Halef der Bombenbastler

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Svenja fragte mich kürzlich an, ob ich für Ihr Kinder-Schreibprojekt „Schreibstrom“ eine Geschichte beisteuern möchte. Ja klar, mach ich. Natürlich hats etwas gedauert und schlimmer noch – die Geschichte ist länger geworden und nun definitiv mehr als eine Viertel Seite lang. Aber vielleicht gefällt sie den Kindern trotzdem. Hier ist sie. Titel: Halef der Bombenbastler


Die Geschichte, die ich erzählen möchte, handelt von meinem ersten Auftragstext und die Pointe besteht darin, dass ich diesen Text gar nie geschrieben habe. Aber je mehr ich über diesen Text nachdenke, desto mehr schieben sich andere Geschichten dazwischen und nun stehe ich da und muss zuerst die einzelnen Stränge dieser Geschichten, die wie eine verknotete Schnur da liegen, entwirren.
Ich bin heute 48jährig und habe zwei Kinder im Teenager Alter. Immer wieder ertappe ich mich beim Gedanken, wie froh bin, nicht alle Geschichten aus meiner Jugend erzählen zu müssen. Weil sie entweder peinlich sind oder auf keinen Fall zur Nachahmung inspirieren sollen. Aber natürlich sind genau solche Geschichte das Salz des Lebens und deshalb will ich jetzt zwei davon aufschreiben.
Im Alter zwischen 10 und 12 Jahren war ich bei den Pfadfindern und damit jeden Samstagnachmittag in den Wäldern rund um Zürich unterwegs. Dazu war es nötig, alle Tramlinien und deren Endstationen zu kennen: Der 13er zum Beispiel fuhr auch schon damals ins Albisgüetli und der 3er zum Klusplatz. Nur die Nummer des Busses, der nach Witikon weiterfuhr hab ich vergessen. Als Pfadfinder waren wir meistens in einer kleinen Gruppe von vielleicht fünf Buben unterwegs. Ich war der jüngste. Mein Pfadfindername war „Schock“ und meine Mutter darob dermassen schockiert, dass sie umgehend für eine Umbenennung besorgt war. Ich glaube der neue Name war dann Wiesel aber keiner hielt sich daran. Schock war einfach zu toll.
Ich bewunderte meine Kameraden, die ja alle älter waren und sich ich im Gegensatz zu den älteren Schülern im Schulhaus Waidhalde mit mir beschäftigen wollten. An ihre bürgerlichen Namen kann ich mich heute nicht mehr erinnern, sie spielten auch damals keine Rolle, denn als Pfadfinder waren wir in einer Parallelwelt und hier spielten nur die Pfadfinder-Namen eine Rolle. Unser Leiter hiess Wiff und absolvierte eine Druckerlehre. Mein grosses Vorbild aber war Halef. Ein gross gewachsener Junge mit dunklen Haaren und ebensolchem dunklen Flaum auf der Oberlippe. Halef besucht das Gymnasium und hatte ein besonderes Hobby: Er war Bombenbastler und erfreute uns immer wieder mit seinen jeweils neusten Kreationen. Seine Rohstoffe waren billig und überall erhältlich. Da gabs zum Beispiel die Karbidbombe: Dazu füllte er einige Karbidkörner in eine Bierflasche, die damals mit dem patenten Bügelverschluss ausgerüstet waren fügte Wasser hinzu und verschloss die Flasche und entfernte sich dann schleunigs. Mit einem dumpfen Knall explodierte diese Konstruktion Auenblicke später und wir kamen nicht mehr aus dem Staunen heraus. Weit dramatischer waren Halfefs Experimente mit Pulvern das Grundrezept war einfach: Ein Gemisch aus Unkrautvertilger und Zucker in eine alte Ovo-Dose, daran eine Zündschnur fertig war eine Höllenmaschine, die für einen Feuerball mit meterhoher Stichflamme sorgte. Liebevoll erklärte er uns, dass man durch die Beigabe von einfachen Chemikalien wie etwa Magnesium und Kalium farbige Feuerbälle erzeugen konnte. Natürlich waren Halefs spektakuläre Basteleien Höhepunkt jeder Pfadfinder-Übung und die Erinnerung daran machte mich jeweils für Jahre glücklich. Trotzdem: Ich war wohl eher ein ängstlicher und vorsichtiger Junge. Nie hätte ich mich gewagt etwas Ähnliches zu machen und allein schon die Vorstellung in einen Laden zu gehen und dort unter einem Vorwand Unkrautvertilger zu kaufen, machte mir Bauchschmerzen. Meine Experimente beschränkten sich auf das Fahrenlassen von Raketen-Autos. Sie bestanden aus alten Matchbox-Modellen, denen ich mit etwas Draht ein kleines Raketentriebwerk aus dem Modellbauladen aufgebunden hatte. Die Sache war harmlos: Erstens frassen die Triebsätze mein Taschengeld weg und zweitens waren sie viel zu schwach, meine Matchbox-Autos machten damit nur gerade einen kleinen Hüpfer. Beeindruckend waren allerdings der Gestank und die Rauchentwicklung.
Ganz anderer Natur war meine Beziehung zu Kalif. Er spielte Akkordeon und konnte alle gängigen Schlager jener Zeit nachspielen. Ich schwärmte damals für den Kinderstar Heintje. Das ist mir heute peinlich aber es war einfach so. Und für jede Schmutzpfanne, die ich im Lager putzte ? eine Riesenarbeit denn die Pfannen waren aus verbeultem Aluminium mit unendlich viele Ritzen und gekocht wurde auf dem offenen Feuer spielte er mir einen Heintje Schlager vor. Originalton: „Du sollst nicht weinen, wenn ich einmal von Dir gehen muss“
Irgendwie hatte ich es auch geschafft, mir das eine oder andere seiner Lieder als Single-Schallplatte zu beschaffen. Stolz führte ich diese Erwerbung nicht nur meinen Eltern, sondern auch meinen Verwandten vor. Dass Tante Emilie aber darob in Tränen ausbrach, konnte ich mir nicht erklären. Erwachsene, vor allem Frauen, dachte ich, neigen zu Sentimentalität und sind oft auch sonst einfach etwas doof. Damit war die Sache für mich erledigt.
Die richtige Erklärung erfuhr ich erst einige Jahre später. Die Tante hatte zehn Jahre früher, ihren Sohn bei einem Unfall verloren. Christoph, so hiess er, stürzte im Pfingstlager von einem Baum und diese Geschichte lastete wie ein schwerer Schatten auf dieser Familie.
Das ist die eine Geschichte. Aber die andere ist noch nicht erzählt: Von jedem Pfadfinder-Lager konnte man einen Bericht in der Pfadfinder-Zeitung, die damals mit Schnapsmatrizen vervielfältigt wurde, lesen. Fotokopierer gabs in den 60er Jahren nicht, geschweige denn Computer oder Internet. Unser Führer verstand es, immer lustige Lagerberichte zu verfassen wollte die Arbeit aber nicht mehr selber machen. Also meldete ich mich freiwillig. Und besuchte das Lager auch. Aber danach wollten mir einfach keine lustigen Geschichten einfallen. Und so blieb die Geschichte ungeschrieben. Der Bericht traf nie ein. Und ich schäme mich noch heute, wenn ich daran denke.
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Und hier gehts zu Svenja Herrmanns „Schreibstrom“

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