Metzgete

Nein, das ist jetzt kein Kommentar zu den eidgenössischen Wahlen. Ich schreibe diesen Standpunkt am Dienstag 15. Oktober. Mein Wahlcouvert habe ich gestern eingeworfen und die Wahlen sind erst am Sonntag. Ich verzichte auf Spekulation und bleibe auf dem Boden der Tatsachen. Heute geht es um das Thema Fleisch. Wie kommt das? – Nun ich hatte diesen Sommer Gelegenheit zu ausführlichen Gesprächen mit Viehzüchtern im Safiental. Einst ein abgelegenes Bündner Bergtal, heute noch 35 Autominuten von Chur entfernt. Viele Bauern betreiben hier Mutterkuh-Haltung. Die Kälber bleiben bei ihren Müttern und diese essen saftiges Gras und brauchen kein Kraftfutter. So weit so gut. Einer der Bauern meinte aber, der Trend zum vegetarischen und veganen Essen mache ihm Sorgen. Er würde auch öfters angefeindet.

Tatsächlich, Fleisch essen ist gerade etwas in Verruf gekommen und wer gerne mal ein Steak, eine Wurst oder einen Hamburger isst, muss mit Widerspruch rechnen. Unsere Zeit, so scheint es mir, ist ziemlich fixiert in Sachen Essen und noch mehr in Sachen Fleisch. Fleisch war und ist aber ein wertvolles und kostbares Nahrungsmittel. Viehzucht ist eng mit der Kulturgeschichte der Menschheit verbunden. Der Verzehr von Fleisch ist nicht zuletzt deswegen mit allerlei Ideen verbunden. In alten und traditionellen Vorstellungen, die sich bis heute überliefert haben, nimmt der Konsument mit dem Essen des Fleisches auch einen Teil der Kraft des Tieres auf. Dem sagt man magisches Denken. Das gilt auch für den Fleischverzicht, auch hier sind neben persönlichen Entscheidungen magische Ideen im Spiel. Ein Mensch der kein Fleisch isst, ist nicht ein besserer Mensch sondern ein Vegetarier.

Hilfreich ist ein Blick in die Fakten. Da stehen wir in der Schweiz nicht so schlecht da: Der Fleischkonsum hierzulande liegt bei etwa 52 Kilogramm pro Kopf und Jahr. In Deutschland  bei rund 60 Kilo und in den USA bei über 100 Kilo pro Person und Jahr. Jeder USA Reisende kommt mit Geschichten von unmöglich grossen Steaks zurück, die in Amerika gegessen werden. Das scheint sich in der Statistik zu bestätigen. In Europa sinkt der Fleischkonsum währendem er weltweit ansteigt. Das ist nun tatsächlich Anlass zu Sorge, denn die Produktion von Fleisch braucht nun halt einfach mal viele Ressourcen.

Und trotzdem:  In der Schweiz wird heute mehr Fleisch gegessen als früher, anfangs oder Mitte des 20.Jahrhunderts. Mein Vater ist 1926 geboren und 2016 gestorben. Er wuchs im Zürcher Oberland auf, seine Eltern waren Textilarbeiter. Fleisch kam selten auf dem Tisch. Dafür fehlte das Geld. Aber gehungert hat niemand, pflegte er mir zu sagen: „Wir hatten nie das Gefühl, arm zu sein. In dieser Zeit hatte niemand viel Geld“. An Weihnachten gab es dort immer ein Schinkli und natürlich hat er diese Tradition für seine Familie übernommen. Mit wohligem Schauer habe ich als Kind meinen Vater beobachtet, wenn er am Sonntagabend Wädli, Schnörrli, oder Schwänzli gegessen hat. Schwänzli – das ist der gekochte Schwanz eines Schweines. Den kann man auch heute noch kaufen, nur wird’s nicht in der Fleischtheke neben dem Zigeunersteak präsentiert.

Und jetzt also Metzgete. Ein schöner Brauch, der zum Glück auch bei uns im Tösstal wacker gepflegt wird. Früher haben die Bauern ihr Schwein – es waren wohl selten mehrere – im Herbst geschlachtet. Dann war es kühl genug auch ohne Kühlhaus. Blut- und Leberwürste hat man gleich am Schlachttag gemacht, anderes wohl später und einen Teil des Fleisches kam ins Kamin. Und weil in der Zeit des Schlachtens alles frisch war, hat man daraus zur Belohnung ein Festessen gemacht. Man hat eigentlich alles vom Schwein gegessen, jedenfalls fast. Das war eine nachhaltige Nutzung des wertvollen Fleisches und es ist schön, dass man das auch heute noch pflegt. Abgesehen davon schmeckt es einfach sau-gut, vor allem mit Sauerkraut, Rösti und Apfelstückli. Für uns moderne Menschen hat dieser Brauch auch eine zusätzliche Bedeutung: Ja, auch aus Blut lässt sich ein schmackhaftes Gericht herstellen. Kleine Nebenbemerkung: Würste aus Blut gibt’s übrigens an vielen Orte auf der Welt und nicht nur in Europa, sondern auch in Asien. In Thailand zum Beispiel kommt in die Nudelsuppe eine Art Blutkuchen – eigentlich nichts anderes als Blutwurst.

Was sagen wir jetzt den Viehzüchtern im Safiental. Ich denke mal, sie sollen sich nicht zu viele Sorgen machen. Sie züchten die Tiere nicht nur, sie verarbeiten das Fleisch auch in einer gemeinsam geführten Metzgerei und verkaufen es direkt ab Hof an die Gäste, die bei ihnen Ferien machen. Finde ich perfekt. Meine Schlussfolgerung: So schmeckt das Fleisch und das Gewissen ist beruhigt. Nur: Die Welt retten können wir damit nicht. Aber das ist ein anders Kapitel.