In meinem Standpunkt vom 22.September 2023 habe ich mich mit dem Flughafen beschäftigt und dabei eine gewisse Ambivalenz geortet.
Mit grossem Aufwand hat der Flughafen Zürich Anfang September sein 75-jähriges Jubiläum gefeiert. 140 000 Leute strömten an drei Tagen zum Flughafen. Auch ich habe mich unter die Besucher gemischt und gestaunt, auch wenn ich nur einen der Hauptattraktionen besucht habe: Den Festplatz Tango mit der Ausstellung verschiedener ziviler und militärischer Flugzeuge, sogar eine F-35 war da, ein Super-Puma und ein Alouette III Helikopter, historische Flugzeuge, ein kleiner Doppeldecker, eine Ju-52, die ja nicht mehr fliegen darf zusammen mit anderen Flugzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg. Daneben haben sich die verschiedenen Dienste des Flughafens präsentiert: Die Feuerwehr, Polizei, Skyguide und auch die Leute vom Zoll. Hier habe ich gelernt, dass man seit 2020 keine Mangos mehr aus Asien einführen darf, hingegen Datteln, Ananas, Bananen und – man staunt auch die Stinkfrucht Durian. Ich werde es mir merken!
Viele Dinge sind mir bei meinem Rundgang durch den Kopf gegangen. Der Flughafen und die Fliegerei üben offenbar eine wahnsinnige Anziehungskraft aus. Zwar hatte das Züri-Fäscht und die Street Parade mehr Zuschauer, aber ein Publikum von 140 000 Personen das ist doch eine wirklich hohe Zahl, die trotz umfassender Vorbereitung und wohl über Tausend Helfern nicht ganz ohne Probleme bewältigt wurde.
Ich teile diese Faszination auch. Und an diesem Fest ist mir bewusst geworden, dass ich nur zehn Jahre jünger bin als der Flughafen. In meiner Kindheit in den 1960er Jahren steckte die Fliegerei in Zürich gewissermassen in den Kinderschuhen. Ich habe Erinnerungen aus den 1960er Jahren an die Ankunft meiner Tante aus den USA. Wir holten sie am Flughafen Kloten – so hiess er damals – ab und standen auf der Zuschauerterrasse gleich neben dem Tower und konnten sehen, wie sie aus dem Flugzeug stieg und zu Fuss über das Vorfeld ging. Geflogen bin ich damals nicht: Mein erster Flug war eine Pauschalreise im Jahr 1969 mit den Eltern: mit Hotelplan gings ins damalige Jugoslawien, wo wir in der Nähe von Dubrovnik, also in Kroatien, Badeferien machten. Es war die Zeit, als solche Ferien plötzlich auch für Familien mit wenig Geld erschwinglich wurden. Zur Vorbereitung kriegten wir alle eine rot-blau karierte Hotelplan Reisetasche. Diese Taschen sind heute ebenso Kult wie die Swissair-Taschen. 1970 landete der erste Jumbo-Jet in Kloten, das Ereignis war sogar der damaligen Tageschau einen Beitrag wert. Nur wenig später bin ich mit meinem Schulkamerad auf die Zuschauerterrasse des Flughafens gepilgert, um dieses Flugzeug mit eigenen Augen zu sehen. In den Jahren danach wurde der Flughafen immer wieder ausgebaut – zunächst kam das Termin B, dann das Termin A und schliesslich in neuster Zeit das Termin Midfield. Kritik gab es kaum.
Trotz dem aufkommenden Massentourismus flogen wir in den 1970er Jahren kaum mit dem Flugzeug in die Ferien. Unsere Ziele waren bescheidener: Als 16jähriger bin ich per Autostopp nach Südfrankreich, später gings nach Norditalien, in die Cinque Terre nach Ligurien und gelegentlich nach Deutschland – immer mit dem Zug.
Mein zweiter Flug viele Jahre später ungefähr 1984 führt mich nach Wien, das damals eine etwas heruntergekommene Stadt war und alles andere als ein Touristenmagnet, gerade deshalb hatte sie einen besonderen Charme. Ich glaube ich kaufte mir damals für wenig ein Ticket für das Ballett Schwanensee und besuchte die Oper am gleichen Abend. Als ich Ende 1980er Jahre vier Jahre für das Internationale Komitee für das Rote Kreuz in Pakistan, Thailand und Rumänien arbeitete änderte sich das schlagartig und plötzlich wurde ich zum Vielflieger. Waren die Flüge in den 1990er Jahre noch teuer so änderte sich das anfangs 2000er Jahre und plötzlich konnte man für 50 Franken nach Paris, Berlin oder London. Die Zürcher flogen plötzlich massenhaft für eine Party nach Berlin oder Budapest oder anderswohin.
Es gab schon damals Stimmen, die das für Wahnsinn hielten. Die Covid-Epidemie setzte dem Spuk ein Ende. Fliegen ist heute nicht mehr ganz so sexy, der Begriff der Flug-Scham kam auf. Allerdings: So schnell wird es nicht gehen mit dem Umstieg auf die Bahn, das zeigen auch neuste Zahlen. Wir sind es mittlerweile gewohnt im Winter ans Rote Meer zu fliegen, im Sommer in die USA und im Herbst nach Phuket. Sogar die junge Generation, die ja besonders kritisch sein soll, bekundet damit Mühe: Nicht ohne Hohn machte ein Bild eines verurteilten Klima-Klebers die Runde, er wartete am Flughafen Zürich auf seinen Flug nach Mexiko. Nein, auf seine Übersee-Ferien würde er trotz Klimasorgen nicht verzichten wollen.
«Old habits die hard» – «Alte Gewohnheiten haben Mühe zu sterben», heisst es. Daran ändert auch der Fluglärm nichts, den wir in Winterthur-Iberg allabendlich zu erdulden haben. Trotzdem: auch meine Faszination ist immer noch da: Nicht selten sitze ich abends auf der Terrasse und verfolge mit dem Handy und der App Flighradar24 die startenden und landenden Flüge, besonders natürlich die Langstreckenflieger: Der Boeing 777 oder der Airbus A340, etwas seltener den Riesenvogel A380 nach Dubai, Tokio, Hongkong oder Bangkok.
Reisen nach Rom, Paris oder Berlin machen wir zwar heute mit dem Zug: Mit dem TGV Lyria oder der Frecchia Rossa, etwas weniger gerne mit dem chronisch verspäteten deutschen ICE. Aber das Fliegen wird wohl weiterhin attraktiv bleiben und Zoom-Sitzungen ersetzen keinen geschäftlichen Kontakt wirklich. Fürs Klima ist das wohl nicht wirklich gut und man fragt sich unweigerlich: Was braucht es denn noch?