3.November 2006. Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kulturwissenschaft. Der Sternenjäger ist eingeladen, die Themen zu kommentieren. Vorgestellt und eingeführt vom Kulturvermittler Heinz Nigg: Der Blogger als TJ – als Text-Jockey. Und er war nicht allein…
Vor den Texten einige kurze Erklärungen: Die Schweizerische Gesellschaft für Kulturwissenschaft ist eine lose Gruppe von Geistes- und Sozialwissenschaftern jener Disziplinen, die mit dem Begriff der Kulturwissenschaft belegt werden. Zu diesem (weiten) Feld gehören unter anderem Geschichte, Literatur(en), Soziologie, Ethnologie, Volkskunde, Medienwissenschaften etc. Die Jahrestagung 2006 fand im Cabaret Voltaire im Zürcher Niederdorf statt und war dem Thema Wissenskulturen gewidmet.
Schön, dass gerade zwei Blogger kommentierend anwesend waren – neben dem Sternenjäger auch Stefan M.Seydel („SMS“), der mit seinem rebell.tv immer wieder interessante Akzente setzt und von der NZZ auch schon der „originelleste Mediendissident“ genannt wurde.
Die untenstehenden Interventionen müssen auf dem Hintergrund der Referate respektive der Zusammenfassungen (siehe oben) gelesen werden.
INTERVENTION 1 Kunst und Raum
Shopping als Kulturvermittlung. Wie unterscheiden sich Einkaufszentrum und Museum? ? Man kann das Einkaufszentrum doch auch als Museum und das Museum als Shopping-Meile erleben.
Die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem verschieben sich. Auch im urbanen Raum. Weil der öffentliche Raum von Werbung und Marketing dominiert wird, verweigern sich Künstler sich zunehmend. Tun sie das wirkklich? Oder gibt es nicht gerade eine neue Generation von Künstlern, die solche Zusammenhänge geradezu suchen?
Warum diese Schwierigkeit? Shopping als kommerzielle Aktivität wird offenbar als Gegensatz zur künstlerischen Aktivität empfunden.
Ein ähnliches Feld bildet Kunst und Tourismus: Es gibt Berührungsängste und Missverständnisse. Aber umgekehrt ist Kunst ja längst ein Standortfaktor im Tourismus-Marketing.
Künstlerische Inverventionen können auch in anderen Systemen als im Kunst-Kontext funktionieren. Denn längst gibt eine Symbiose von Kunst und Tourismus: Kirchner in Davos, Segantini im Engadin?Dada in Zürich (?!)
Zum Thema Kunst und Öffentlichkeit gehört auch der Umgang mit den Medien. Öffentlichkeit wird über Medien hergestellt. Deshalb muss man viele Anlässe auch nicht mehr besuchen. Man hat?s ja am TV gesehen. Publikumsschwund ist deshalb nur ein scheinbarer Schwund.
Referate:
Philipp Meier/Adrian Notz
Das Cabaret Voltaire und der Dadaismus
Michael Hiltbrunner
Kunst und Öffentlichkeit
Peter Spillmann
Kunst und Tourismus
INTERVENTION 2: Wissen als Speicher ? Wissen als Prozess ? Wissen wird ausgehandelt
Ein Blick auf zwei zentrale Aspekte der Wissensvermittlung: Einmal über die Schulbuchillustration und einmal via architektonische Gestaltung. In beiden Fällen werden nonverbal Werte und Konzepte vermittelt.
Schulbuchillustration: Werte: Dankbarkeit, Grossmut, Hilfe, Respekt etc.
Referent: Diese Werte waren wohl gar nicht so schlecht und würden sich auch heute gut machen.
Verhältnis von Text und Bild hat sich verändert. Von der traditionellen Literatur-Illustration bis zu einer starken Eigenständigkeit, erst ab 80er Jahren.
Wissensräume ? Bibliotheks-Architektur: Die Ordnung des Wissens macht Wissen erst möglich. Anordnungen im Raum bilden Struktur und Speicher und schaffen so einen nicht-diskursiven Rahmen. Zentrale Referenz Borges: Die Bibliothek von Babylon.
Die Wissensproduktion einer traditionellen Enzyklopädie: Das Internet spielt eine wachsende Rolle. Rückkoppelungsprozess. Die digitale Herausforderung ? Wikipedia, Google, Digitalisierung von Bibliotheken. Eine mögliche Antwort: Wir sind fasziniert, überrascht, überfordert ? aber wir wissen es nicht. Kaum haben wir eine Entwicklung begriffen, müssen wir uns mit der nächsten befassen.
Fritz Franz Vogel
Die Schweizerische Schulbuchillustration
Wissensspeicher und Enzyklopädie
Andras Schwab und Peter Erismann
INTERVENTION 3: Kollektiv/Wissen 2
Was leistet Medium Ausstellung? ? Im Museum werden aus Objekten Sehenswürdigkeiten. Dahinter verbirgt sich ein komplexer Akt der Herstellung.Objekte sind zwar Zeugnisse ? sie sind auch Generatoren und Akteure. Sie sind nicht nur einer Erzählung untergeordnet sondern Ausgangspunkt einer eigenen Erzählung. Eine Ausstellung bietet die Chancen, diese Geschichten mit Objekten zu erzählen. Beispiel ist ein Objekt der Schmerz-Ausstellung Berlin: Eine Meditations-Figur von Christus, die sich öffnen lässt und Blick auf die Eingeweide frei gibt.
Fun Studies. Fiktionalität als Prinzip. Die Parodie auf den Wissenschafts-Jargon zeigt wie stark auch im Feld der Kulturwissenschaften ein Jargon zur lästigen Attitüde werden kann. Zu fragen wäre, wo ist der Fachjargon notwendig zur Beschreibung? Welche Bedeutung hat er sonst noch? Er wirkt auch als identitätsstiftendes Merkmal.
Was verbindet die beiden Referate? Sprachkritik zum Beispiel. Oder das Interesse an den Objekten der Gründerin der Fun-Studies, der verehrten Sarah Fessel. Die Brille der Sarah Fessel erzielte Höchspreise an einer Versteigerung bei Sotheby?s.
Referenten
Annemarie Hürlimann und Nicola Lepp
Wissen und Zeigen
Sonja Keller
Fun Studies. Parodie im Feld der Kulturwissenschaften.
INTERVENTION 4: Tanz/Film/Praktiken
Nicht nur die Tanzwissenschaft war bisher ein marginales Gebiete, auch andere Wissenschaften, die sich mit performativen Praktiken befassen. Das ändert sich zunehmend ? mit dem Erstarken von performativen Praktiken, sprich der (Neu)Entdeckung des Tanzes, des Filmes, dem Siegeszug des Pop seit den 70er Jahren. Die Auseinandersetzung mit diesen performativen Praktiken bedingt auch eine Reflektion auf das Medium Sprache. Sprache kann auch als performativer Akt verstanden werden.
Barfusstanz: Einblicke in Motivationen und die inneren Bilder dieser (urbanen) Tanz-Praxis. Für diese Analyse bedient sich die Autorin aber wieder des Mediums der Sprache. Tiefenhermeneutische Methode.
Rochade-Video: Video-Arbeit mit Jugendlichen. Es wäre interessant die unterschiedliche Bedeutung des Mediums Sprache im Unterschied zum letzten Projekt anzuschauen: Sprache ist auch das Medium der Reflektion aber auch das Medium, in welchem das Video ausgehandelt wird.
Schräge Schweiz: low Budget Produktion ?Schweigen der Männer? von 1997. Betrachtung von sprachlicher und bildlicher Ebene ? souveräner Umgang mit (Bild) Zitaten und schrägen Dialogen. Die Selbst-Bezogenheit, Umgang mit der Identität ist dominant im Schweizer Film.
ReferentInnen
Silvia Heinzmann
Tanz als soziale Interaktion
André Affentranger
Rochade. Ein prozessorientiertes Videoprojekt an Basler Schulen
Marcy Goldberg
Die schräge Schweiz. Ein selbstkritisches Bild der Schweiz im Film.