Am Anhalter Bahnhof in Berlin

Der Anhalter Bahnhof war einst der wichtigste Fernbahnhof von Berlin. Heute sind nur wenige Überreste des riesigen Baus vorhanden: Mitten im Park ein Portal, beim Technikmuseum zwei Lokschuppen, dazu ein Wasserturm. Wer sich aber in der Dämmerung in ihre Nähe begibt, die Augen etwas zukneift und die Ohren weit öffnet, kann einen Eindruck vom einstigen Leben auf diesem grossen Bahnhof gewinnen.
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Der Bahnhof und das was von ihm übrig geblieben geblieben ist, erzählen die Geschichte des 20.Jahrhunderts mit seinen Katastrophen und Verwerfungen.
Ein Schnauben, Zischen und Stampfen ist zu hören, wenn man auf dem Parkgelände des Technischen Museums die Augen zukneift – vor dem Lokschuppen stehen die grossen Dampfrosse bereit und in der Hallte des 1880 neu erbauten Anhalter Bahnhofs machen sich die Leute bereit für ihre Reise – nach Leipzig oder Dresden, nach Wien und Budapest, nach Rom und Neapel. Dort soll es sogar eine Schiffsverbindung nach Alexandria geben…
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Man reist in drei Klassen: Gediegen und weich in der ersten Klasse, auf Holz in der dritten. Aber auch der Erstklassreisende war kein bisschen schneller als die Reisenden in der zweiten oder dritten Klassen. Das ist die Demokratisierung des Reisens, wie sie nur die Bahn ermöglicht.
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Wir sehen Berliner Bürgerfamilien zum Zug eilen, begleitet vom Porteur mit einem Berg von Koffern. Gerne hätten wir sie gefragt, wohin die Reise geht, warum sie dahin fahren. Aber kaum stehen wir da, sind sie schon weg. Männer mit Schnauzbärten und Hüten, Frauen in Kopftüchern und langen Mäntel, die Kinder im Schlepptau hinten an. Gemütliche Dampfbahnzeit? – Mitnichten. Tempo ist Trumpf: Nach Königsberg in Ostpreussen sind es nur gerade sechs Stunden.
Durch den Dampf und Rauch nur verschwommen erkennen wir die Werbung für das Grand Hotel Excelsior. Es soll einmal das grösste Hotel auf dem Kontinent gewesen sein: 600 Zimmer, 700 Betten, 250 Bäder, verkündet stolz das Plakat. Und das Nonplusultra: Vom Anhalter Bahnhof führte ein unterirdischer Tunnel direkt dahin.
Der neue Bahnhof war kaum 30 Jahre in Betrieb, da stand ein grosser Krieg ins Land. Mit Begeisterung seien sie an die Front gezogen, nach Verdun oder Isonzo. So viele sind nicht mehr heim gekommen. Dann der Rausch der 20er Jahre und der Börsenkrach. Und gleich beginnt der Nazi-Spuk.
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Im Lokschuppen des Museums steht ein wichtiger Zeuge aus jener Zeit: Die Dampflok der Baureihe 52. Riesigross, wie ein Walfisch steht sie da. 7000 Stück sollen davon produziert worden sein, bei Borsig, Henschel und auch bei Skoda. Panzer, Artillerie, Kriegsgerät hat sie quer durch den Kontinent verschoben. Soldaten und wohl auch die Güterzüge nach Auschwitz, Treblinka, Majdanek…
Kein Wunder wurde der Anhalter Bahnhof bombardiert und weitgehend zerstört. Allerdings erst 1944. Und ein zerstörter Bahnhof lässt sich wieder aufbauen. Warum nicht auch in Berlin? – Die Schienen aus der geteilten Stadt führten ins sowjetische Besatzungsgebiet. Und die Sowjetunion wollte die Stadt isolieren.
In der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR gab es noch lange eine Demontage deutscher Industrie und Bahngleise. Das Material wurde als Reparation in die vom Krieg zerstörte Sowjetunion geliefert, die hatte ja unter dem Krieg weit mehr gelitten als die Westmächte.
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: 1959 wurden die Rest der Bahnhofshalle gesprengt. Der Portikus blieb nur dank Protesten erhalten. Seit 1982 werden die Lokschuppen vom Deutschen Technikmuseum genutzt.
Es gehört zu den Eigenarten von Berlin, dass auch heute die Spuren und Narben dieser schmerhaften Geschichte nicht verheilt sind. Und wer in den Häusern und Parks herumstochert findet immer wieder Zeugen davon. Die Bilder und die Töne dazu stellen sich dann wie von selbst ein.
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