Feldpost 1914/18 (13): Kanonier Landwehr im Online Magazin des Migros-Kulturprozent

Kanonier Joseph Landwehr taucht auch im Online-Magazin des Migros-Kulturprozent auf. Er ist Gegenstand meiner Kolumne „Unser digitale Alltag“ vom 14.Juni 2014
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Vor hundert Jahren ist der Erste Weltkrieg ausgebrochen. Zu den interessanten Dokumenten aus jener Zeit zählen Fotopostkarten, die damals ein Leitmedium waren. Die Fotostiftung Schweiz in Winterthur widmet ihnen eine spannende Ausstellung – und hilft bei einem eigenen Fund solcher Karten.
Zu Beginn des Jahres bin ich unerwartet in den Besitz eines Familienalbums gelangt, von dem ich bisher nichts wusste. Es enthält etwa 80 Fotografien meiner Familie aus dem Zeitraum 1905 bis 1946. 20 Fotos zeigen Soldaten, die meisten entstanden in den Kriegsjahren 1914 bis 1918, einige davor. Keine der abgebildeten Personen war mir bekannt. Trotz vieler Fragen ist rasch klar: Dieses Album ist die Eintrittskarte in eine unbekannte, vergangene Welt.
Die richtige Dokumentation
Was tun mit einem solchen Fund? Wissenschaftliche Bibliotheken wie die Zentralbibliothek Zürich oder die Bibliothek der ETH Zürich – beide sind öffentlich zugänglich – haben sogenannte Buchscanner. Sie fotografieren die Seiten von oben ab. So mache ich mich an die Dokumentation des historischen Fotoalbums als Ganzes, indem ich exakte 1:1-Abbildungen von Grösse und Anordnung vornehme.
Fast alle Bilder sind Fotopostkarten, viele haben persönliche Beschreibungen oder Grusstexte auf der Rückseite, die den Fotos eine weitere Dimension verleihen. Im zweiten Schritt scanne ich einzelne Fotos zuhause mit einer besonders hohen Auflösung von hinten und vorne. Mit einer kleinen Bearbeitung wird das vergilbte, kontrastarme Bild plötzlich aussagekräftig und gibt ungeahnte Details preis. Auch die Texte lassen sich so problemlos lesen.

Abkürzungen schon damals en vogue

Ein erstes Foto stammt aus dem Jahr 1915. Es entstand offenbar im einem Fotostudio und zeigt zwei Soldaten mit Gewehr. Einer davon ist mein Grossvater Joseph Landwehr (1876 – 1950). Er schreibt: «Meine liebe gute Emma. Um Dir eine Freude zu machen, habe ich es doch noch möglich zu machen gesucht, Dir mal ein Bild von mir als Soldat anfertigen zu können. Ich hoffe, dass Dir dieses gefällt und Dich ein wenig freut. Gelt Schatz, Du schreibst mir auch bald, wenn Du es erhalten hast.» Aus demselben Jahr ist eine Karte seiner Frau erhalten: «Wir alle senden Dir die besten Glück- und Segenswünsche zu Deinem Geburtstag. Ich hoffe zuversichtlich, die Gratulationen Dir mündlich überbringen zu können. Von Tag zu Tag erwarte ich mit Schmerzen die Depesche. Wird nun bald die freudige Stunde des Wiedersehens klappen.»
Nicht immer sind die Texte so persönlich, viele Fotos wurden mit einer Kamera im Feld gemacht. Ein Text ist ganz prosaisch: «L. Sch. Frage zu Familie, warum sie mir die Socken nicht geschickt haben – ich habe Sie alle Tage erwartet. Mit Gruss. Adolf.» Die Wendung «L. Sch» dürfte für die Anrede «Liebe Schwester» stehen und zeigt, dass Abkürzungen in der persönlichen Korrespondenz auch vor der SMS-Ära gebräuchlich waren.
Bei einer Reihe von Fotos ist die Rückseite unbeschrieben und ein Laie kann nicht erahnen, was abgebildet ist: Auf einem Bild etwa winkt eine Gruppe von fröhlichen Soldaten aus einem Güterwaggon. In der Vergrösserung wird eine Flasche Wein und das Mündungsrohr eines Maschinengewehrs sichtbar. Ein Mail an Jürg Burlet vom Schweizerischen Nationalmuseum bringt Abhilfe. Das Foto zeigt Angehörige einer Kavallerie Mitrailleur Kompanie und muss zu Beginn der Grenzbesetzung entstanden sein: «Diese berittenen Maschinengewehr-Einheiten wurden 1898 errichtet und waren damals eine Neuheit in Europa.»
Die Fotopostkarte als Leitmedium von damals
Fotopostkarten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs sind auch Thema der Ausstellung 1914/18 – Bilder von der Grenze in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur. Betreut hat sie deren Direktor, Peter Pfrunder, der erklärt: «Ein neues Verfahren ermöglichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die billige Herstellung von individualisierten Postkarten. Die Fotopostkarte wurde so zum Leitmedium des Ersten Weltkriegs.» Diese Postkarten sind gleichzusetzen mit Kurznachrichten aus dem Krieg, Pfrunder vergleicht sie mit den heutigen SMS und MMS. Die Zahlen der verschickten Karten sind schwindelerregend: In der Schweiz waren es über 70 Millionen, 18´000 pro Tag. Eine entscheidende Rolle spielte dabei der Gratisversand durch die Feldpost, die es jedem Soldaten ermöglichte, bis zu sechs Karten pro Tag befördern zu lassen.
Die Ausstellung in Winterthur überrascht mit allerhand Schabernack: Soldaten, die sich in Posen werfen, inszenierte Schlachten und Geschütze aus Pappe. Wie verträgt sich das mit dem ernsthaften Thema? Man darf nicht zu weit suchen, meint Pfrunder: «Die Soldaten waren junge Männer, die sich gelangweilt haben. Solche Inszenierungen haben etwas Farbe in ihren Alltag gebracht und gleichzeitig den Angehörigen zuhause versichert, dass sie sich keine Sorgen machen müssen.» Begünstigt wurden die Inszenierungen auch dadurch, dass die Postkarten von der Armeeführung unterschätzt wurden und sie nicht der Zensur unterworfen waren.
1500 Karten hat die Fotostiftung Schweiz gesammelt. «Es braucht eine gewisse Menge, damit man eine Analyse machen kann», sagt Pfrunder. Viele Menschen haben ihre Fotopostkarten bereitwillig gegeben, denn bei der Fotostiftung Schweiz sind sie in guter Verwahrung. Die Fotostiftung ist sehr interessiert daran, noch weitere Fotos zu erhalten. Hat Peter Pfrunder keine Angst, mit Angeboten überhäuft zu werden? «Nein», sagt dieser lachend, «die Fotopostkarten brauchen ja nicht viel Platz.»
Die Ausstellung «1914/18 – Bilder von der Grenze» wird unterstützt vom Migros-Kulturprozent und wird bis 12.10.2014 in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur gezeigt.
www.fotostiftung.ch
Audio-Podcast
Interview mit dem Direktor der Fotostiftung Schweiz, Peter Pfrunder
Katalog
Peter Pfrunder (Fotostiftung Schweiz): Schöner wär’s daheim (Limmat Verlag 2013).
DVD
Unter dem Titel «Schöner wär’s daheim» ist auch ein Dokumentarfilm realisiert worden: Der Film wird als Teil der Ausstellung präsentiert und ist Bestandteil der DVD «Bilderwelten vom Grossen Krieg. 1914 – 1918» von Heinz Bütler und Alexander Kluge. (nzz tv/dctp.tv, 2014).
Und hier gehts zum Migros-Kulturprozent Online Magazin

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