Das Flugzeug ist dann doch nicht in die Doppeltürme des Klosters Einsiedeln gerast, dafür grinst uns auf der Werbung ein kleiner fetter Engel mit einem Sprengstoffgürtel entgegen. Die Rede ist vom Grossen Welttheater von Einsiedeln, dem vielleicht wichtigsten Kulturereignis dieses Sommers, das nach sieben Jahren wieder aufgeführt wird. Und auch diesmal hat der Schweizer Dramatiker Thomas Hürlimann wieder seine Hand mit ihm Spiel. Der fesche Engel reizt zur Frage, wie es aussieht, wenn die Dynamitstangen explodieren. Und ob sich das himmlische Wesen, nachdem es zerplatzt ist, wieder zusammensetzt wie der Terminator im Hollywood-Film. Und was ist mit den himmlischen Heerscharen, den Cherubim und den Seraphim, den Erzengeln Gabriel, Raphael und Michael?
Das Flugzeug ist dann doch nicht in die Doppeltürme des Klosters Einsiedeln gerast, dafür grinst uns auf der Werbung ein kleiner fetter Engel mit einem Sprengstoffgürtel entgegen. Die Rede ist vom Grossen Welttheater von Einsiedeln, dem vielleicht wichtigsten Kulturereignis dieses Sommers, das nach sieben Jahren wieder aufgeführt wird. Und auch diesmal hat der Schweizer Dramatiker Thomas Hürlimann wieder seine Hand mit ihm Spiel. Der fesche Engel reizt zur Frage, wie es aussieht, wenn die Dynamitstangen explodieren. Und ob sich das himmlische Wesen, nachdem es zerplatzt ist, wieder zusammensetzt wie der Terminator im Hollywood-Film. Und was ist mit den himmlischen Heerscharen, den Cherubim und den Seraphim, den Erzengeln Gabriel, Raphael und Michael?
Der Terror-Engel aus der Welttheater-Werbung ist nicht die einzige Provokation, das ganze Theaterstück zumal vor so gewichtiger Kulisse wie dem barocken Kloster, könnte als Provokation aufgefasst werden: War in der Urfassung des Grossen Welttheaters beim spanischen Dichter Calderon de la Barca 1650 noch alles klar im Sinn des christlichen Glaubens und kamen am Ende auch fast alle Protagonisten in den Himmel, so ist in der Fassung von Thomas Hürlimann nichts mehr klar: Der Endwind weht vom Sihlsee her, sirrend, bedrohlich, zerstörerisch. Er verstört die Menschen, aber nur wenige mögen in ihm das apokalyptische Zeichen erkennen, bis es zu spät ist. Und so liegt am Schluss alles in Stücken, die Spieler sind tot und alles was sie aufgebaut hatten zerstört. Hier gibt es keine Hoffnung, weder auf ein diesseitiges noch auf ein jenseitiges Paradies.
Das Grosse Welttheater in der Neufassung von Thomas Hürlimann ? es ist nach 2000 bereits die zweite ? ist ein starkes Stück und zwar in mehrfachem Sinn. Und es zeigt, wie sich die Zeiten geändert haben: So lange ist es noch nicht her, da genügte weit weniger für einen Skandal oder wenigstens ein Skandälchen. 1971 zum Beispiel ? da war der 1950 geborene Thomas Hürlimann gerade 20 und in der achten Klasse an der Stiftsschule des Klosters Einsiedeln. Im Fasnachtstheater spielte er bei der ?Die Schlacht von Lobositz? von Peter Hacks mit. Hauptfigur des Stücks ist der Schweizer Ueli Bräker, der auch als ?der arme Mann aus dem Tokkenburg? bekannt wurde. Bräker, Söldner im siebenjährigen Krieg, desertiert, weil er seine Haut nicht mehr verkaufen will. Seine pazifistischen Äusserungen stiessen 1971 beim jugendlichen Publikum auf Begeisterung und führten zu spontanem Applaus und das Ganze zu einem längeren Nachspiel in der lokalen Presse. Es wäre kurios, die Provinzposse heute anhand der damaligen Zeitungsausschnitte zu rekonstruieren.
Dabei waren die Benediktinermönche des Klosters durchaus nicht immer so tolerant und wohlwollend. Es gibt neben der liberalen und grosszügigen Tradition auch eine konservativ-engstirnige, die sich bis heute in der Haltung von Abt Werlen zu allerlei aktuellen Fragen fortsetzt. Auch hierzu gibt?s eine kleine Geschichte zu erzählen: Der Schreibende ? die Leser ahnten es wohl bereits ? trat just in jenem Jahr 1970 als zwölfjähriger Junge als Klosterschüler in die Stiftsschule Einsiedeln, als der acht Jahre ältere Thomas Hürlimann sein letztes Jahr absolvierte. Im Sturm und Drang der Pubertätswehen sah sich der Schreibende einmal ? es war wohl 1973 oder 1974 ? genötigt, einen Stellungsbefehl der Schweizer Armee auf dem Anschlagbrett der Schule mit einem kleinen Gegenplakat zu kontern, darauf war der berühmte Satz von Wolfgang Borchert zu lesen: ?Du Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt, wenn sie morgen kommen und Dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt?s nur eins: sag Nein?. Das war nun wiederum starker Tobak für die Mönche und wenn ich mich recht erinnere, so haben sie getobt, unsere schwarz gekleideten Lehrer und Erzieher, die uns zuvor Wolfgang Borchert im Deutschunterreicht serviert hatten. So streng literaturhistorisch wollten wir den Text von Borchert nicht verstanden haben in unserer Suche nach Orientierungspunkten und Vorbildern. Selbstverständlich wollten wir provozieren. Dass man aber mit derart wenig so viel erreichen würde, hatten wir in den kühnsten Träumen nicht gehofft.
Die Zeiten haben sich geändert. Und dass sich die Schweizer Armee einmal mehr oder weniger selber abschaffen würde, haben wir damals nicht gedacht. Ein kleines Zeichen davon ist die Diskussion um die Taschenmunition der Schweizer Soldaten. Langsam aber sicher setzt sich die Erkenntnis durch, dass das kleine Paket mit den scharfen Schüssen wohl besser im Zeughaus bleiben soll. Und das ärgert meine Mitreisende ? sie ist offenbar in einem Schiess-Verein Mitglied ? in der S26 zwischen Kollbrunn und Winterthur derart, dass sie sich kaum erholen kann und ich aus reiner Menschliebe darauf verzichte, ihren Ärger zu kommentieren. Denn meiner Ansicht nach gehören auch die Waffen dorthin, und nicht ins traute Heim. Trotzdem, die Diskussion um die Taschenmunition wirft nicht mehr allzu hohe Wellen. Das wäre 1971 anders gewesen. Die Zeiten ändern sich.
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