Von allen vaterländischen Feiertagen und Festen ist mir das Knabenschiessen am liebsten.
Der höchste Feiertag in meiner Jugend war mein Geburtstag. Und mein Geburtstag fällt mit einem volkstümlich Brauch in der Stadt Zürich zusammen: Dem sogenannten Knabenschiessen. Dabei durften die Buben bestimmter Jahrgänge – später auch die Mädchen – zum ersten Mal im sportlichen Wettschiessen gegeneinander antreten. Zum Wettkampf gehört ein grosser Jahrmarkt – eine rieisige Chilbi, wie man bei uns sagt.
Ende der 60er Jahre – ich war damals zehn Jahre alt – kam zu all diesen herbstlichen Freuden ein weiteres Element dazu: Ich durfte im Knabenchor der Schützengesellschaft mitsingen. Unser Hauptauftritt war am Bankett mit dem Schützenkönig, das jeweils am Montagnachmittag im Schützenhaus Albisgüetli abgehalten wurde. Keine Aufführung ohne Proben und so pilgerten wir jeweils im August und September für einige wenige Chorproben ins schönste Schulhaus der Stadt an den Hirschengraben und übten dort in der Aula des Schulhauses einige Lieder.
Vaterländisches stand auf dem Programm und der Dirigent war ein gewisser Otto Schreiber. Er wurde auch Soldatenliedervaters genannt, was immer das genau gewesen sein mag. Ein älterer Herr mit dem uns aber ganz wohl war und der es auf eine natürliche Art und Weise zustande brachte, mit uns Knaben zu singen.£
Und was da gesungen wurde – potzblitz. Das liess sich sehen, wie ein Blick auf das Programm zeigte: Ein Schweizer Bub – Eidgenossen – Lied der Jungen Schweizer – Feurig Blut – Starke Jugend freies Volk.
Besonders angetan hatte es mir damals und heute das Schweizer Schützenlied. Sein Text mag in vielerlei Hinsicht Fragen der Zeit erhellen und er sei darum hier wieder gegeben. Sein Verfasser, ein gewisser Ernst Zahn, möge mir verzeihen und für Leute, die nicht dialektkundig sind füge ich am Schluss des Textes eine Übersetzung bei.
Ernst Zahn ist übrigens der Verfasser des Volksliedes „Chum Bueb und lueg dies Ländli aa“ und in der Schweizer Literaturgeschichte alles andere als ein Unbekannter. Nein, er war ein Volksdichter. Bei Charles Linsmayer finde ich eine Biografie. „Ernst Zahn, geboren 1867 in Zürich, gestorben 1952 in Meggen, bis 1916 Bahnhofrestaurateur in Göschenen, Verfasser von 28 Romanen und 30 Erzählbüchern mit einer Totalauflage von annähernd vier Millionen.“
„Juhe ich in ein Schwyzer Schütz, s bruucht keine mich me z leere. De Weerchtig isch zum Schaffe nütz, s Gweer bringt de Fyrtig z Eere. Seis uf de Jagd, im Dienscht, im Dienst im Stand, ich will de ‚Schütz‘ verdiene. Und äigen ischs: im Schwyerland töönt s Schüüse halt wie niene.
Chuum isch e Chugle us em Rohr und häts rächtschaffe krachet, so ischt ringsum ein ganze Choor, s Echo dem Schuss verwachet! Ein Hügel wirfts am nächste zue, ei Felswand hüüts der andere. Vo Berg zu Berg, vo Flue zu Flue fangt aa das Chrache z wandere.
Zletscht töönts na hööch am ewige Ys, dem blaui Wulche s Tach sind, und das ghöört Goolt im Paradys dass yini Schwyzer wach sind Vot deet ghöörts Gott und luegts ufs Land und wäiss: Wenns wett cho schtürme stiend fs Volk, de Stutze i de hand, uf syne Felsetürme.
Ich bin en Schwyzer Schütz und bins em Land, em Herrgott z Eere. Und wännts rächt chrachet, wüsset siis. De würde sich für is weere.“So also haben wir damals gesungen, aus vollen Kehlen. Und auch wenn wir als Buben nicht immer den Sinn der schönen Worte verstanden haben, so ist uns doch dann und wann ein vaterländischer Schauer über den Rücken gefahren.
Otto Schreiber hatte seine Methoden, uns bei der Stange zu halten. Wir wussten, dass seine Ledermappe mit Kaugummi gefüllt war. In den letzten Proben und auch an den Aufführungen kamen dann noch andere Geschenke dazu: Freifahrten für die begehrten Chilbi-Bahnen: Die Pütschauto (Auto-Scooter), die Berg-und-Tal-Bahn, oder die Achterbahn…
Entgegen anderslautenden Gerüchten hab ich keinen bleibenden Schaden von diesem Gesang davon getragen. Dafür haben sich viele Lieder in meinem Gedächtnis eingeprägt, so dass ich sie auch heute noch singen könnte. Und vielleicht wäre das gar keine schlechte Idee – wenn unsere europäischen Nachbarn – wie neulich der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker – zu übermütig werden…. Dann sollten wir vielleicht in einem „petit comité“ nach Brüssel ziehen und dort ein kleines Ständchen singen…
Dominik Landwehr, 9. Januar 2011-01-09
Übersetzung
Juhe ich bin ein Schweizer Schütze. Es braucht keiner mir etwas zu sagen: Der Werktag ist zum Arbeiten da, das Gewehr ehrt den Sonntag. Sei es auf der Jagd, im (Militär) Dienst oder im (Schützen)Stand – ich will den ‚Schützen‘ verdienen. Ganz eigen ist es: Im Schweizerland tönt das Schiessen halt wie nirgendwo sonst.
Kaum ist die Kugel aus dem Rohr und hat es rechtschaffen gekracht, so hört man rundherum einen ganzen Chor, das Echo, das dem Schuss nun erwachet. Ein Hügel wirfts dem nächsten zu, ein Felswand bietet es der anderen. Von Berg zu Berg, von Fels zu Fels beginnt das Krachen nun zu wandern .
Zuletzt tönt es auch im ewigen Eis, unter dem Dach der blauen Wolken. Und da hört es Gott im Paradies und weiss, dass seine Schweizer wach sind. Von dort hört es Gott und weiss genau: Sollte ein Sturm kommen, so steht das Volk, den Stutzen (das Gewehr) in der Hand, auf seinen Felsentürmen
Ich bin ein Schweizer Schütze und bin es dem Land und dem Herrgott zu Ehren. Und wenn es so richtig kracht, dann sollt Ihr wissen: Ich würde mich für uns wehren.