Das ist Pooja Nayak. Sie ist 14jährig und weicht nicht von unserer Seite. Sie lacht oft. Ihre Geschichte lässt uns das Blut in den Adern gefrieren. Wir treffen sie in einem Mädchenheim des Sambhali Trust in Jodhpur. Ihre Schwierigkeiten beim Gehen kommen nicht von ungefähr. Wäre sie nach der Geburt nicht misshandelt und an den Beinen aufgehängt worden, so wären ihre Beine normal.
Pooja kam vor einigen Jahren ins Heim. Damals hatte sie keinen richtigen Namen – sie war einfach Nummer 4. Nummer 4, weil sie das vierte Mädchen in ihrer Familie war. Mädchen sind unerwünscht und erhalten in armen Familien nicht selten demütigende Namen. So seien Namen „Shame – Schande“ oder „Enough – Genug“ durchaus geläufig in solchen Situationen, erfahren wir.
Andere Mädchen kommen buchstäblich von der Strasse. Wer genau hinschaut entdeckt entlang der grossen Achsen immer wieder improvisierte Behausungen. Oft ist kaum mehr als ein Sonnenschutz, eine Feuerstelle, etwas Geschirr zum Kochen. Es gibt im Heim in Jodhpur Mädchen von der Strasse.
Und schliesslich gibt es Mädchen aus einer dritten Gruppe: Eine davon ist Kali. Sie ist erst sieben Jahre alt. Ihre Mutter brachte sie kürzlich vorbei. Die Familie – auch sie arm – wollte sie mit einem älteren Mann verheiraten. Die Mutter wollte das nicht und es scheint, als wäre die Lösung von der Familie akzeptiert worden. In Indien müssen die Eltern der Mädchen ein Brautgeld bezahlen, wenn sie ihre Töchter verheiraten wollen. Ist das Mädchen aber noch sehr jung und der Bräutigam schon im fortgeschrittenen Altern, dann ist dieses Brautgeld tiefer.
Jedes der Mädchen hier, hat eine derartige Geschichte. Und Millionen solcher Mädchen haben nicht das Glück, so zu leben wie die Mädchen hier. Wie kommt es, dass die indische Gesellschaft derart inhuman ist? – Wir wissen keine Antwort. Ist es richtig, sich über solche Zustände zu empören – oder haben wir zuwenig Verständnis für die fremde Kultur. Nein, meinen wir. Wir empören und zu Recht. Und es gibt viele aufgeklärte Inder, die sich mit uns empören. Und es gibt NGO wie der Sambhali Trust, der sich für diese Mädchen engagiert und damit auch die indische Gesellschaft kritisiert.
Wie weit die Kritik bei den indischen NGO geht, wissen wir nicht. Frage an Govind, den Direktor des Sambhali Trust: Wie hälst Du es bei Deinen Kindern, Deinen Töchtern, wirst Du auch einen Ehemann für sie suchen? Die Antwort überrascht: Ja, denn unsere Familie hat eine Tradition über 320 Generationen und wir wollen diese Tradition erhalten. Eine Einschränkung: Sie dürfen sich zum zukünftigen Ehemann äussern und in ablehnen.
Hier gehts zur Homepage der indischen NGO Sambhali Trust
www.sambhali-trust.org
Die Schicksale dieser Mädchen lassen uns nicht kalt – und so geht es auch unseren Freunden Silvia Domenig und Rolf Kunz. Die beiden Schweizer sind vor zwei Jahren nach Indien gezogen und leben nun in Jodphur: „Leider gibt es zu viele NGO’s, welche die indischen Unsitten, Widerwärtigkeiten nicht ansprechen und sich “nur” aufs Helfen konzentrieren. Die Kinder haben Hilfe verdient – nicht nur monetär oder moralisch, sondern indem man sich in der Öffentlichkeit zu den Missständen äussert. “ sagt Rolf Kunz im Gespräch und ergänzt: „Ich kann das indische Patriarchat in meinem jetzigen Leben nicht ändern – auch wenn es dringend notwendig wäre! So versuche ich vorerst im Kleinen, den Frauen und Mädchen zu einem etwas würdigeren Sein zu verhelfen“
Auch Govind stimmt dem bei. Helfen allein genügt nicht, es braucht eine Änderung in der Mentalität der Menschen.
Die beiden Schweizer in Jodphur haben ebenfalls eine Organisation gegründet. Sie unterstützen den Sambhali Trust mit Geld aber auch mit Know-How. Verschiedentlich ist es ihnen gelungen Schweizer Stiftungen zu überzeugen, dem Sambhali Trust Geld zu geben. Vertrauen ist oft die wichtigste Währung und deshalb ist die Vermittlungsarbeit der beiden sehr wertvoll.
Auf ihrer Internetseite schreiben sie: „Wir unterstützen ausschliesslich kleinere, lokale Projekte, die durch uns persönlich überwacht werden können. Die Anzahl der unterstützen Projekte ist beschränkt, so dass wir optimale Begleitung bieten und somit eine erfolgreiche Durchführung garantieren können.Die Auswahl und die Umsetzung der Projekte erfolgt in enger Zusammenarbeit mit ausgewählten, vertrauenswürdigen indischen Partnern.“
Wir hatten bei unserem Besuch in Jodphur auch Gelegenheit, die Mädchen zu einem Konzert mit Sufi-Musik zu begleiten – bei dieser Gelegenheit entstand das obenstehende Bild – und eine ganze Serie von weiteren Bildern, die auf der Homepage des Anshula-Trust zu finden sind