Kaum eine Geschichte beherrscht die Schlagzeilen in diesem Sommer so stark wie die Enthüllungen des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden. Was ist aber davon wirklich zu halten?
Um es gleich vorweg zu nehmen: Grosse Freude ist mir bei den Enthüllungen des ehemaligen Agenten nicht aufgekommen und die Vorstellung, dass jedes Email, das ich unverschlüsselt übertrage von den Geheimdiensten mitgelesen werden kann, bereitet auch mir mehr als nur Unbehagen. Was hat Edward Snowden den Medien eigentlich genau verraten? – Der ehemaligen NSA Mitarbeiter hat zunächst bestätigt, was allgemein bekannt war: Unter dem Decknamen PRISM sammelt und analysiert der US Geheimdienst NSA systematisch alle elektronisch übermittelten Informationen. PRISM steht übrigens für „Planning Tool for Resource Integration, Synchronization, and Management“.
Neu daran ist vor allem die Tatsache, dass er dazu nicht nur das Internet, sondern auch Server und Speicher der grossen Internetfirmen in den USA anzapft. Das sind neben den Telekom-Anbietern die Branchenriesen Google, Apple und Facebook. Dank seinem unvorstellbar grossen Speichervolumen kann der Geheimdienst all diese Infos nicht nur auswerten, sondern auch über lange Zeit archivieren. Im Visier der NSA sind nicht nur andere Staaten, sondern auch die eigenen Bürger. Besonders daran hatte die US Öffentlichkeit wenig Freude.
Ähnliches tut offenbar, so enthüllte Snowden weiter, auch der britische Geheimdienst unter dem Decknamen Tempora. Er konzentriert sich dabei auf die Glasfaserkabel, die unter dem Atlantik durchlaufen. Hier muss der ganze Internetverkehr zwischen Europa und den USA durch und deshalb sind diese Kabel besonders reiche Fischgründe für Geheimdienste. Der deutsche Bundesnachrichtendienst BND, so war weiter zu lesen, kooperiert freundlich mit den Briten und den Amerikanern.
Soweit die Fakten. Die National Security Agency NSA umgibt zwar einen geheimnisvollen Schleier und besonders viel ist über ihn auch nicht bekannt. Die Wikipedia weiss immerhin soviel: „Die NSA ist der größte und finanziell am besten ausgestattete Militärnachrichtendienst der Vereinigten Staaten und für die weltweite Überwachung, Entschlüsselung und Auswertung elektronischer Kommunikation zuständig.“ – Darunter fällen natürlich auch alle durch das Internet übertragenen Informationen. Das mag zwar sehr viel Stoff sein, die National Security Agency verfügt mutmasslich über die stärksten Computer der Welt und ist offenbar in der Lage, diese riesigen Datenmenge auszuwerten. Big Data heisst das Stichwort zu diesem Thema und es geht hier um die gleiche Technologien, welche die Migros auch für ihr Cumulus Programm benutzt.
Crypto City heissen Gebäude und Gelände dieser Institution, die etwa 30 Kilometer von der US Hauptstadt Washington D.C. entfernt ist. Ich hatte 2009 Gelegenheit, hierher zu kommen, als ich von der NSA zu einer Konferenz über historische Kryptografie eingeladen. Die Konferenz selber fand allerdings nicht in den Gebäuden des NSA statt, sondern im Konferenz Zentrum des Johns Hopkins Lab for Applied Physics. Was so harmlos tönt, ist in Wirklichkeit eine Universität, die vollumfänglich für das Pentagon arbeitet und Waffensysteme entwickelt. Das Hauptquartier der NSA liegt in der Nähe dieser Uni und so war es angezeigt, mindestens dem öffentlich zugänglichen NSA Museum die Ehre mit einem Besuch zu erweisen.
Eindrücklich war es schon, diesen schwarzen Würfel des NSA Hauptquartiers zu sehen, der sich in den dunkel getönten Brillen der Sicherheitsagenten am Tor zum Parkplatz gespiegelt hat. Freundlich und bestimmt haben sie mir in meinem unauffälligen Mietwagen erklärt, wie ich zum Museum des NSA kommen kann. Es lag nur wenige hundert Meter entfernt aber der Kontrast hätte kaum grösser sein können: Dort das schwarze Hightech Gebäude, hier eine schäbige kleine Baracke mit einer Ausstellung über die Geschichte dieses berühmten Dienstes. Interessant war die Ausstellung trotzdem: Sie zeigte Chiffriergeräte aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, darunter auch die berühmte deutsche Enigma, dann war ein uralter Cray-Supercomputer zu sehen, er galt in den 80er Jahren als grösster und schnellster Computer der Welt. Schliesslich war eine Gedenktafel für NSA Agenten zu sehen, die im Dienst umgekommen sind. Dazu zählte etwa die Besatzung des Abhörschiffes USS Liberty, 32 Männer kamen ums Leben, als das Schiff 1967 während des Sechstagekrieges von der israelischen Armee beschossen wurde.
Informationen, die im Internet übertragen werden, sind im Prinzip frei zugänglich. „Gentlemen don’t read each other’s mail“, hatte der US Staatsman Henry L. Stimson anfangs des 20.Jahrhunderts einmal gesagt. Das gilt schon lange nicht mehr und um die Mails Leute zu lesen, muss man nicht mal ein Hacker sein. Vom berechtigen Sicherheitsbedürfnis von Privatpersonen und Firmen, darunter auch der Migros, profitiert ein ganzer Industriezweig. Die Rede ist von den Firmen, die Verschlüsselungssoftware herstellen. Nur: Wie sicher ist denn das? – Der ETH Mathematiker Ueli Maurer – er trägt wirklich den gleichen Namen wie der Bundesrat – gibt Entwarnung: „Bekannte Algorithmen kann man in der Regel als sicher betrachten. Schwächen liegen in den Systemen, nicht den Algorithmen.“ Oder einfacher: Die mathematischen Formeln sind sicher. Die beste Formel nützt aber nichts, wenn man vergisst die Verschlüsselung einzuschalten oder die Passwörter herumliegen lässt.
Den berüchtigen NSA zeichnet noch etwas Anderes aus: Anders als die meisten Geheimdienste der Welt gibt er immer wieder Bruchstücke seines Wissens bekannt. Deklassifizierung heisst dieser Prozess. So kommen auch heute noch interessante Geschichten aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges ans Tageslicht. Und auch Professor Ueli Maurer erlebte schon Überraschungen: So fand er in den freigegeben Unterlagen einen internen Bericht zu einer wissenschaftlichen Konferenz zum Thema Kryptografie, die er 1992 besucht hatte. „Ich habe mit Befriedigung gesehen, dass mir drei (durchaus poisitive) Abschnitte gewidmet sind“.
Das Foto zeigt eine Rekonstruktion der Sprachverschlüsselungsmaschine SYGSALY, die zwischen 1943 und 1946 in Betrieb war. Es entstand im Museum des NSA im Oktober 2009. Coypright: Dominik Landwehr
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