Zurück nach Lemberg – oder wenn man will Lviv, gesprochen Liviv. Tanja kauft mit uns ein ganzes Abteil. Das Ganze ist mir etwas peinlich, aber vielleicht war es doch keine schlechte Idee.
Kein Verkehr am frühen Morgen in Czernowitz, schon gar nicht am Sonntag. Am Bahnhof wartet genau ein Zug und etwa 20 Passagiere. Personal hats genug und die Schaffnerin lässt sich bereitwillig vor dem blauen Zug fotografieren. Hier wird Kohle verbrannt, man riecht es deutlich. Aber nicht zum Fahren, nur zum Heizen der Wagen – Erinnerungen an eine nächtliche Bahnfahrt von Bukarest nach Tirgu Mures werden wach.
Wir beziehen unser Abteil. Bevor der Zug sich in Bewegung plärrt Marschmusik über die Banhofs-Lautsprecher. War das so zu Sowjetzeiten? – Oder während der Donau-Monarchie? – Langsam setzt der Zug sich in Bewegung. 07.30 Uhr Sonntagmorgen. Wir werden um 13.30 in Lemberg eintreffen. Es sind vielleicht 350 km dorthin.
„Unter Menschlichkeit verstehe ich die Gabe, sich unvermittelt zu öffnen und selbst im Fremden, den Nächsten zu erkennen. Eine Entfernung von 400 oder 500 Kilometern, die unsere Intercities in nicht einmal vier Stunden überwinden, wird von den hiesigen Zügen auf bis zu dreizehn Stunden gedeht. Dafür aber breiten die Menschen in ihren unbequemen und wie absichtlich engen Abteilen Essen und Trinken aus, lernen sich kennen, teilen jedes Stück Brot, erzählen sich sehr wichtige, manchmal absolut persönliche Dinge. Das Leben ist sowieso zu kurz – warum hetzen? Jene Augenblicke tiefer emotionaler Bewegung, in denen sich unverhofft die blosse, schnapsselig herzliche Wahrheit offenbart, sind viel wichtiger als offiziele, geschäftige Eile und verschlossene, falsche Höflichkeit, hinter denen sich nur Leer und Gleichgültigkeit verbergen. Es gefällt mir, dass sie manchmal wie eine reisige und unendlich verzweigte Familie wirken. Sollte man übrigens versuchen, ihr Essen und ihren Schnaps abzulehnen, werden sie meist furchtbar aufdringlich. Der Grund dafür ist wohl nicht, dass Essen und Schnaps hier ehreblich billiger sind als bei uns. Vielmehr sind diese Leute wirklich viel grossherziger und freigieber als wir..“
Jur iAndruchowitsch. Zwölf Ringe. Frankfurt 2007. Suhrkamp. S.20.
Schade, wir können zuwenig Russisch und schon gar kein Ukrainisch, also bleiben wir allein, ohne Wodka, dafür mit ukrainischem Käse. Kleine, geräucherte Käsespaghetti zu einem Zopf verwoben. Sehr lustig so was zu essen.
Freue mich auf Bilder der Landschaft. Aber die Landschaft erscheint nur durch ein schmutziges Fenster. Und die Fotos kriegen dadurch einen merkwürdigen, melancholischen Reiz.
Die Zeit vergeht mit Dösen, Lesen und Plaudern. Pünktlich um 13.30 treffen wir in der Millionenstadt Lemberg ein. Die Fahrt hätte noch lange dauern können.