen Volksgruppen nach dem Umsturz eine gefähliche Dimension annahmen. Bei einem unserer wenigen Besuche in jener Zeit wurden wir auch Zeuge einer nationalistischen Kundgebung, angeführt durch einen orthodoxen Popen.
Der Nationalismus hat hier tiefe Wurzeln und auf Transylvanien ist nicht nur durch die Donaumonarchie auch mit der Geschichte Ungarns tief verbunden. Aber die Ursachen reichen tiefer: Anders als weite Teile des Balkans war Tranylvanien nie unter ottomanischer Herrschaft und die Region nahm teil an der europäischen Aufklärung.
Die religiöse Freiheit, die damals proklamiert wurde, war allerdings relativ, wie Robert D.Kaplan bemerkt: Die grosse Masse der rumänischen, orthodoxen Bauern, kamen nicht in den Genuss der Auswirkungen der neuen Ideen: Sie waren ganz unten im sozialen System, dessen Spitze von Ungaren und den seit dem Mittelalalter hier ansässigen Siebenbürger Sachsen eingenommen wurde.
Es darf darum nicht erstaunen, dass Rumänien nicht so beeindruckt ist von der „Fortschrittlichkeit“ Transylvaniens, bemerkt Kaplan. Er mag da Recht haben.
Dass die orthodoxe Kirche keine architektonische Perle ist hat ebenfalls seine Gründe: Transylvanien ging erst nach dem Ersten Weltkrieg und den Verträgen von Trianon an Rumänien. Zu den deutschen und ungarischen Namen der Städte gesellten sich nun die rumänischen und Tirgu Mures – einst Neumarkt und Marosvasarhely – trägt seinen Namen noch keine 100 Jahre. Die neuen Herren setzten nun alles daran, Kirchen zu bauen, welche die ungarischen und deutschen übertrafen.
Und heute: Zu sagen, der Nationalismus – einst auf beiden Seiten gehegt und gepflegt – sei kein Thema mehr, wäre wohl etwas verfrüht optimistisch. Immerhin: Bei unserem flüchtigen Besuch ist er kein Thema mehr, mindestens kein Top-Thema. Und dass die Kinder unserer Bekannten von damals gerade beide einen Partner in der anderen Volksgruppe gefunden haben, freut uns besonders. Gerade diese gemischten Heiraten haben eine Tradition.
Robert D.Kaplan: Balkan Ghosts. A Journey trough History.New York 1993. St.Martins Press. S.150/151
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