Blut klebt an Olympia

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Gedanken zum Thema Tibet, China, Olympiade.


Ich habe einen Traum: Eröffnungsfeier der Olympiade in Peking. Die Sportler aller teilnehmenden Nationen laufen im Stadion ein. Alle in den jeweiligen Nationalfarben. Die Fernsehkamera ist nun auf den Schweizer Olympioniken. Wie auf ein unsichtbares Kommando ziehen alle ihre T-Shirts aus ? darunter kommt ein zweites T-Shirt zum Vorschein: Es zeigt die Flagge Tibets. Die Fernsehkameras zoomen sofort weg. Die Feier geht weiter wie wenn nichts geschehen wäre. Aber der Skandal ist perfekt. Ausgerechnet die Schweizer. Die Weltpresse beginnt zu recherchieren. Der an sich schon überhitzte Medienapparat glüht. Was ist das für ein Land, in dem sich die Sportler so mit Tibet solidarisieren? ? Plötzlich sind die engen Beziehungen zwischen der Schweiz und Tibet im Rampenlicht. Und natürlich ist auch die Rede vom Tösstal?
So etwas wird nicht passieren, dachte ich vor kurzem. Nun bin ich nicht mehr so sicher: Schon der symbolträchtige Fackellauf ist ein einziges Debakel. Spektakuläre Aktionen in London, Paris, San Francisco?Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Tibet nicht im Zusammenhang mit der bevorstehenden Olympiade ins Rampenlicht rückt. China reagiert mit Gewalt, Unverständnis, Wut. Der Dalai Lama wird in dieser Rhetorik zum Terroristen?
Klar ist schon jetzt: Die Sommer-Olympiade ? als gigantische Propaganda-Veranstaltung für die aufstrebende Wirtschaftsmacht China gedacht ? wird zum Rohrkrepierer. Zu gross sind die inneren Widersprüche dieses Landes. Es ist ja nicht die Unterdrückung in Tibet allein, die China ins Rampenlicht rückt. Es ist die Menschenrechtslage im Reich der Mitte überhaupt: Das Wegsperren von Dissidenten, die tausendfache Vollstreckung der Todesstrafe Jahr für Jahr, die Umweltzerstörung, die systematische Unterdrückung der Meinungs- und Pressefreiheit?
Ich muss dabei an eine Geschichte denken, die ich vor mehr als zehn Jahren erlebt habe: Ich half damals einer Winterthurer Firma, eine Konferenz zum Thema China vorzubereiten. Eine chinesische Delegation mit einer Ministerin an der Spitze hatte zugesagt. Für die Pressekonferenz mit der Ministerin sollte ich die exakten Fragen sammeln, welche die Journalisten stellen würden. Die Aufgabe war mir peinlich, ich erledigte sie, indem ich die Fragen selber erfand. Ein China-Spezialist sagte mir dann an der Pressekonferenz, die ganz ruhig über die Bühne ging, dass solche Vorbereitungen absolut normal seien im Umgang mit China. Normal? ? Für mich blieb der schale Nachgeschmack. China war und ist ein durch und durch autoritär regiertes Land in dem die Rechte des Einzelnen wenig bis nichts gelten, in dem keine Minderheit Schutz beanspruchen darf.
Wäre es besser, die Olympiade würde nicht in China stattfinden? ? Nein, im Gegenteil. Der Anlass ist gut um all diese Fragen aufs Tapet zu bringen. Wir leben nun einmal in einer Informations- und Mediengesellschaft: Die Anliegen der Menschenrechte, der Umweltzerstörung, die Unterdrückung der tibetischen Kultur ? das alles gehört auf die Agenda der Weltgemeinschaft. Und dort wird es auch bleiben. Es wird ein heisser Sommer.
Die Machthaber Chinas werden sich nicht freuen. Und die Olympia-Verantwortlichen werden sich die Augen reiben und sich fragen, ob sie mit ihrem Sportanlass nicht zur Legitimation dieses Unrechts-Staates beigetragen haben. Aber nicht nur sie: Auch unsere Wirtschaft und Politik wird sich Fragen gefallen lassen müssen: Wieviel Blut klebt an den Computern, den Textilien, den Güggeli aus China? ? Wieviel zerstörte Natur?
Die Frage bleibt: Was wird sich ändern? ? Vielleicht geht?s nicht nur darum, vielleicht ist es ja einfach auch wichtig, diese gigantische Propaganda-Show der Lügen und des Geldes (gilt auch für die Sponsoren!!) nicht einfach abzunicken und hinterher zu sagen, wir hätten nichts gewusst.
In: Standpunkte, Tössthaler vom 12.4.2008

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