Hurra ein neues AKW – Gedanken zum Thema Energie

Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Welt wird nicht untergehen, wenn die Schweiz ein neues Atomkraftewerk baut. Und die Welt retten wird ein Verzicht auch nicht. Trotzdem: Die Vorstellung, dass nur neue AKW’s unser Energie-Problem lösen können, scheint mir etwas mutlos. Mutlos für ein derart reiches Land wie die Schweiz…


Rund 440 AKW’s gibt es heute auf dem ganzen Globus. Nicht wenige davon in Europa, vor allem in Frankreich, das 80 Prozent seines Stroms mit Atomkraft herstellt. Und seitdem das Öl knapp geworden ist, wird offenbar weltweit auf Teufel komm raus geplant: Schon bald könnten es über 1000 sein.
Die Frage ist aber erlaubt: Muss das auch bei uns sein? – Geht es wirklich nicht ohne? – Hat es sich denn nicht herumgesprochen, dass Atomstrom den einen oder anderen Nachteil hat. Bizarr ist etwa die Frage, wie wir unseren Nachkommen mitteilen, dass das Endlager vielleicht auch in zehntausend Jahren noch strahlt. Immerhin ist das eine intellektuelle Herausforderung. Vielleicht ist die Sorge unnötig und bis in zehntausend Jahren gibt’s nur noch Käfer. Insekten sind bekanntlich gegen Radioaktivität resistent.
In der Öffentlichkeit wirft die Frage noch keine allzu hohen Wellen. Da gibt’s mal die Gefälligkeits-Reportagen über Gösgen, Leibstadt und Mühelberg wo uns liebenswürdige Bauern und Hausfrauen erzählen, wie toll und ruhig das benachbarte Atomkraftwerk sei. Ich glaub das gerne. Manchmal erzählt dann auch noch der Gemeindepräsident, wie viel Geld die Gemeinde vom Betreiber jedes Jahr erhält und wie toll die Arbeitsplätze da sein. Sorry, aber da muss ich einfach immer an die Trickfilmfigur Homer Simpson denken, der ewige Verlierer arbeitet doch im Kontrollraum eines Atomkraftwerks. Und irgendwie hat für mich Atomkraft ein Verlierer- Image: Gross, riskant und schwer zu kontrollieren. Technologie von vorgestern.
In der Diskussion taucht oft der Begriff Versorgungslücke auf. Tönt bedrohlich und erinnert irgendwie an eine Zahnlücke. Saublöd, wenn wir in Zukunft nicht genug Energie haben. Da steht dann alles auf dem Spiel: Allen voran unsere wirtschaftliche Zukunft und unsere Arbeitsplätze. Dann schon lieber ein Atomkraftwerk. Dabei ist doch dieses Argument ziemlich durchsichtig. Es tönt für mich fast wie eine Erpressung.
Die Art und Weise der Argumentation kommt mir irgendwie bekannt vor: Wie war das beim Flughafen? – Wenn wir kein neues Terminal bauen, dann verliert der Flughafen seine Bedeutung und wir bald unsere Arbeit und unseren Wohlstand… Und was geschah dann: Als das neue Terminal fertig gebaut war, musste eines der beiden alten still gelegt werden. Ist ja richtig toll. Noch vor einigen Wochen wälzte der Flughafen fette Ausbaupläne. Daraus wird wohl mangels Nachfrage vorläufig nichts. Die hohen Erdölpreise haben auch ihr Gutes. Ganz ähnlich tönte es in den 90er Jahren in den Schulen: Wenn nicht sofort alle Klassenzimmer mit Computern ausgerüstet würden, verlieren wir den Anschluss. Den Anschluss verlieren – der Schweizer Albtraum par excellence und ergo das absolute Killer-Argument. Warum fragte damals niemand wie es mit dem Lesen bestellt ist?
Zurück zur Atomdiskussion. Es gibt tausend andere Möglichkeiten, wie wir das Energie-Problem lösen können, falls es denn eines ist… alte und neue Ideen gibt’s zuhauf. Und sicher wäre hier Innovation gefragt, um eines der Lieblingsworte von Wirtschaftsführern und Politikern zu benutzen. Ich habe nicht die geringsten Zweifel, dass wir die Sache mit der Energie packen können. Auch ohne Atomstrom. Und ein bisschen Knappheit kann nicht schaden: Es hilft beim Denken…
Der Text erschien am 22.August 2008 im Tösstaler unter der Rubrik „Standpunkt“

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