Al Imfeld gestorben

 

 

Die Wochenzeituzng WOZ meldet heute, dass der Afrika-Spezialist Al Imfeld im Alter von 82 Jahren gestorben ist. Die Nachricht erreicht uns in Indien und wir werden wohl an seiner Beerdigung nicht dabei sein können.

Al Imfeld ist für politisch engagierte Menschen unserer Generation ein Begriff – seine leicht verständlichen Bücher haben viele gelesen. Trotzdem: Sein erstes Buch ist mir erst vor einigen Jahren in die Hände geraten: Missionsgeschichten:  In seiner Jugend zogen Missionare durch die Dörfer und versuchten mit Hilfe des Dorfpfarrers Buben für die Mission zu gewinnen. Der junge Alois aus dem  Luzerner Hinterland war einer davon. Eine Merkwürdige Geschichte – aber es ist seine Lebensgeschichte. Die WOZ-Redaktor Lotta Suter hat sie schon vor Jahren aufgeschieben und ein äusserst lesenwertes Buch geschrieben.

Al Imfeld lebte gleich neben dem Zürcher HB an der Konradstrasse. Dort habe ich ihn kurz vor Weihnachten 2016 ein erstes Mal besucht. Seine Wohnung war eine Anlaufstelle für verzweifelte und mittellose Asylsuchende vor allem aus Afrika geworden und er hat ihnen auf unkomplizierte Art und Weise geholfen. Wie kann man besser erklären, was tätige Nächstenliebe ist. Seine Pflegerin Rosie hat mich dann überzeuzt im Januar noch einmal vorbeizukommen um mit ihm Geburststag zu feiern – irgend einmal in einer Periode von etwa zwei Wochen. Open House. Eine gute Art um viele zu erreichen. Das haben wir dann gemacht und so waren wir Ende Januar selbdritt bei ihm in der Wohnung, zuerst allein, später stiess auch Thomas Held noch dazu.

AL Imfeld schien damals geschwächt und sehr krank – seine Pflegerin Rosie erzählte uns, dass er seit einign Wochen nicht mehr gehen könne. Trotzdem hat er jeden Tag geschrieben. Beim Schreiben vergesse er die Schmerzen. Im Gespräch fanden wir bald gemeinsame Bezugspunkte: Zuerst Südostasien, dann Pakistan. Al Imfeld durfte an der renommierten Universität des Vatikans, der Gregoriana, studieren. Seine Ansichten über die Jungfräulichkeit von Maria stiessen aber nicht auf Gegenliebe und so bestand er das Doktorexexamen nicht und musste heimgehen. Weggeschickt werden, rausgeworfen werden – ein Leitmotiv, das sich in seinem Leben immer wieder fand. Die Missionsgesellschaft schickte ihn nach New York wo er die Bürgerrechtsbewegung kennenlernte. Sein Vorgesetzter war offenbar ein ausgekochter Rassist und der Bischof soll ihn dort gar exkommuniziert haben. In Chicago studierte er Soziologie und Journalismus und erhielt Mitte 60er Jahren einen Rechercheauftrag in Vietnam. Diesen Auftrag hat er offenbar sehr ernst genommen, so dass die Amerikaner, die ihn ja dorthin geschickt waren, bald zur Überzeugung kamen, er sei ein Spion des Vietcong. Man habe ihn gefoltert und schliesslich in Kambodscha sich selber überlassen. Von dort fand er den Weg nach Bangkok und schliesslich wieder zurück in die Schweiz.

,Die Vietnam-Geschichte schien uns ganz und gar unglaublich. Hat er fabuliert und im Lauf des Lebens erfunden? – Möglich. In der Biographie von Lotta Suter hab ich dann eine etwas ausführlichere Version gefunden. Denkbar, dass es diesen Recherche-Auftrag für Vietnam gegeben hatt. Absender des ominösen Auftrags war aber letztlich nicht die Washington Post sondern der CIA.

Zwei Gedanken kamen mir bei der Auseinandersetzung mit ihm uns seiner Biographie: Da ist zunächst mal die Idee der Mission. Sie ist aus naheliegenden Gründen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und dem gesellschaftlichen und politischen Aufbruch in den 60er Jahren in Verruf geraten. Zu Recht muss man wohl sagen. Die Missionsgesellschaften und die Kirchen haben sich aber angepasst und eine Transformation erlebt, vor allem dort, wo  nicht die Verkündigung sondern die tätige Nächstenliebe im Vordergrund standen. Unvergessen ist mir ein Besuch im Mission Hospital von Bannu (oder war es Tank) an der afghanischen Grenze in Pakistan während meiner IKRK Tätigkeit (Mission?) 1989. Wie anders wäre es möglich, in einem Klima, das vom islamischen Fundamentalismus geprägt war, ein Spital zu führen. Die Antwort ist ganz einfach: Die Missionare haben während 100 Jahren eine sinnvolle Arbeit geleistet und sich beim Missionieren wohl ewas zurückgehalten. Es gibt sie natürlich trotzdem noch: die klassische Mission,  vor allem in evangelikalen Kreisen und diese Art von Entwicklungshilfe ist wohl komplett deplaziert und überholt.

Der zweite Gedanke gilt der Linke und ihrem Engagement für die so genannte Dritte Welt. Ich selber kenne diese Bewegung wenig. Bei der Lektüre von Al Imfelds Biographie ist mir aber klar geworden, wie vielfältig die Strömungen hier sind und waren und wie eigenständig Al Imfeld in dieser Szene war. Schliesslich hat er sein Priesteramt nie aufgegeben; er bekannte sich immer zu seinem Orden, der Missionsgesellschaft Bethehem von Immensee. Auch dann, wenn es dem Mutterhaus nicht gepasst hat, zum Beispiel bei der Diskussion um die Abtreibung. Er hat das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung immer unterstützt. Daran hatte man in seinem Orden und wohl in der Kirche überhaupt wenig Freude. Milde gesagt.

Offenbar war Al Imfeld auch in der linken Szene umstritten. Artikel von ihm zu redigeren sei nicht einfach gewesen, weiss Lotta Suter in ihrer Biografie zu berichten. Al Imfeld war ein Geschichtenerzähler. Das hat sich in den 70er und 80er Jahren schlecht mit linkem Journalismus vertragen. Quid licet Jovi non licet bovi. Was dem Juppiter geziemt ziemt sich nicht für einen Ochsen: Niklaus Meienbergs Geschichten hat man weit über die Linke hinaus gerne gelesen.

Nun ich lehne mich weit aus dem Fenster und schreibe von meinen Eindrücken und Schlussfolgerungen– ob sie Fakten sind, weiss ich nicht. Meine beiden Begegnungen mit Al Imfeld dürften wohl historisch genannt werden. Ich hab das geahnt. Mein Vater war im Jahr zuvor verstorben. Auch er stammte aus dem katholischen Millieu. Gerne hätte ich Al Imfeld die Geschichte meines Vaters erzählt. Schade, sind wir uns nicht früher über den Weg gelaufen. Aber ich bin dankbar, dass wir es gerade noch geschafft haben.

Requiescat in pace – möge er in Frieden ruhen, pflegt man in solchen Situation zu sagen.  Nein, will ich ihm hintenher ruf: Ich habe eine bessere Idee: Möge er nun die himmlischen Heerscharen mit seinen Geschichten unterhalten und sie ein bisschen aufmischen.

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