Eine alltägliche Begebenheit war Anlass für meine Kolumne, die am 3.Dezember 2016 im Tössthaler erschien.
Es passiert immer wieder: Eine Unachtsamkeit beim Geschirr einräumen, ein Glas, ein Teller, eine Schale fällt zu Boden und zerspringt in tausend Teile. Scherben und kleine Glassplitter verteilen sich über den harten Steinboden und dringen in die entferntesten Ritzen, wo man sie oft erst nach Tagen wieder findet. Ein Ärger, wenn auch nur ein kleiner. Warum passiert mir das? – Bin ich besonders ungeschickt, unkonzentriert, unaufmerksam. Solche Gedanken gehen mir jeweils durch den Kopf, wenn ich die Scherben zusammenwische.
Ja – warum passiert so etwas? Und es passiert nicht nur mir, es passiert allen, überall und jederzeit. Manchmal beginne ich darüber nachzudenken. Ja, warum passiert uns so etwas? – Natürlich, die Schwerkraft, sie sorgt dafür, dass das Glas nur in eine Richtung fallen kann. Dann spielt auch das Material eine Rolle: Glas, Porzellan, Keramik. Warum müssen so wichtige Alltagsgegenstände ausgerechnet aus derart zerbrechlichem Material bestehen?
Ich habe mich über diese Frage auch mit meinem Freund Röbi unterhalten. Er war von Beruf Arzt und begeisterter Naturwissenschaftler und ganz besonders auch den hintergründigen Fragen interessiert. Dazu zählte die Astronomie, die Geburt des Universums aus dem Urknall – aber eben auch scheinbar ganz einfache Frage. Röbi hat uns anfangs Jahr verlassen. Und auch deshalb will ich erzählen, was er mir geantwortet hat.
Warum also fällt mir ein Glas zu Boden? Ganz einfach, meinte Röbi. Es folgt dem Gesetz der Entropie. Dieses Gesetz besagt, dass alle Ordnungen zur Unordnung und zur Auflösung tendieren. Schmilzt ein Eiswürfel in meinem Campari Aperitif so wird die geordnete Struktur der Eiskristalle in die ungeordnete Struktur der frei beweglichen Wassermoleküle übergeführt.
Diese Antwort hat mich überrascht und erleichtert. Die Scherben sind also nicht einfach meiner Schusseligkeit und meiner Zerstreutheit zu verdanken. Wir erleben ganz einfach ein Naturgesetz. Was nun, wenn alle Systeme zur Unordnung neigen? Das scheint mir zuzutreffen. In unserer Küche ist das ganz bestimmt so. Man muss jeden Tag aufräumen und gegen die Unordnung kämpfen und manchmal scheint das eine Sisyphos Arbeit zu sein: Man muss immer wieder neu anfangen und wird doch nie damit fertig.
Es mag gefährlich sein, solche Theorien weiterzudenken und doch ist es verführerisch. Das würde bedeuten, dass jede menschliche Ordnung ständig und überall durch Unordnung bedroht wird. Unternehmen wir nichts, so löst sie sich auf. Nur durch ständigen Einsatz und Arbeit kann unsere Ordnung aufrecht erhalten werden. Das tönt für mich plausibel. Unsere Arbeit – und damit ist alle Arbeit gemeint, also auch die Arbeit in der Familie, in Haus, Garten und Küche, in der Gemeinde und im Staat ist ein ewiger nicht endend wollender Kampf gegen die Unordnung. Sie ist Voraussetzung für ein friedliches und fruchtbares Zusammenleben.