Im Februar 2022 starb der Pionier der Schweizer Industriegeschichte Hans-Peter Bärtschi. Sein Nachlass ist riesig und wird Schritt um Schritt erschlossen und zugänglich gemacht. Schon sind 170 000 seiner Fotos via ETH-Bildarchiv online.
Als am 2.Februar 2022 Hans-Peter Bärtschi in seinem Wohnort in der Haldengut-Überbauung am Rychenberg starb, war das für alle ein Schock. Aber er kam nicht ganz unerwartet: Bärtschi hatte zwölf Jahre zuvor einen schweren Velounfall, er litt unter den Spätfolgen einer schweren Kopfverletzung, eine seltene Form der Demenz, genannt Frontotemporaler Demenz, machte ihm zunehmend zu schaffen. Bereits Jahre zuvor hatten er und seine Frau Sylvia Bärtschi Baumann begonnen, seinen Nachlass zu ordnen.
Sylvia Bärtschi Baumann, die fast 50 Jahre an der Seite von Hans-Peter Bärtschi war, empfängt uns in der gemeinsamen Wohnung im ehemaligen Haldengut-Silo an der Rychenbergstrasse. Hier sind Zeugen der gemeinsamen Vergangenheit und ein Teil des umfassenden Archivs. Auf Knopfdruck fährt eine Modelleisenbahn-Komposition eine spiralförmige Rampe hoch – und wieder herunter. Hans-Peter Bärtschi hatte ganz offensichtlich auch eine weniger bekannte spielerische Seite! «Ich muss diese Bahn jeden Tag einmal laufen lassen, damit sie nicht zu viel Staub fängt», sagt Sylvia Bärtschi Baumann. In einer Vitrine finden wir Modelle von Lokomotiven und Eisenbahnwagen für jeden Kontinent – mit den entsprechenden Unterlagen auf dem Tablar darüber.
Nur ein Bruchteil des umfangreichen Nachlasses befindet sich hier – das Paar hat bereits vor Jahren eine zusätzliche, kleine Wohnung in Oberwinterthur gekauft, um Dokumente aus dem umfangreichen Schaffen von Hans-Peter Bärtschi unterzubringen. Bärtschi hat zeitlebens fotografiert, gesammelt, geschrieben und publiziert und alles aufbewahrt und zwar akribisch und methodisch, eine Eigenschaft, die er mit seiner Frau teilt. Sylvia Bärtschi Baumann zeigt uns zwei Ordner mit Nachrufen, die sie nach seinem Tod vor einem Jahr gesammelt hat.
In seinem Nachlass stechen zuerst die Publikationen heraus: Hans-Peter Bärtschi hat zeitlebens über 1000 Aufsätze, Artikel und Bücher geschrieben. Wer sich mit Industriegeschichte in der Schweiz befasst, stösst immer wieder auf seinen Namen. Seine Bücher waren immer Titel, die sich an ein breites Publikum richteten. Dazu gehörten deshalb auch Wanderführer wie etwa «Industriekultur im Kanton Zürich. Unterwegs zu 222 Zeugen des produktiven Schaffens». Ähnliche Führer gibt es für Bern, Basel, die Innerschweiz und die Ostschweiz.
Schon als Gymnasiast hatte er begonnen zu fotografieren und war zeitlebens mit der Kamera unterwegs. Er begann mit Dampf- und E-Loks, Trambahnen, Trolleybussen und Industriebauten aus der Umgebung. Das älteste Foto in seinem Archiv datiert vom 13.Januar 1963 und zeigt den Zusammenstoss der Gaswerklok mit dem Trolleybus 105 an der Kreuzung Zürcherstrasse-Untere Briggerstrasse, vom Fenster seines Zimmers aus fotografiert. Für das SBB-Inventar, sein erster Grossauftrag, fotografierte er alle SBB Bahnhöfe. So ist eine fast unübersehbare Anzahl von Bildern entstanden. 2014 hat er sie «seiner Hochschule», der ETH Zürich geschenkt, hier hatte er 1976 sein Diplom als Architekt erworben. «Es war ein Glücksfall für uns», sagte Nicole Graf, Leiterin des Bildarchivs. Möglich wurde dies dank einer Förderung durch den Lotteriefonds des Kantons Zürich und den Kulturpreis von CHF 100 000 der Landis & Gyr Stiftung. Insgesamt arbeiteten vier studentische Hilfskräfte an der ETH Bibliothek während vier Jahren an der Digitalisierung dieser Datenbestände. Seit Oktober 2022 sind nun bereits 170 000 Fotos online abrufbar: Davon sind rund 60 000 digitalisierte, hauptsächlich schwarzweiss Negativfotos und 110 000 Farbdias. Weitere 65 000 Fotos, die Bärtschi digital aufnahm, folgen in den nächsten Jahren.
Bärtschi hat zeitlebens auch Dokumente gesammelt: Jahresberichte, Firmenprospekte, Zeitungsartikel. In seinem Archiv kamen insgesamt gegen zehn Tonnen Material zusammen. Noch vor seinem Tod hat er zusammen mit seiner Frau die Menge um die Hälfte reduziert, weil er altershalber 2017 seine Firma Arias-Industriekultur auflöste und daher das Büro im alten Lokdepot der SBB aufgab.
Dieses Archiv ist nun teils in der eigenen Wohnung im ehemaligen Haldengut-Silo, teils in einer kleinen Eigentumswohnung in Oberwinterthur untergebracht. Das Archiv kann auf Anfrage schon heute benutzt werden und soll auch in Zukunft Forschenden offenstehen.
Online-Ressourcen: Hans-Peter Bärtschi hat sich die neuen Medien zu Nutze gemacht und vor einigen Jahren begonnen ein Online-Inventar der Schweizer Industriedenkmäler zu machen. Auf der Website des Projekts heisst es: «Das Inventar umfasst bis heute rund 5’500 Seiten. Sie dokumentieren die Industriekulturobjekte der Kantone Bern, Zürich, Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau, Baselstadt und Baselland, Luzern, Obwalden und Nidwalden, Schwyz, Uri, Zug und des Fürstentums Liechtenstein. 2030 wird das Online-Inventar abgeschlossen sein und aus rund 11’000 Seiten bestehen.»
Nach dem Tod seiner Partnerin Sylvia Bärtschi-Baumann soll das ganze Archiv in der Silowohnung untergebracht werden. Es gehört bereits heute der 2005 vom Ehepaar Bärtschi gegründeten Stiftung Industriekultur, welche den Auftrag hat, das Archiv zu betreuen und auch öffentlich zugänglich zu machen. Die finanziellen Mittel dafür stammen hauptsächlich aus einer Erbschaft.
KASTEN
Ein umfangreicher Nachlass
- Bücher: Hans-Peter Bärtschi hat fast 30 Bücher publiziert, zuletzt 2019 «Schweizer Bahnen: Mythos, Geschichte, Politik». Auch seine Wanderführer zur Industriekultur sind noch im Buchhandel erhältlich. Seine Aufsätze finden sich zum Beispiel in der ETH-Bibliothek.
- Fotos: Seit Oktober 2022 sind über 170 000 Fotos zur Industriegeschichte der Schweiz im Bildarchiv der ETH Zürich online und können in voller Auflösung heruntergeladen werden.
https://www.e-pics.ethz.ch
Inventar der Industriekultur: Das Portal «Industriekultur» dokumentiert die wichtigsten Zeugen der industriellen Vergangenheit der Schweiz online
https://industriekultur.ch - Dokumentationen: Im Archiv von Hans-Peter Bärtschi finden sich Hunderte von Gutachten, die der Forscher zeitlebens verfasst hat, dazu Bücher, Jahresberichte, Broschüren. Das Material ist geordnet, aber noch nicht katalogisiert und kann auf Anfrage konsultiert werden.
- Es gibt schliesslich einen immateriellen Nachlass: Hans-Peter Bärtschi hat sich bei zahlreichen Vereinen, Stiftungen und Institutionen engagiert und war Pate bei der Gründung von über 40 lokalen Vereinigungen zu industriegeschichtlichen Themen. Er war Geburtshelfer bei der Entdeckung des Industrie-Ensembles «Neuthal» zwischen Bauma und Bäretswil, er hat auch die Vorbereitungsarbeiten für das Unesco-Weltkulturerbe Albulabahn mit seiner Expertise begleitet.